Termine statt.
Termine statt.
Da sitzen sie nun also, die Frauen, Männer und Kinder des Volkes im Exil. Vertrieben aus ihrer Heimat durch die politischen Wirren der Zeit. Nicht unbedingt im Elend, nein, sie finden Platz und ein Dach über den Kopf, aber dennoch: der Verlust der Heimat, der bleibt.
Was war, ist vergangen, und das Fremde ist nun ihr Alltag.
Klar, mit solchen Erfahrungen, was läge da näher als zurückzublicken ins Gestern, an das zu denken was früher war. Sich bannen zu lassen vom Verlust, der verlorenen Heimat, den zugrunde gegangen Bräuchen und Sitten ihrer Heimat. Der Blick ins verlorene Gestern statt ins Jetzt und Morgen.
Ein Volk im Exil also. Kommt uns das bekannt vor? Irgendwie aktuell? Nun, die Worte von Jesaja wurden vor ca. 2.500 Jahren niedergeschrieben. Und doch, irgendwie scheint das merkwürdig aktuell zu sein heute. Es ist schwer, angesichts dieser Zeilen nicht ans Europa im Jahr 2016 zu denken.
Wollen wir es also versuchen aufs Heute anzuwenden. Nun, dann fällt gleich eines auf – das Volk im Exil, die Erfahrung gewaltsam versetzt worden zu sein in die Fremde, das ist nicht die Erfahrung der Mehrheitsgesellschaft hier und heute. Nein, wir müssen die Geflohenen befragen, ihre Erfahrungen zu Wort kommen lassen – auf sie trifft zu, dass sie des Trosts bedürfen, dass sie jemanden benötigen, der ihnen zuspricht, das da noch was anderes möglich ist, und es schon ganz leise jetzt und hier beginnt.
Sie benötigen die liebevolle beharrliche Zuwendung, die ihnen dazu verhelfen kann, dass die Wüste der jetzigen Realität und der von der Vergangenheit gebannte Jes 43,16-21 Blick wieder auf die Zukunft gerichtet werden können.
An ihrer Seite steht Gott, in all ihrer Verlorenheit wendet er sich ihnen zu. Es ist auch an Gott, ihnen beizustehen, es ist nicht an ihnen selber, sich aus eigener Kraft aus dem Sumpf zu ziehen, nein, sie brauchen Zuspruch von außen. Erst dann lernen sie wieder neu zu sehen, merken auf, ja es geht weiter, da kommt noch was. Nun, vermessen ist es, all die einfach mit Gott gleichzusetzen, die zu dem tausendfachen leisen Chor, gehören die diese Funktion derzeit in unserem Land übernehmen. Aber nehmen wir mal an, dass all die Menschen teilhaben an der Stimme Gottes, die sich bewegen haben lassen, aktiv zu werden. Nehmen wir an, dass sie ein kleines Stück die Stimme Jesajas werden für die Verzweifelten. Ja, all die, die jetzt oft geschmäht werden als Vertreterinnen und Vertreter der sogenannten Willkommenskultur. Nun, abseits vom politischen Getöse und den umherwirbelnden und oft Herz und Hirn vernebelnden Schlagzeilen: tausende Menschen im Land stimmen ein in diesen Zuspruch Gottes.
Sie bieten Kontakt an, sie gehen zu auf die vielen, die da erschöpft sind und oft nicht mehr wissen was nun werden soll. Nein, das ist natürlich nicht einfach und kein Honiglecken, und wir dürfen vermuten, auch der Prophet hat es nicht mit ein paar Worten geschafft, dass die Köpfe wieder hochgehen und das Neue gesehen wird, das langsam zum Vorschein kommt. Nein, eher wird es ein langer Prozess sein, ein Tasten und erstes Aufmerken, ein neues Vertrauen lernen. Und so gesehen gilt doch auch der Trost dieser Zeilen vielleicht auch uns, als Österreicherinnen und Österreichern. Wir sind ein Teil dieses Prozesses – wenn wir wollen.
Denn es passiert landauf, landab sehr viel in dieser Richtung, es gibt hundertfach, wenn nicht tausendfach Initiativen, die versuchen, sich einzulassen auf dieses große Projekt der Hilfe, der Nächstenliebe. Leute aus Pfarren, aus allen möglichen Kirchen, den Nachbarschaften, aus islamischen Vereinen, Atheisten, Junge und Alte, die ganze kunterbunte Mischung unsere Gesellschaft. Zigtausende sind es im ganzen Land – das was sich an den Bahnhöfen an Engagement abgebildet hat, ist nur ein ganz kleiner Ausschnitt gewesen.
Und wie schwingen all diese ein in die Haltung Gottes, der auf der Seite derer steht, die im fremden Land angekommen sind? Nüchtern, nicht naiv, wie oft unterstellt wird, aber doch ganz klar mit der Absicht, nicht passiv zuschauen zu wollen. Und wir alle, die wir uns darauf einlassen, bekennen uns auch zu diesem Willkommen – was denn auch sonst? Und klar ist diesen allen: ein langer Atem ist gefragt, die Energie und Beharrlichkeit eines Jesaja.
Und auch wenn es angesichts der medialen Schlagzeilen fast vermessen scheint: diese Erfahrungen, diese unzähligen Alltagsschritte, die sind eine gute Nachricht, die geben Grund zur Hoffnung, dass das Wasser wieder zu fließen beginnt, dass die Erstarrung wieder gelöst wird.
So wird an zahllosen Orten zuerst ein Pfad sichtbar, dann vielleicht ein Weg wie es gehen könnte – das große Wort von der Integration, das an tausenden Orten gelebt wird, ohne vielleicht große Worte drum zu machen.
Das mag helfen, wenn sich der öffentliche Blick, das mediale Auge festsaugt an den bad news, an dem Schwierigen. Der Blick aber ins Detail, das genaue Hinschauen, das erst gibt wieder Hoffnung. Und diesen Blick kriegen wir abseits von Zeitung und facebook und dem politischen Tagesgeschäft. Und dann sehen wir, vielleicht auch in unserem Haus, um die Ecke herum, im Dorf oder Viertel – da ist Neues schon da, unverhofft, unscheinbar, aber doch unaufhaltsam mächtig. Merken wir es? An vielen Ecken und Enden findet das notwendende Engagement statt. Und dürfen wir darauf vertrauen: da ist auch Gott am Werk in aller Stille und Verborgenheit. Und wir mit ihm. Damals in Babylon, heute in Österreich.
Kontext:
Nicht müde werden
Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten.
Aus: Hilde Domin, Gesammelte Gedichte, Frankfurt a. Main 1987, S. 294