Mittwoch 26. Februar 2025

Wo ist unsere Heimat?

Sonntag, 31. Jänner 2010,

Lesejahr C

Lk 4,21-30

 

Autor: DDr. Severin Renoldner

"Kein Prophet wird in seiner Heimat anerkannt." - Mit diesem harten Wort drückt Jesus auch eine eigene Erfahrung aus: nirgendwo lässt sich die Botschaft vom Reich Gottes so schwer verkündigen, wie dort, wo Du geboren bist, wo man Dich "von klein auf" kennt. Die Leute in Nazaret haben Jesus weniger freundlich empfangen - irgendwie hat er das schon erwartet. Soll er doch bei uns auch so große Wunder wirken wie drüben im Nachbarort Kafarnaum! Denken wir uns die Rivalität von Nachbarorten hinzu: da bist Du doch schon ein Verräter wenn Du "bei denen dort drüben" etwas Großes getan hast, bevor Du überhaupt hier zu Hause zu wirken beginnst.

 

Nicht, dass man ihm zu Hause keinen Erfolg gönnt. Im Gegenteil, man wäre stolz, von einem "Sohn unserer Gemeinde" in der Zeitung lesen, wie er ein Abfahrtsrennen gewonnen, oder von einer Tochter unseres Ortes, die einen Schönheitspreis lukriert habe, wie einer Direktor geworden ist oder Landesrat, oder dass er "neuerdings der Chef von 300 Mitarbeitern bei der xx Firma geworden sein soll". Solche Nachrichten werden gern gehört und wir sind gewöhnlich stolz darauf, dass wir Herrn xy, der Karriere gemacht hat, der anerkannt wird, der mit den Großen der Welt auf Du ist, ganz privat kennen und sogar seine Lausbubenstreiche noch erzählen können.

 

Aber mit der Botschaft vom Reich Gottes ist es scheinbar etwas Anderes. Ganz zu Recht erwähnt der Evangelist Lukas, dass es auch den Propheten des Alten Testamentes oft so ergangen ist wie Jesus in seiner heimatlichen Umgebung: wenn sie die Wirklichkeit Gottes gegen die gelebte Praxis der Menschen gestellt haben, war man plötzlich weniger stolz auf sie. Sie erhielten nicht den Würdigungspreis für ehrenamtliches Engagement, das silberne Verdienstkreuz des Landes oder den Siegelring der Gemeinde, aus der sie stammten, sondern über sie sagte man vielleicht: Der war schon als Kind irgendwie "eigen". Vielleicht ist er verrückt.

 

So sehr uns die Worte einiger der "Propheten", die uns von der Wirklichkeit Gottes und seiner ganz anderen Gerechtigkeit erzählen, berühren - manchen sind wir vielleicht schon selbst begegnet - so sehr scheinen wir ihnen dann doch wieder nicht zu nahe kommen zu wollen, weil uns ihre Botschaft auch Angst macht. Vielleicht müssten wir ja unseren Lebensstil ändern, wenn wir mit diesen Propheten allzu eng verbunden wären, etwas abgeben, etwas weniger auf uns selbst bedacht und etwas mehr auf die anderen, das Gemeinwohl, die soziale Verteilung. So ist es auch Jesus ergangen. Viele sagten sich: Faszinierend ist Jesus schon, offensichtlich ein auffälliger Mensch, über den besondere Dinge erzählt werden. Aber er gehört doch nicht ganz zu uns. Jesus der Heimatlose.

 

Wo haben wir unsere Heimat, wir die wir an das Reich Gottes glauben, die auf die Auferstehung Christi vertrauen, denen die Liebe zu den Geringsten wichtiger ist als der eigene Vorteil - oder ist sie uns vielleicht doch nicht das Wichtigste? In der Tat, wer wie die Jünger Jesu alles aufs Spiel setzt und Christus besitzlos nachfolgt, der wird in gewisser Hinsicht immer weniger Heimat haben, zumindest in Form von Grundeigentum, Besitz, Anerkennung. Er oder sie muss Heimat suchen bei Gott, das heißt aber im Verständnis Jesu: Heimat bei den "Zöllnern und Sündern", in der "schlechten Gesellschaft" Jesu (Adolf Holl), Heimat dort, wo so vieles unsicher ist, und wo so viele unsichere Menschen leben. Unsere eigentliche Heimat ist bei Gott - ist das eher ein Trost im Leben oder eine resignative Aussage, weil wir hier auf Der Welt eben nicht so recht Heimat finden?

