Sonntag 24. November 2024

Durch Berühren der Wunden des Auferstandenen neu vertrauen und Frieden stiften

Sozialpredigt zum Weißen Sonntag (3. April 2016), 2. Sonntag der Osterzeit

 

Autor: Mag. Gerhard Lehrner, Krankenhausseelsorger

Einführung und Bußakt:

Der auferweckte Jesus mit seinen Wunden begrüßt auch uns heute mit „Friede sei euch“.

Aber Kriege, Spannungen, Ungerechtigkeiten stellen uns vor die Frage: Wie kommen wir wieder zu mehr Frieden? Wir brauchen eine Verwandlung durch den Auferstandenen, der sich auch uns mit seinen Wunden zeigt – wie den Jüngern, wie Thomas.

  • Geheimnisvoller Gott: Angst und Ohnmacht verstärken in uns die Gefahr, unsere Türen und Herzen zu verschließen.

Herr, erbarme dich unser

  • Gott der gewaltlosen Liebe: Wir sind versucht, auf Gewaltlösungen zu setzen, die wieder Zerstörung und Leid bringen.

Christus, erbarme dich unser

  • Barmherziger Gott: Wir vergessen oft unser Herz auf dich hin auszurichten.

Herr, erbarme dich unser

 

Predigt:

 

Liebe Schwestern und Brüder auf dem Weg zu mehr Vertrauen!

 

Wie die Freunde des ermordeten Jesus da sitzen, gelähmt in Angst hinter verschlossenen Türen, das kenne ich, kennen sie das auch? Ich sehe vor allem die Gefahr, die mich, uns bedroht. Und in mir, in und unter uns brodeln die Aggressionen oder wir versinken in Resignation.

Wie kommen wir aus dem Teufelskreis der Gewalt heraus? Wie kann mehr Frieden werden? Diese Fragen bewegten mich oft im letzten Jahr. Das war auch für Jesus sehr wichtig. Dreimal sagt er im heutigen Evangelium „Friede sei euch“. Aber wie kann das gehen?

Viele meinen: Noch mehr Waffen, noch mehr Bomben, noch mehr Kontrolle! In Afghanistan, im Irak wird das schon über zehn Jahre lang versucht mit dem Erfolg, dass tausende Menschen flüchten bis zu uns her. Beide Länder sind heute viel instabiler, seitdem zehntausende westliche Bomben Demokratie und Menschenrechte bringen sollten.

Auch zur Zeit von Jesus setzten die Mächtigen auf die Gewalt der Waffen. Und auch Terroristen – die Zeloten - gab es damals. Beide Gruppen versuchten, durch Verhaftung und Hinrichtung von Sündenböcken Frieden und Gerechtigkeit herzustellen. Wie das bis heute immer wieder versucht wird - und nicht gelingt, obwohl wahnsinnig viele Menschen und Ressourcen dafür geopfert werden. Die Massaker an Zivilisten – auch westliche Bombenangriffe treffen meist Zivilisten - sind fehlgeschlagene Opferungen. Sie zeugen von der Unmöglichkeit, Gewalt mittels Gewalt aufzulösen.

Kann uns Glauben da weiterhelfen?

Im Christentum setzte man allzu lange auf die Lehre des „Gerechten Krieges“. In der Verbindung von Thron und Altar ließen sich oft Kirchen und Christen für die Rechtfertigung von Kriegen einspannen. Zum Beispiel betonten die deutschen Bischöfe 1941 nach Beginn des Russlandfeldzuges, dass die Soldaten mit ihrer Pflichterfüllung in der Wehrmacht „nicht nur dem Vaterland dienen, sondern zugleich dem heiligen Willen Gottes folgen“. Damit wurde Religion missbraucht, genauso wie heute von den Kämpfern der IS, des sogenannten „Islamischen Staates“.

 

Was aber wollte und lebte Jesus? Welchen Frieden meinte er?

Jesus hat die Umkehr zu Gott gepredigt. Er war kein Mitläufer der Herrschenden, er hat sich von den Leidenden, Ausgestoßenen, Fremden berühren lassen. Wegen dieses sich-Berührenlassens von den Unreinen, den Sündern, ist er selber angefeindet worden. Er hat das Wort: „Friede sei euch“ gelebt auch auf die Gefahr hin, selber dafür leiden zu müssen.

Selig, die Frieden stiften, hat er gepredigt, und ihr sollt nicht Böses mit Bösem vergelten. Jesus lädt uns sogar zur Feindesliebe ein.

 

Aber was soll das? Ist Feindesliebe nicht total unrealistisch? - frage ich mich und fragen Sie sich vielleicht.

