Sonntag 24. November 2024

... über die wechselhafte Geschichte der Gebote

15. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C

Sozialpredigt zum 15. Sonntag im Jahreskreis | Dtn 30,10-14

 

Autorin: Mag.a Dorothea Schwarzbauer-Haupt

„Es gibt wahrscheinlich keinen Gott, sei fröhlich und genieße dein Leben.“ Das ­wurde von Jahren auf Bussen in London plakatiert. Was für eine Vorstellung von Gott steckt da dahinter! Wenn es Gott gibt, dann kann ich nicht fröhlich sein und mein Leben nicht genießen. Das ist das Gegenteil von dem, was uns Jesus verkündet hat, entspricht aber in etwa der Meinung vieler Menschen über die Kirche als Moral­apostelin. Sie glauben oder haben erfahren, dass die Regeln und Normen, zu deren Einhaltung die Kirche verpflichtet, einengen, das Leben vermiesen und die Selbstentfaltung verhindern können.

Unwiderlegbar ist die Tatsache, dass wir Menschen Regeln und Normen brauchen, wenn wir in Freiheit, Frieden und Respekt zusammen leben möchten. Diese Erfahrung ist der Ursprung der Zehn Gebote, deren Übergabe an Mose in der Bibel erzählt wird.

Das Volk Israel ist aus der Sklaverei in die Wüste geflohen. Aber mit der dort gegebenen Freiheit sind die Menschen überfordert. Jede und jeder dachte, sie oder er kann machen, was sie oder er will. Es herrschte schnell das Recht der Stärkeren und die Schwachen und Hilfsbedürftigen gingen unter. Also wurden Regeln formuliert und die Zehn Gebote von Gott dem Mose übergeben; „in Stein gemeißelt“, gültig für alle Ewigkeit.

Im Lauf der Geschichte aber wurden diese Grundwerte des Zusammenlebens immer stärker ausdifferenziert, sodass es im Judentum zur Zeit Jesu 365 Verbote und 266 Gebote gab. Nur wer die alle zu halten versuchte, konnte als gerechte/r und würdige/r Jude/Jüdin durchgehen.

Dagegen ist Jesus aufgetreten. Mit seinem berühmten Satz: „Dass der Sabbat für den Menschen da sein muss und nicht der Mensch für den Sabbat“, formulierte er die Notwendigkeit, Normen und Gebote immer wieder neu auf ihre Sinnhaftigkeit hin zu hinterfragen. Was nicht mehr zeitgemäß und lebensförderlich ist, sollte abgeschafft oder erneuert werden.

Der Prozess wiederholte sich. Auch die kirchlichen Autoritäten haben wieder hunderte detaillierte Vorschriften und Regeln erlassen um christliches Leben gottgefällig auszurichten. Besonders im Bereich der Sexualität haben ehelos lebende Männer Vieles geregelt und bei Missachtung mit der Hölle gedroht. Dazu kam noch, dass Verstöße gegen die kirchliche Moral von der öffentlichen Gerichtsbarkeit geahndet und bestraft worden sind, wie es zur Zeit der Inquisition üblich war. Die Aufklärung hat gegen dieses System aufbegehrt, aber ihr politischer Arm, die französische Revolution, endete wieder in blutiger Anarchie.

Die Notwendigkeit eines Weltethos, also von Regeln und Normen, die für alle Menschen auf der ganzen Welt ausnahmslos gelten müssen, tauchte in der Folge im menschlichen Bewusstsein auf. So wurden nach dem 2. Weltkrieg die Menschenrechte formuliert und von der UNO 1948 beschlossen. Es verwundert nicht, dass acht von den Zehn Geboten in diesem Wertekatalog enthalten sind, denn schon die Zehn Gebote haben Grundregeln formuliert, die vernünftig, einsehbar und nachvollziehbar sind. Man kann einsehen, dass es wichtig ist das Leben zu schützen, ebenso die Familie und die Partnerschaft. Es ist vernünftig, den Menschen Eigentum zuzugestehen oder das Recht auf periodisch wiederkehrende Freizeit (arbeitsfreier Sonntag), und den Wert der Wahrheit für das vertrauensvolle Zusammenleben von Menschen zu betonen. Ebenso ist es sinnvoll vor Neid zu warnen. Aber diese Menschenrechte und die Zehn Gebote sind nur wie Säulen, die das Dach tragen, unter dem Menschen in Freiheit und Respekt zusammen leben können. Die konkrete Ausgestaltung was notwendig ist, damit diese Grundwerte geschützt werden, muss aber jede Zeit und jede Generation neu verhandeln, diskutieren, formu­lieren und dann zur Beachtung verpflichtend vorlegen.
Was heißt „du sollst nicht töten“ für die Reproduktionsmedizin, für die Todesstrafe, für die Debatte über Euthanasie?
Was heißt „du sollst nicht stehlen“ angesichts des Landraubes durch Konzerne in Afrika, angesichts massenhafter Steuerhinterziehung in großem Stil, angesichts von Zeit fressender Bürokratie?
Was heißt „du sollst den Tag des Herrn heiligen“ angesichts des Streites um die Ladenöffnungszeiten oder des immer mehr abnehmenden Messbesuches?

