Termine statt.
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Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!
Wie bei Matthäus, gibt es auch von Lukas eine „Bergpredigt“ ähnlichen Inhalts, genannt „Feldrede“. Der heute gehörte Evangeliumsabschnitt bei Lukas knüpft unmittelbar daran an und beinhaltet verschiedene Jesusworte. Radikaler wie Matthäus in den Ausdeutungen, wie ich finde – und diese Jesusworte haben Christen und Christinnen über alle Jahrhunderte hinweg herausgefordert.
„Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen!“ (Lk 6,27)
„Dem, der dich auf die Wange schlägt, halt auch die andere hin und dem, der dir den Mantel wegnimmt, lass auch das Hemd!“ (Lk 6,29)
Starke, provokante Worte! Nur Worte - oder auch Anspruch für ein christliches Leben im Alltag heute?
Viele Getaufte haben sich mit diesen Vorgaben auseinandergesetzt und immer wieder Antworten gesucht oder sich auch darüber hinweg geschwindelt, hinweg gesetzt.
Hinweg geschwindelt, indem man es erst gar nicht beachtet. Pikanterweise fällt gerade diese Bibelstelle in der Leseordnung der Kirche immer wieder aus, weil sie durch den kalendermäßig unterschiedlichen Einschub von Fastenzeit und Osterzeit in nicht wenigen Jahren übersprungen wird.
Hinweggesetzt, weil über die Jahrhunderte hindurch nicht gelebt oder sogar gegenteilig gehandelt wurde und wird.
Und niemandem steht es wohl zu, sich darüber moralisch zu erheben. Es ist einfach zu schwierig, zu herausfordernd.
Keine und keiner kann auf eine ähnliche Sternstunde hoffen, wie sie David in der Lesung aus dem ersten Buch Samuel zugeschrieben wird: den Verfolger, der dem verfolgten David wehrlos ausgeliefert war, nicht anzutasten. Ihm im Moment der eigenen Stärke keinen Schaden anzufügen.
Und dennoch sind wir Getauften aufgefordert und ist es immer einen Versuch wert, im konkreten Anlassfall seine eigene Anwendung und Haltung dazu zu finden.
In einem jahrelang anhaltenden Nachbarschaftskonflikt beispielsweise. Wenn ein Wegziehen keine Option ist, Gespräche und Vermittlungsangebote Dritter nicht angenommen werden. Wie reagieren auf jahrelangen Psychoterror der Nachbar *innen über mir? Wie Ohnmacht, Angst, aber auch eigene Wut und Aggression aushalten und bändigen?
In einzelnen Momenten der Besinnung und der Reflexion – auch mit externer geistlicher Begleitung, therapeutischer Beratung und vielen Gesprächen im Freundeskreis – ist mir mehr und mehr bewusst geworden, dass ich nicht in die Dynamik von psychischer Gewalt und Zerstörung einsteigen möchte, sondern eine alternative Haltung an den Tag legen möchte. Eine immense Herausforderung, manchmal gelungen, des Öfteren auch nicht – oft genug kam ich an meine eigenen Grenzen. Aber mein Anspruch war da: mich nicht entmutigen zu lassen von Rückschlägen, vom eigenen Scheitern.
„Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen!“ (Lk 6,28) hieß dann in meinem Konfliktfall ganz konkret: Mir in guten Momenten immer wieder vorzustellen, dass auch diese Nachbarn, die mich verfolgen, von irgendwem geliebte Menschen sind, irgendwo auch ihre guten Seiten haben. Dass es bestimmt Gründe gibt, warum sie sich so verhalten, mir gegenüber und allen Nachbar*innen im Haus – auch wenn wir nicht mehr die ursächlichen Auslöser dieser Gründe waren. In der systemischen Beratung gibt es einen zentralen Satz: Jeder tut fast alles aus Liebe. Auch wenn sich dies mit den Jahren dann oft ins Gegenteil verkehrt.
Das ständige Abwägen darüber hat mich immer mehr darin bestärkt, nicht auf ihre Art und Weise reagieren zu wollen, nicht in ihre destruktive Dynamik einsteigen zu wollen. Und dennoch zu bleiben, durchzuhalten. Bis sich das Problem auf andere Art und Weise erledigt hat. Die Nachbarn sind ausgezogen.
Interessant finde ich, dass Lukas inmitten der ausdeutenden Worte der Feldrede einen erklärenden Satz einfügt – den viele Jahrhunderte später der Philosoph Emmanuel Kant für seinen Kategorischen Imperativ aufgegriffen hat: „Und wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut auch ihr ihnen!“ (Lk 6,31)
Selbstverständlich gilt dies auch gerade für heute, in unserer aktuellen gesellschaftlichen Situation, vor allem in Bezug auf die Corona-Pandemie: Jeder und jede ist zur Eigenverantwortung aufgerufen und zum friedlichen, respektvollen – ja, liebenden – Blick auf andere. Besonders auf jene, die augenscheinlich nicht meiner Meinung sind, nicht meine Freund*innen sind. Und ohne dabei meine wohlüberlegte und reflektierte Sichtweise oder Meinung aufzugeben.
Demonstrationen vor Krankenhäusern, die das Gesundheitspersonal, Patient*innen und Angehörige massiv verstören, offene Angriffe auf Menschen aus den Gesundheitsberufen, die sich für die Betreuung Kranker und Pflegebedürftiger großen Belastungen aussetzen – das entspricht wohl dem Gegenteil von all dem, was die zentralen Botschaften des Evangeliums meinen.
Schön, dass mehrere besonnene Gruppierungen in unserem Land hier zu „alternativen“ Demonstrationen aufrufen: Lichtermeere, Schweige-Kundgebungen und ähnliches: für das Leben, für die Freiheit des Einzelnen im Licht des Gemeinsamen, für die oft selbstlos Helfenden im Land, für die Verstorbenen.
Eine friedliche und respektvolle Weise – um den Lauten, Radikalen und Gewaltbereiten zu signalisieren: so geht es nicht, es geht auch anders.
So wie die Leseordnung des heutigen Sonntags möchte auch ich folgenden Satz an den Schluss stellen:
„Gebt, dann wird auch euch gegeben werden! Ein gutes, volles, gehäuftes, überfließendes Maß wird man euch in den Schoß legen; denn nach dem Maß, mit dem ihr messt, wird auch euch zugemessen werden.“ (Lk 6,38)
Amen.
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