 

Ich meine, es kommt gerade auf diesen Unterschied an: Trost oder Resignation. Resignation - angesichts des Sterbens, angesichts der mangelnden Anerkennung, oder angesichts der scheinbaren Niederlage: das Verkünden der Botschaft Christi ist - ähnlich wie bei den Propheten - oft keine Erfolgsgeschichte, sondern mit Verachtung, Geringschätzung verbunden. Keine Heimat zu haben, das ist in diesem Fall ein Ausdruck der Verzweiflung. Die Hoffnung erfüllt sich nicht. Wir haben keine Heimat. Wenn wir dann sagen, Gott sei unsere Heimat, dann ist Gott nur der Negativbegriff: der Ort der eigentlich nirgendwo ist (U-topia).

 

Trost ist etwas ganz anderes, Trost ist mehr als nur ein Taschentuch, das auf die Tränen der Heimatlosen gedrückt wird. Trost bedeutet Zuwendung, echte Zuwendung, die den anderen wahr nimmt und ihm das ersetzt, was er nicht hat: Heimat. Im Trost ist immer ein Stück Heimat verborgen. Trost, wenn er kein oberflächliches "Tschuldigung!" oder "sorry!" oder "das tut mir aber leid!", sondern echter Trost ist, ist Ausdruck der Zuwendung, die letztlich in der Zuwendung Gottes gründet. Deshalb hat die Bibel den Begriff Trost immer wieder in Gebrauch. Bei Gott ist unsere Zuversicht. Er selbst ist unser Trost. Dieser Trost enthält immer auch die Zusage, dass wahre Heimat da ist, dass man aufgenommen ist.

 

Was von Gott kommt, ist nicht nur ein kleiner Ersatz für Enttäuschung und erlittenes Leiden - (Wie wenn man zu einem Kind sagt: "Du bekommst ein Zuckerl, weil Du heute so tapfer warst!"). Dieser Ersatz ist mehr als alles was man erwarten konnte. Er geht bei weitem über das Ersetzte, die alte, verlorene Heimat, hinaus. Daher hat die Heimatlosigkeit der Jünger Jesu tatsächlich etwas fröhlich-Zuversichtliches an sich. Es bedarf aber einer Grundentscheidung in uns Menschen, ob wir eher das Zuversichtliche, den echten Trost annehmen, oder in die Resignation ausweichen.

Österreich den Österreichern. Wir bleiben unter uns. Daham statt Islam. In nationalistischen und rassistischen Sprüchen kommt auch immer ein Bedürfnis nach Heimat zum Ausdruck. Bevor wir die dummen Sprüche verurteilen, müssen wir diese Botschaft vernehmen. Man will daheim sein, Herr im eigenen Haus, nicht bedrängt durch andere, dazugehörig, sicher, geborgen. Nationalismus ist überall dort erfolgreich, wo die Menschen Angst haben, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Dieser Verlust ist schwerwiegend. Es ist immer notwendig Heimat zu vermitteln. Alle Menschen, am deutlichsten Kinder, aber eben auch Erwachsene, haben ein berechtigtes und notwendiges Bedürfnis danach, beheimatet zu sein, gut auf dem Boden zu stehen.

Daher ist Heimat nicht nur im Jenseits zu suchen, sondern es gehört zur christlichen Nächstenliebe, Heimat hier und jetzt zu vermitteln. Das Bedürfnis nach Heimat ist wie Hunger oder Durst. Aber nicht alle Menschen haben eine Heimat dort wo sie geboren wurden. Nicht alle können dorthin zurückkehren, wo wir - ohne nachzusehen - meinen, dass sie "hingehören". Migration ist nicht nur das Schicksal der Menschen aus arabischen, afrikanischen Ländern, Bosnien-Herzegovina, Tschetschenien etc. Auch von den in Österreich Geborenen lebt nur eine Minderheit von Menschen an dem Ort an dem sie aufgewachsen ist. Die meisten wechseln, wenn nicht schon mit den Eltern, dann durch eigene Berufswahl, Ausbildung, Studium, Partner. Wir sind fast alle irgendwann im Leben MigrantInnen, wir müssen Abschiede nehmen und uns neu beheimaten. Nur wenige bleiben am Ort ihr ganzes Leben lang.