Leider hat die Kirche in diesem Prozess ein Defizit. Als oft schwerfällige Institu­tion hinkt sie den Entwicklungen hinterher, mischt nicht mutig und gesprächsbereit in den Debatten mit oder ignoriert Erkenntnisse der modernen Wissenschaft.Viele Menschen, die versuchen kirchliche Moralvorstellungen zu beachten, haben daher ein Gefühl des eingeengt Werdens oder der Verpflichtung auf Werte, die sie nicht mehr einsehen oder nachvollziehen können.

Wir als Kirche sollten daher an der heutigen Lesung wieder Maß nehmen. Die Gebote und Weisungen einer kirchlichen Moral und eines Weltethos müssen nahe bei den Menschen sein, klar, einleuchtend und nachvollziehbar. Wer sie einhält, sollte sofort spüren können, dass sie Freiraum geben und den Weg zum Lebensgenuss öffnen. Ein Zusammenleben in Freiheit, Frieden und Respekt macht froh, gibt Sicherheit und ermöglicht Vertrauen. Gerade in Zeiten wo Umbrüche und Veränderungen den Menschen Angst machen und sie verunsichern, ist es entscheidend, dass Regeln und Gebote so formuliert werden, dass sie „in den Herzen“ der Menschen verankert werden können und ihre Beachtung rasch zu Erfahrungen führt, die die Lebensqualität verbessern.

Wenn also, wie zur Zeit des Deuteronomiums, die Menschen wieder klagen, dass die Gesetze, Regeln und Normen von ihrer Lebensrealität so weit weg sind, wie der Himmel oder das jenseitige Ufer des Meeres, ist es höchst an der Zeit, die Prozesse des Nachdenkens und der Diskussion wieder zu starten, damit neue Fassungen und Formulierungen zur Regelung der heutigen Verhältnisse gefunden werden können.

Besinnung:
Ein Pharisäer fragt im heutigen Evangelium, wie er das ewige Leben gewinnen könne. Jesus verweist ihn an die Gebote im jüdischen Gesetz. Aber der Pharisäer gibt sich damit nicht zufrieden, er fragt nach, will eine genauere Antwort. Die Gebote müssen immer wieder auf die je konkrete Situation hin ausgelegt werden. Das kostet Mühe und Zeit. Jesus hat sich diese Zeit genommen und die Geschichte vom barmherzigen Samariter erzählt.

Wenden wir uns ihm zu, der in unserer Mitte ist.

Jesus, du hast uns die Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe vorgelebt.
    Herr, erbarme dich unser
Jesus, geduldig hast du dich den Fragen des Pharisäers gewidmet.
    Christus erbarme dich unser
Jesus, du hast uns gezeigt, dass der Mensch in Not neben uns, unser Nächster ist.                 Herr, erbarme dich unser


Fürbitten:
GL: Gütiger Gott, du willst, dass wir in Freiheit, Frieden und Respekt zusammenleben ­können, deshalb bitten wir dich:

+ für alle, die in den Familien und Schulen Werte vermitteln sollen
+ für alle Generationen, die oft unterschiedliche Wertvorstellungen haben
+ für jene, die an der Erarbeitung und Beschlussfassung von Gesetzen beteiligt sind
+ für jene, die sich um die Erneuerung kirchlicher Gebote und Vorschriften bemühen
+ für alle, die sich schuldig fühlen, weil sie Regeln und Gesetze gebrochen haben
+ für Flüchtlinge und Einheimische, die sich mit unterschiedlichen Regeln und
    Wertvorstellungen auseinander setzen müssen
+ für unsere Verstorbenen, schenke ihnen das ewige Leben bei dir.

GL: Gott, wir vertrauen darauf, dass du uns hörst und nach deinem Willen erhören wirst. Amen

 

 

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