Dienstag 18. Februar 2025

Zeitzeugin Erika Freeman: "Sei das Gute!"

Gespräch mit Schüler:innen im Parlament zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.

Am 27. Jänner 1945 befreiten Truppen der Roten Armee die letzten Überlebenden des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. 2005 erklärten die Vereinten Nationen den Jahrestag dieses Ereignisses zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Das österreichische Parlament organisiert seit mehreren Jahren zu diesem Jahrestag Gedenkveranstaltungen. Heuer wurde der 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz-Birkenau mit einer Diskussionsveranstaltung für Schülerinnen und Schüler ins Gedächtnis gerufen. Zu der Veranstaltung hatten Nationalratspräsident Walter Rosenkranz, Bundesratspräsidentin Andrea Eder-Gitschthaler, Zweiter Präsident des Nationalrats Peter Haubner und Dritte Präsidentin des Nationalrats Doris Bures eingeladen.

Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Zeitzeugin Erika Freeman, die als Kind vor den Nationalsozialisten aus Wien flüchten musste und die zu einer international bekannten Psychoanalytikerin wurde. Sie zählt zu den letzten "lebenden Stimmen" einer Generation, deren Welt durch die Gräueltaten des Nationalsozialismus für immer verändert wurde. Die jungen Menschen hatten die Möglichkeit, an die Zeitzeugin ihre eigenen Fragen zu stellen.

 

Flucht aus Wien mit 12 Jahren

Danielle Spera führte in das Thema der Veranstaltung ein und befragte Freeman zu prägenden Erfahrungen ihrer Kindheit und Jugend vor und nach dem so genannten "Anschluss" Österreichs an NS-Deutschland. Freeman wurde 1927 als Tochter von Arthur und Rachel Polesiuk in Wien geboren. Nach dem "Anschluss" musste Erika ihre bisherige Schule verlassen und das einzige für jüdische Schülerinnen und Schüler verbliebene Gymnasium, das hebräische Chajes-Gymnasium, besuchen. Dort erlebte sie hervorragende Lehrerinnen und Lehrer, unter ihnen hochrangige Wissenschaftler, die vom NS-Regime aus ihren Stellungen vertrieben worden waren.

 

Erikas für die tschechische Sozialdemokratie tätiger Vater wurde ins KZ Theresienstadt verschleppt. Erst nach Kriegsende erfuhr Erika durch Zufall, dass ihr totgeglaubter Vater das KZ überleben und nach Schweden emigrieren hatte können. "Wunder passieren immer, aber manchmal brauchen sie ein wenig", ist Freeman überzeugt.

 

Freemans Mutter war überzeugte Zionistin und eine der ersten Hebräischlehrerinnen. Sie unterrichtete Jugendliche, die sich auf die Auswanderung nach Palästina vorbereiteten, und blieb daher in Wien. Rachel Polesiuk konnte bis zu Kriegsende in Wien überleben. Im März 1945 kam sie bei einem der letzten schweren Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs im "Philipphof" am Albertinaplatz ums Leben. Warum für ihre Mutter kein Wunder geschehen sei? "Vielleicht wollte Gott sie früher bei sich haben", sagte Freeman.

 

Erika hätte zwar die Möglichkeit gehabt, nach Palästina auszuwandern. Sie habe sich aber entschieden, zu Verwandten nach Amerika zu gehen, damit ein anderes Kind ihren Platz für die Auswanderung nach Palästina einnehmen konnte. Als Zwölfjährige verließ Erika Wien mit einem Zug nach Amsterdam und gelangte per Schiff nach New York. Die amerikanischen Verwandten hätten sie "nicht gemocht" und ihren Erzählungen über Wien nicht geglaubt, erinnerte sich Freeman. Sie gaben sie als "schwieriges Kind" in einem jüdischen Waisenhaus ab, wo sie die weiteren Jahre verbrachte.

Durch harte Arbeit gelang es Freeman, eine Ausbildung zur Psychoanalytikerin zu machen. Sie wurde zu einer gefragten Beraterin von Filmstars und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Freeman erinnerte sich im Gespräch mit Spera etwa daran, dass sie der israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir nützliche Tipps für den richtigen Umgang mit Richard Nixon und Henry Kissinger habe geben können. Ihr Leben richte sich an der jüdischen Idee des "Tikkun olam" aus, der Verbesserung der Welt, die auch durch kleine Taten erfolgen könnte, sagte die Psychoanalytikerin.