Wer glaubt, er könne immer dort bleiben wo er immer schon war, kann in folgende Versuchung geraten: zu wollen, dass alle anderen auch so bleiben müssen, wie es „immer schon“ war. Mama, Papa, Freunde und Freundinnen - alle müssen mich so umgeben und so für mich da sein, wie es einmal gut und schön war. Diese kindlichen Träume haben wir wohl alle manchmal, aber das Leben ist anders. Menschen sterben, andere werden geboren. Auch der alte Mensch kann das Gefühl haben, "das hier" sei nicht mehr so richtig seine Heimat, weil sich die Menschen und Gebräuche so verändert haben. Selbst wenn er nie umgezogen ist, kann er sich fremd, heimatlos fühlen.

Heimat im diesseitigen Leben muss immer neu begründet werden. Heimat entsteht dort, wo Liebe, Mitmenschlichkeit und Freundschaft, wo Solidarität und Anteilnahme gelebt wird. In dieser neu geschaffenen Heimat lebt etwas von unserer alten Heimat auf, aus der Kindheit, was uns die Eltern oder Großeltern noch "mitgegeben" haben. Auf einmal wird es wieder Wirklichkeit, und ist gar nicht vergangen. Und doch ist es immer eine Neugründung. Heimat wird neu gesetzt, Menschen wird aufs Neue vermittelt: Du bist hier erwünscht, geborgen, es ist gut, dass Du hier bist.

Aber wir müssen diese Art Heimat zulassen und gestalten. Wer sich der Neuschaffung von Heimat widersetzt, sich dagegen sperrt, weil er meint, es müsse alles so bleiben wie seinerzeit, der verliert in Wahrheit alles. Auch wenn er alle krampfhaften Versuche unternimmt, durch Sprache, Dialekt, Traditionen und alte Bräuche die Vergangenheit zu erhalten, wird er sich immer fremder fühlen.

Wo finden wir Heimat auf dieser Welt, die den Asylanten vertreibt und behauptet, selbst immer schon da gewesen zu sein? Wo ist die Heimat von Arigona Zogaj, die man im Kosovo nicht leben lässt und aus Österreich hinauswerfen will? Ist die Heimat der Gastarbeiterkinder nicht längst Österreich geworden? Ist ihnen Österreich eine gute Heimat?

Mit welchem Recht sagt eigentlich jemand: "das hier ist nur meine, nicht aber Deine Heimat"? Das Leben ist ein Geschenk Gottes und keineswegs unser Verdienst. Ist es unser Verdienst Österreicher(in), OberösterreicherIn, Grieskirchner(in) ... (eigene Gemeinde einsetzen) zu sein? Warum ist etwa Südafrika die Heimat so vieler Weißer aus Europa geworden, die sich seit dem 19. Jahrhundert dort niedergelassen haben? Ist es natürlich, logisch oder kann es verlangt werden, dass Europa keinem Menschen dunkler Hautfarbe Heimat werden kann? Der Philosoph Immanuel Kant sagte, dass kein Mensch von Natur aus mehr Recht habe als irgend ein anderer, an einem bestimmten Ort der Erde zu leben, da Gott die Erde allen als Geschenk gegeben hat.

Heimat zu schützen, Migration gar nicht erst notwendig zu machen, indem Heimat bewohnbar und lebenswert bleibt, das ist ein großes Ziel. Aber nicht immer und für alle Menschen ist es erreichbar. Daher haben die MigrantInnen die wichtige Aufgabe, uns an das zu erinnern, was wir, die wir gerade nicht auswandern, vielleicht vergessen könnten: dass auch wir Heimat immer neu errichten müssen, in der Gemeinschaft mit anderen Menschen.

 

Fürbitten

 

Dank für die MigrantInnen, dass Gott sie uns als Zeugen gesendet hat, damit sie uns an unseren eigenen Hunger nach Heimat, nach Gastfreundschaft und „Angenommen-Sein“ erinnern.

 

Evt. weitere "humanitäre" Fürbitten für jene die aufgenommen werden müssen, Heimat vermissen etc., dass sie Menschen finden, die ihnen Angenommen-Sein vermitteln, Strukturen und Gerechtigkeit, die sie leben lassen.

 

 

 

Lieder

 

GL 291 Wer unterm Schutz des Höchsten steht

GL 298 Herr unser Herr

 

 

Gesellschaft & Soziales
4020 Linz
Kapuzinerstraße 84
Telefon: 0732/7610-3251
Telefax: 0732/7610-3779
Katholische Kirche in Oberösterreich
Diözese Linz

Herrenstraße 19
4020 Linz
https://www.dioezese-linz.at/
Darstellung: