Sonntag 24. November 2024

Ausgesendet, um Frieden zu stiften

Blau. © Krankenhauspastoral

14. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C),

Lk 10,1-12; 17-20

 

Autor: Univ.-Prof. Dr. Christian Spieß, Katholische Privat-Universität, Linz

Das Evangelium des heutigen Sonntags berichtet von der Aussendung der 72 Jünger (in manchen Handschriften: 70), die auf die Aussendung der Zwölf im vorausgehenden Kapitel des Lukasevangeliums folgt. Der Evangelist eröffnet damit vielleicht schon eine universalistische Perspektive, geht also davon aus, dass „die ganze Welt“ die Botschaft vom Reich Gottes hören soll. Aber das ist in der Bibelauslegung umstritten. Die Zahl 72 (bzw. 70) könnte eine Anspielung auf die so genannte Völkertafel des Buches Genesis (Kapitel 10) sein, die die 72 (bzw. 70) Völker nach der Sintflut verzeichnet. Dem entspricht, dass das Lukasevangelium sowohl judenchristliche als auch heidenchristliche Bezüge aufweist; und dem entspricht in der Leseordnung des heutigen 14. Sonntags im Lesejahr C die Verknüpfung des Evangeliums mit der zweiten Lesung aus dem Galaterbrief: „Denn es kommt nicht darauf an, ob einer ­beschnitten oder unbeschnitten ist, sondern darauf, dass er neue Schöpfung ist.“
(Gal 6,15)

Im Erzählzusammenhang des 10. Kapitels des Lukasevangeliums geht es um Boten, die nach Jerusalem vorausgehen und Menschen auf die Botschaft Jesu vorbereiten. In der Zeit der Entstehung des Textes – nach 70 n. Chr. – geht es dann allgemeiner um die Ausbreitung der Botschaft von Jesus Christus, um Umkehr und Nachfolge, um das Reich Gottes. Die Anforderungen an die Ausgesandten sind hoch, das heißt es wird ein konsequentes eigenes Einlassen auf die Botschaft vom Gottesreich eingefordert, eine Lebensform der Nachfolge, die ganz auf das Reich Gottes ausgerichtet ist. Ausdruck dafür sind Bestimmungen wie: „Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe.“ (Lk 10,4a) Das verweist historisch wohl auf die Lebensform der Wandermissionare, in deren Hintergrund wiederum die Erwartung eines zeitlich nahen Anbruchs der Gottesherrschaft stand. Diese Erwartung teilen die weitaus meisten Christinnen und Christen heute nicht mehr, und auch den Einzel­heiten der Vorschriften für die ausgesandten Boten fühlen sich die wenigsten von uns verpflichtet. Es gibt also einen tiefen historischen Graben zwischen dem Text des Evangeliums einerseits und unserem Leben im Österreich des 21. Jahrhunderts ­andererseits. Das mag trivial erscheinen, stellt aber eine Herausforderung dar, wenn wir dem Text irgendetwas für unsere Lebenssituationen in einer modernen Gesellschaft abgewinnen wollen.

Im Zentrum des Sendungsauftrags steht der Friedensgruß – als eine der „Haus­regeln“, die beim Betreten eines Hauses zu befolgen sind. „Sagt als erstes: Friede diesem Haus.“ (Lk 10,5b) Dann entscheidet sich, ob der Friedensgruß auf fruchtbaren Boden fällt oder nicht. Beides ist offensichtlich möglich. An der Reaktion auf den Friedensgruß entscheidet sich der weitere Verlauf der Begegnung. Schon die Formulierung „Ich sende euch wie Schafe mitten unter Wölfe“ (Lk 10,3b) macht deutlich, dass das Scheitern möglich und dass eine erhebliche Gefahr mit der Verkündigung verbunden ist. Dieser Aspekt der Textstelle ist auch von der heutigen Lebenswirklichkeit vieler Christinnen und Christen nicht so weit entfernt, wie es uns aus der mitteleuropäischen Sicht vielleicht zunächst erscheinen mag. In vielen Regionen der Welt ist mit gelebter christlicher Glaubenspraxis tatsächlich eine unmittelbare Gefahr verbunden. Aber auch bei uns in Österreich wird der Friedensgruß des Christentums unterschiedlich beantwortet. Selten freilich mit physischer Gewalt, manchmal aber mit der Verächtlichmachung der Botschaft, immer häufiger mit laut oder leise vorgetragenem Hohn und Spott. Gehen wir nur diesen Fragen nach: Wie lässt sich heute der Friedensgruß der Jünger formulieren? Welche Reaktionen ruft der Friedensgruß in der Umgebung hervor? Was bedeutet das für unsere christliche Praxis?

