Donnerstag 28. November 2024

Die Liebe Gottes und soziale Gerechtigkeit – an welchen Tischen sitzen wir?

Sozialpredigt zum 3. Adventssonntag (12. Dezember 2021) im Jahreskreis | Lesejahr C
Autorin: Katrin Pointner, BA, Referentin der Abtlg. Gesellschaft & Theologie, Pastoralamt Linz

Lk 3,10-18 und Zef 3,14-17

Liebe Gottesdienstgemeinde,

wir sollen Gott und unseren Nächsten lieben. Kirchenbesucher*innen und Gläubigen ist dieses (das wichtigste aller) Gebote nicht unbekannt. Aber machen wir uns auch Gedanken darüber, dass Gott UNS liebt? In der heutigen Lesung hören wir: Gott freut sich über uns. Er jubelt über dich und mich. Über jeden von uns. 

 

Doch allzu oft sehen wir uns dann an, unsere süßen, aber ziemlich vorlauten Kinder und unsere immer nur halb aufgeräumte Wohnung, unsere nur sehr langsam voranschreitende Karriere und denken: Darüber soll Gott jubeln? Warum sollte irgendjemand, insbesondere Gott darüber jubeln?! Vielleicht sind wir gefangen in dem Denken, dass wir etwas leisten müssen, damit sich jemand über uns freut oder mit uns freut. Dass wir etwas besonders und außerordentlich gut machen müssen, damit andere über uns jubeln. Das mag bei Menschen, insbesondere in unserer leistungsorientierten Gesellschaft so sein. Liebe muss allzu oft verdient werden. Bei Gott jedoch ist es anders. Er liebt uns und zwar nicht mit einer, „Du tust etwas für mich und dann tue ich etwas für dich“ -artigen Liebe, sondern mit einer barmherzigen, verrückten Art der Liebe, die tatsächlich keine Bedingungen stellt. Wenn wir diese so ganz andere Art der Liebe kennen lernen und erleben dürfen, kann sie uns dazu befähigen, Jesus wirklich nachzufolgen. 

Bernice King, die jüngste Tochter des Bürgerrechtlers Martin Luther King Jr., hat einmal gesagt: „Soziale Gerechtigkeit ist Liebe angewandt auf Systeme, Politik und Kultur.“ Die Liebe Gottes also, die uns geschenkt wird - nicht weil wir besonders attraktiv oder begabt sind, sondern schlicht weil wir Menschen sind – diese Liebe will angewandt werden. Sie ist nicht unser kleiner persönlicher Schatz, den wir horten sollen oder unser besonderes Geheimnis, das uns hilft unser Leben leichter zu bewältigen. Sie ist nicht privat, sondern öffentlich, auf Beziehungen ausgerichtet.

 

Wie sieht Liebe aus, die auf unsere Systeme, unsere Politik und Kultur angewandt wird? Vielleicht wie ein Sozial- und Gesundheitssystem, das jedem Menschen den Zugang zu einer medizinischen Behandlung ermöglicht, ohne Ansehen der Person oder des Kontostandes. Vielleicht sieht Liebe angewandt auf unsere Politik aus wie ein Wahlsystem, das jedem Menschen eine Stimme gibt, auch jenen, die noch keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzen oder ein Wahlprogramm, das besonders schutzbedürftige Menschen in den Mittelpunkt stellt und nicht nur die Wünsche der oberen Mittelschicht. Vielleicht sieht diese Liebe aus wie eine Petition, die ein höheres Arbeitslosengeld fordert oder wie eine Forderung nach höheren Steuern für Superreiche. Liebe ist mehr als eine warme Umarmung und ein nettes Wort – nicht, dass das nicht wichtig wäre. Auch Jesus hat Menschen umarmt und getröstet. Nur ist er dabei nicht stehen geblieben. Seine Liebe umfasste auch eine „Störaktion“ in einem Tempel, bei dem einige Tische umgestoßen wurden. Er hat auf die Gefahr von Machtmissbrauch und überbordendem Reichtum hingewiesen und Gerechtigkeit für alle gefordert. Jesus hat vor allem nicht nur „über“ finanziell und sozial benachteiligte Menschen gesprochen, sondern ein zentraler Aspekt seines Wirkens war es MIT Menschen zu sprechen, die zur damaligen Zeit am Rand der Gesellschaft standen – darin eingeschlossen Frauen, Kinder und nicht besonders beliebte Berufsgruppen, wie zum Beispiel Steuereintreiber. Jesus hat mit diesen Menschen gesprochen, er hat mit ihnen gegessen, gebetet und hat sie Freund*innen genannt. Murphy Davis eine Theologin, die sich besonders für obdachlose Menschen und Menschen im Gefängnis eingesetzt hat, formuliert es so: „Ohne gemeinsames Abendessen, ohne Liebe, ohne Tischgemeinschaft, kann Gerechtigkeit ein Programm werden, dass wir anderen Menschen „antun“. Murphy gründete die „Open Door Community“. In einem großen Haus, konnten zuvor obdachlose Menschen ein Zuhause und die nötige Versorgung vorfinden, während sie gemeinsam für mehr soziale Gerechtigkeit kämpften. Auch Menschen, denen in Amerika die Todesstrafe drohte stand sie bei. Ein Kollege von ihr schrieb nach ihrem Tod über sie, dass sie mehr Zeit hinter Gittern verbracht hatte als so manche*r Verbrecher*in. Sie war also direkt und ganz nah bei den Menschen, denen sie helfen wollte und setzte sich gleichzeitig für ihre Rechte ein. Mit wem haben wir selbst Tischgemeinschaft, mit wem essen wir zu Abend? Sitzen wir an den Tischen an denen Jesus sitzen würde?

