In den Räumen seiner unabhängigen Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ wurde eine großangelegte Umfrage zur Medienfreiheit in vier Ländern Zentraleuropas vorgestellt.
Wichtigstes Resultat: In Tschechien, der Slowakei und Ungarn waren mehr als die Hälfte der Befragten über den Zustand der Pressefreiheit besorgt, in Polen sogar 71 Prozent. Besondere Sorgen machen sich ältere Bürgerinnen und Bürger, jüngere viel weniger. In Tschechien sind grob gesagt je ein Drittel der Jungen besorgt, nicht besorgt oder haben keine Meinung. Ganz anders die Situation in der Slowakei, wo 62 Prozent der 18 bis 24-Jährigen über die Lage der Medien beunruhigt sind. Dies könnte mit dem Mord am slowakischen Investigativreporter Ján Kuciak vor fünf Jahren zu tun haben, dessen Aufarbeitung in der kriminellen Geschäftswelt das ganze Land erschütterte.
Reporter ohne Grenzen Österreich versteht sich seit Anbeginn als solidarischer Begleiter der Länder in unserer Nachbarschaft, weshalb wir an der Vorstellung der Studie teilnahmen und hier die wichtigsten Ergebnisse präsentieren.
Auf die Frage, von wo die Bedrohung der Medienfreiheit ausgehe, nannten die Befragten in Polen und Ungarn an erster Stelle die Regierung, in der Tschechischen Republik die Medienbesitzer, zu einem Gutteil sogenannte „Oligarchen“ mit weit gestreuten wirtschaftlichen und politischen Interessen. (In den Slowakei liegen beide Bedroher gleichauf.) Gleichzeitig halten in allen vier Ländern mehr als drei Viertel die Existenz freier Medien ohne Zensur und staatliche Eingriffe für wichtig.
Im Ergebnis weist diese Publikumsbefragung Übereinstimmungen mit der jährlichen Rangliste von Reporter ohne Grenzen auf. Im RSF-Ranking lag Tschechien 2022 auf dem 20, die Slowakei auf dem 27. Platz, während Polen Platz 66 und Ungarn Platz 85 einnahm. (Österreich, 1921 noch auf Rang 21, stürzte im Jahr darauf auf Rang 31 ab, hinter unsere beiden Nachbarländer im Nordosten.)
Im neuen Vierländer-Vergleich wurde auch erhoben, von wem sich die Befragten am ehesten den Schutz der Pressefreiheit erwarten. Hier lagen „Journalistenvereinigungen“ an erster Stelle, gefolgt von der Europäischen Union.
Bei der Präsentation der Studie in Warschau wurde deshalb aus Brüssel Kommissions-Vizepräsidentin Věra Jourová zugeschaltet. Die Kommissarin für Werte hat im September 2022 den Entwurf einer EU-weiten Regelung („European Media Freedom Act“) vorgelegt, die gerade auf die Sorgen der Zentraleuropäer eingeht. Forderungen nach Transparenz, Pluralismus und Nichteinmischung in die Redaktionen finden dort auch bei jenem Teil der Medienschaffenden Anklang, die noch nicht ganz pessimistisch geworden sind und ihre Demokratien in Richtung Diktatur rutschen sehen.
Große deutsche Verleger und auch die österreichischen Zeitungsherausgeber haben sich massiv dagegen ausgesprochen, dass Medienangelegenheiten in Brüssel geregelt werden. In der Öffentlichkeit herrscht Funkstille; offenbar fühlt sich niemand davon betroffen.
Die Politik könne überall verrückt werden, sagte Jourová ihren Zuhörern in Warschau, deshalb sei es wichtig, für die Medienfreiheit ein gesamteuropäischen Sicherheitsnetz zu knüpfen.
Als Jourová im vergangenen Februar die Zentrale von Reporter ohne Grenzen in Paris besuchte, betonte RSF-Generalsekretär Christophe Deloire die Bedeutung des Gesetzesvorhabens, bei dem es neben dem Schutz des Rechts auf Information auch um die Sicherheit von Journalisten gehe.
Und Fritz Hausjell, Präsident von Reporter ohne Grenzen Österreich, zeigte sich in der „Wiener Zeitung“ erfreut, „dass die EU in diesem Bereich ihre Verantwortung wahrnimmt. Es ist wichtig, dass sehr sorgsam aber auch mit nötigem Nachdruck demokratische Standards verbessert werden."
(Verfasser dieses Beitrags: Erhard Stackl, Vizepräsident von Reporter ohne Grenzen Österreich)