Die mit der Aussendung der 72 Jünger verbundenen Regeln muten reichlich naiv an. Wenn man eine Botschaft an die Leute bringen möchte, reduziert man nicht seine nach außen sichtbaren Kräfte, macht sich nicht künstlich schwächer als man ist, sondern man versucht zu beeindrucken. In den Aussendungsregeln aber wird die Wehrlosigkeit – „wie Schafe unter Wölfen“ – gewissermaßen zum Programm. Werden die Boten aufgenommen, bleiben sie im Haus, stoßen sie aber auf Ablehnung, gehen sie weiter. Werden sie in einer Stadt aufgenommen, heilen sie Kranke und verkünden das Reich Gottes, werden sie in einer Stadt nicht aufgenommen, schütteln sie sich den Staub von den Füßen und ziehen weiter. So wichtig das politische Hinarbeiten auf eine strukturelle Verbesserung der Situation der Menschen, vor allem der Armen und Bedrängten, eine wichtige Aufgabe der Gläubigen und der Kirche in einem so sehr von rechtlichen Rahmenbedingungen geprägten politischen Gemeinwesen wie dem unseren ist, so bedeutsam ist auch das Motiv dieses Sonntagsevangeliums: Es geht um die schlichte, vielleicht unbedarft wirkende christliche Praxis, um das beharrliche Gehen von Haus zu Haus, von Stadt zu Stadt, um den Friedensgruß zu entbieten, um Kranke zu heilen, um das Reich Gottes zu verkünden. Wir gehen heute mit dem Friedensgruß von Haus zu Haus, wenn wir gegen eine bestimmte Personen treffende Polemik gerade diesen Personen Hilfe anbieten und uns an ihre Seite stellen. Wenn wir Menschen, die hier nicht gern gesehen sind, ein Obdach anbieten oder eine Wohnung organisieren. Wenn wir Personengruppen, die von anderen diffamiert und lächerlich gemacht werden, als GesprächspartnerInnen und Mitmenschen ernst nehmen. Gerade im zurückliegenden Jahr wurde diese Form der bescheidenen und beharrlichen christlichen Praxis vor allem im Umgang mit Fremden und Schutzsuchenden, die zu uns gekommen sind, in Caritas und Pfarren sowie von vielen Einzelnen ausgeübt. Und diese Praxis ist eben auch Verkündigung der Botschaft vom Gottesreich – denn was hätte in den vergangenen Jahrzehnten die Botschaft Jesu Christi überzeugender zum Ausdruck gebracht, was wäre eine plausiblere Demonstration dessen gewesen, was die christliche Botschaft in ihrem Kern ausmacht, als dieser gelebte und vorgelebte Friedensgruß?

Natürlich: Es gibt auch Ablehnung gegenüber jenen, die anderen Menschen helfen; es gibt auch offene Verachtung gegen „Willkommenswinker“. Das ist offenbar eine unvermeidliche Gegenreaktion auf die Verkündigung der christlichen Botschaft, ein Bestandteil der Aussendung „wie Schafe unter die Wölfe“. Es bleibt aber nicht nur das Abschütteln des Staubs und die trotzige Warnung vor dem Endgericht (Lk 10,11f). Die Boten des Reiches Gottes dürfen sich damals wie heute der Wirksamkeit ihrer Verkündigung sicher sein. Im Evangelium kehren die 72 zurück und berichten voll Freude, dass ihnen sogar die Dämonen gehorchen, wenn sie den Namen des Herrn aussprechen. „Nichts wird euch schaden können“ (Lk 10,19c), antwortet Jesus, aber auch: „Doch freut euch nicht darüber, dass euch die Geister gehorchen, sondern freut euch darüber, dass eure Namen im Himmel verzeichnet sind.“ (Lk 10,20)

 

Ein wichtiges Motiv des heutigen Evangeliums wird leicht übersehen, ist aber von wesentlicher Bedeutung: Die Aussendung ist mit dem Gebet verbunden. Bevor ­Jesus sagt: „Geht!“, fordert er die Jünger auf zu beten: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenige Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszu­senden.“ (Lk 10,2) Das gesamte Geschehen ist im Gebet dem Herrn anvertraut. Die Verkündigung des Evangeliums und die ganze christliche Praxis „funktionieren“ nur im Horizont der gläubigen Verbundenheit der Menschen mit Gott. Gottvertrauen brauchen wir auch, wenn wir „wie Schafe unter Wölfe“ ausgesandt sind; und auch die demütige Haltung des ausdauernden, beharrlichen Weitertuns angesichts eines durchwachsenen Erfolgs unserer „Mission“ gewinnen wir wohl nur durch das Gebet.

Zum Gebet sind wir auch heute hier zusammengekommen; zur Verkündigung der Botschaft Jesu Christi, zur christlichen Praxis sind wir von hier ausgesandt in die Welt.

 

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