Ergänzt wurde das Gespräch mit Ausschnitten aus dem Buch "Mir geht's gut, wenn nicht heute, dann morgen", vorgetragen von der Schauspielerin Maria Köstlinger. Dirk Stermann hat darin anhand seiner zahlreichen Gespräche den "Lebensroman" von Erika Freeman nachgezeichnet. Ab dem Jahr 2007 kam sie für das Erinnerungsprojekt "A Letter to the Stars" immer wieder nach Österreich und setzte sich als Zeitzeugin gegen das Vergessen ein. Heute lebt Freeman, die im Jahr 2022 die österreichische Staatsbürgerschaft wieder angenommen hat, im Hotel Imperial in Wien und arbeitet weiterhin als Psychotherapeutin.

 

Freeman: "Es ist meine Pflicht, die Welt zu verbessern"

Aus der Erfahrung ihres Lebens hat sie die Überzeugung gewonnen, dass es wichtig sei, die Welt zu verbessern. "Sei das Gute!" sagte Freeman. "Selbstsucht ist dumm, Hass macht krank und blöd".

 

Anfangs hätten ihr die Menschen in den USA gar nicht geglaubt, als sie als junges Mädchen von den Gräueltaten der Nazis erzählt habe und sie daher "zum Psychiater geschickt", berichtete Erika Freeman den Jugendlichen, die zahlreiche Fragen vorbereitet hatten. Die Schüler:innen interessierten sich vor allem dafür, wie sie als jüdisches Kind den "Anschluss" Österreichs, den Hass gegenüber der jüdischen Bevölkerung und die frühe Trennung von den Eltern erlebt habe.

 

Als Hitler in Österreich einmarschiert sei, habe es einen großen Jubel gegeben und überall an den Häusern seien Nazi-Fahnen zu sehen gewesen, erinnerte sich Freeman. Da bekannt war, was mit den Juden und Jüdinnen in Deutschland passiert sei, habe man gewusst, was nun in Österreich folgen werde. Auch sie sei oft nach der Schule verprügelt worden, erzählte Freeman, "man habe die Juden immer gehasst". Für sie sei Hass aber keine Option . Sie habe es stets als ihre Pflicht gesehen, die Welt zu verbessern, entsprechend der jüdischen Idee des "Tikkun olam". Diese könne schon durch kleine Taten erfolgen, sagte die Psychoanalytikerin. Denn wenn jeder Einzelne sich weiterentwickle, werde die ganze Welt besser.

 

Diesen und viele andere inspirierende Ratschläge gab Freeman den Schüler:innen mit auf dem Weg: "Lass dir nicht einreden, dass du etwas nicht kannst" und "mach dich nicht wichtig, mach dich richtig". Wenn man von etwas wirklich überzeugt sei, gelte "Tue, was du willst, frag nicht um Erlaubnis" und "Nein ist keine Antwort, Nein ist der Anfang von Ja". Für so viel Lebensweisheit und Aufmunterung gab es einen Riesenapplaus.

 

Parlament beteiligt sich an virtueller Gedenkaktion #We Remember

Seit 2017 rufen der World Jewish Congress und die UNESCO anlässlich des internationalen Holocaust-Gedenktags zur Kampagne #WeRemember auf. Bei der digitalen Gedenkaktion können Fotos mit einer Tafel mit der Aufschrift "We Remember" in den sozialen Medien gepostet werden. Von 24. Jänner 2025 bis 27. Jänner 2025 gab es im Auditorium für Besucher:innen und Parlamentsmitarbeiter:innen die Möglichkeit, mit einem Foto vor einer LED-Wand mit #WeRemember-Schriftzug ein Zeichen für das Gedenken zu setzen. Als Teil der Gedenkaktion werden auch zahlreiche Gebäude mit dem #WeRemember-Schriftzug bestrahlt. Auch die Fassade des Parlaments wird am Abend des 27. Jänner beleuchtet. (Schluss) sox/sue

 

HINWEISE: Fotos von dieser Veranstaltung sowie eine Nachschau auf vergangene Veranstaltungen finden Sie im Webportal des Parlaments. Eine Aufzeichnung der Veranstaltung wird zudem als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments zur Verfügung gestellt.

 

Quelle: Zeitzeugin Erika Freeman: "Sei das Gute!"

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