 

Johannes der Täufer fordert in der heutigen Lesung auf: Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso! Die christliche Sozialistin und Journalistin Dorothy Day drückte es noch radikaler aus: „Wenn du zwei Mäntel hast, hast du einen davon den Armen gestohlen.“ Diese Aussagen deuten beide auf etwas Profundes hin: Liebe ist mehr als „Charity“, also Wohltätigkeit. Liebe bedeutet auch Gerechtigkeit. Es ist schlicht nicht gerecht, wenn ich mehr Mäntel besitze als nötig, während andere Menschen frieren müssen. In unsere heutige Zeit übersetzt könnte es heißen: Ist es gerecht, dass 1,2 Milliarden Menschen von weniger als 1,50 Euro pro Tag leben müssen, während viele von uns mit diesem Betrag, ohne auch nur einen Moment darüber nachzudenken, ihr Parkticket für 1 Stunde bezahlen? Etwas vom eigenen Reichtum abzugeben ist keine milde, fromme Gabenleistung, sondern ein Akt der Gerechtigkeit, ein Ausgleich von ungerechten Verhältnissen, die ich persönlich vielleicht nicht direkt verschuldet habe, zu dessen Änderung ich aber sehr wohl beitragen will. Die ungerechten Verhältnisse in der Welt, in Österreich und vielleicht sogar in unserem Leben sollten uns aber nicht resignieren lassen. Wir dürfen uns davon bewegen und berühren lassen und mit Gottes Unterstützung auf dem Weg hin zu mehr Gerechtigkeit rechnen. „Gott ist in unserer Mitte“, hören wir in der heutigen Lesung. Darauf dürfen wir vertrauen!

 

Vielleicht fragen wir heute und insbesondere mit Blick auf Weihnachten: Wie sieht meine und wie sieht unsere konkrete und angewandte Liebe heute aus? Immer im Hinblick darauf wie Gottes Liebe zu uns aussieht: Nicht erklärbar, aber erlebbar. Und nicht ausgerichtet auf unsere Leistungen, Sympathie oder Begabungen, sondern darauf, dass wir geliebte Kinder sind, die alle gemeinsam den Namen „Mensch“ tragen. Amen.

 

Fürbitten:

Gott du liebst jeden Menschen und bist in schweren Zeiten an unserer Seite. Darum bitten wir dich: 

 

  • Wir bitten dich, stehe allen Menschen bei, die von Ungerechtigkeit betroffen sind und unterstütze sie und jene, die an ihrer Seite stehen, damit sie in Frieden und Würde leben können.
  • Wir bitten dich, gib uns ein großes Herz, das sich nach Gerechtigkeit und Freiheit sehnt und das ohne (Vor-)Urteile lieben kann.
  • Wir bitten dich, unterstütze uns dabei mitzubauen an einer gerechten und sozialen Gesellschaft, die ein Leben in Fülle für alle Menschen ermöglicht. 
  • Wir bitten dich, lass uns erkennen, wie du über uns jubelst und lass uns Geborgenheit finden in der Erkenntnis, dass du dich über uns freust. 


Gebet der Vereinten Nationen:

 

Herr, unsere Erde ist nur ein kleines Gestirn im großen Weltall.
An uns liegt es, daraus einen Planeten zu machen,
dessen Geschöpfe nicht von Kriegen gepeinigt werden,
nicht von Hunger und Furcht gequält,
nicht zerrissen in sinnlose Trennung nach Rasse, Hautfarbe oder Weltanschauung.
Gib uns Mut und Voraussicht, schon heute mit diesem Werk zu beginnen,
damit unsere Kinder und Kindeskinder einst stolz den Namen Mensch tragen. Amen.
(Stephen Vincent Benét, 1942)

 

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