Einmal heißt das: Jesus geht davon aus, dass es Feindschaften gibt – er ist da ganz realistisch. Und er sieht, dass Hass mit Hass zu beantworten die Spirale der Gewalt nur höher dreht und keinen Frieden bringt – auch das ist realistisch. Und er lädt dazu ein, Gewalt durch Liebe zu besiegen. Aber wie kann er so etwas von uns verlangen?

Jesus ist bei der Taufe von Gott zugesagt worden: „Du bist mein geliebter Sohn, über den ich mich von Herzen freue!“

Dieses Bewusstsein des Getragenwerdens von Gottes Liebe hat es Jesus möglich gemacht, auf Feinde mit Liebe zuzugehen. Denn auch Fremde und Feinde sind von Gott geliebte Töchter und Söhne. Jesus lädt uns ein, unsere Feinde zu lieben, weil Gott es auch tut. Er „lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“, sagt er uns in der Bergpredigt. Und Jesus fordert uns auf, zuerst den Balken im eigenen Auge zu sehen, bevor wir den Splitter im Auge des Gegners entfernen wollen.

 

Dass das wahrlich nicht leicht geht, ist Jesus sehr bewusst. Er ist wegen seiner Kritik von den Herrschenden gefangen genommen und umgebracht worden. Und von diesem ermordeten Jesus mit seinen Wunden haben die Jüngerinnen und Jünger bezeugt, dass er von Gott zu neuem Leben erweckt wurde. Der verwundete, gewaltsam Hingerichtete ist von Gott nicht im Stich gelassen worden. Wenn der auferstandene Jesus seine Wunden bewusst zeigt, dann identifiziert er sich mit allen, denen auch Wunden geschlagen wurden. Und den verängstigten Jüngerinnen und Jüngern schenkt er durch seinen Geist wieder Vertrauen an den Gott des Lebens. So wurden aus den Verängstigten wieder mutige Menschen, die jetzt selber auf Verwundete, Angefeindete zugehen und sich so auch auf das Friedenstiften im Sinne Jesu eingelassen haben. Sie spüren: Er ist mit uns, er schenkt uns Frieden trotz Anfeindungen.

Auf die zugehen, die uns auf die Nerven gehen, die uns bedrohen?

Um unseren Mut zu stärken, hat Jesus uns aufgefordert, zu beten für uns und für die, die uns verfolgen. Bittet, sucht, klopft an, sagt uns Jesus immer wieder. Dieses sich-Ausrichten auf Gott brauchen wir immer wieder, um ein Stück Frieden stiften zu können. Wir bitten um das Vertrauen darauf, dass Gott auch heute durch uns in der Welt handeln kann. Wie Jesus und seine Jüngerinnen und Jünger sich berühren lassen, so sind wir auch eingeladen, uns berühren zu lassen von den Verwundeten und Angefeindeten.

Das hat z.B. Franz von Assisi intensiv vorgelebt. Er lebte zur Zeit der Kreuzzüge, die gegen die moslemischen Sarazenen geführt wurden. Da wurden durch die „christlichen“ Heere massenhaft Gewalt und Tod gebracht. Franz ging waffenlos, ohne jeden Schutz, mit nur einem barfüßigen Gefährten in das Lager des Sultans, des Feindes und Antichristen. Mit „Salam alaikum“, also „Der Herr gebe euch Frieden“, grüßte er und wurde freundschaftlich empfangen. Der Sultan hat ihm Schutz zugesagt auf seinem Weg zu den Heiligen Stätten.

Und dieses Wunder des Friedenstiftens ist auch heute möglich. Oder wer hat realistisch erwartet, was in Südafrika unter dem Schwarzen Nelson Mandela an gewaltloser Veränderung passiert ist? So sind auch wir eingeladen, auf die zuzugehen, die wir schwer aushalten, Schritt für Schritt Frieden zu stiften. Dabei ist es immer wichtig, in mir auch das Fehlerhafte zu sehen und beim Fremden, ganz Anderen, beim Gegner auch Gutes wahrzunehmen.

Ich lade ein, heute zu bitten, dass uns Schritte geschenkt werden in dieser Osterzeit, in unseren Herzen anderen Raum zu geben; gerade solchen auch ein Stück Raum zu geben, mit denen wir uns schwer tun. Damit Frieden wachsen kann. Und wir dürfen in Schwierigkeiten vertrauen, dass auch wir mit unseren Verwundungen von Gott gehalten werden wie Jesus, der verwundet zu neuem Leben erweckt wurde.

 

Lesenswert dazu:

Walter Wink: „Verwandlung der Mächte“ Eine Theologie der Gewaltfreiheit, Verlag Pustet, Regensburg 2014

Navid Kermani: „Ungläubiges Staunen“ Über das Christentum, München 2015. Letztes Kapitel:Freundschaft. Franz von Assisi – sein Umgang mit den Muslimen während der Kreuzzüge

 

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