Sonntag 24. November 2024

Arbeitslose Jugendliche brauchen Perspektiven „Das Warten und Hoffen ist schwer“

Predigt zum 2. Sonntag der Osterzeit im Lesejahr C, Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit, 

zum Tag der Arbeitslosen, 30. April und Tag der Arbeit, 1. Mai  2019

Autor: Dr. Manfred Scheuer, Bischof der Diözese Linz

Schrifttexte: Apg 5,12-16; Offb 1,9-11a.12-13.17-19; Joh 20,19-31 

10.000 junge Menschen werden in Oberösterreich auf ihrem Weg in die Arbeitswelt durch unterschiedliche Unterstützungsangebote begleitet. In einem gemeinsamen Projekt von Bischöflicher Arbeitslosenstiftung, Katholischer Jugend, Betriebsseelsorge und Arbeiterkammer werden diese jungen Menschen aktuell befragt, wie es ihnen geht und was sie sich von der Politik erhoffen. Ein Jugendlicher beschreibt seine Erfahrungen in einem Arbeitsvermittlungskurs folgendermaßen:

 

„Man wird motiviert etwas zu tun und Bewerbungen zu schreiben, man ist mit Gleichaltrigen und Gleichgesinnten beisammen. Man ist somit nicht allein mit seiner Situation. Der Kurs ist sehr hilfreich bei Absagen – das Warten und Hoffen ist schwer.“ 


Verdichtet wird hier Wesentliches zum Ausdruck gebracht. Die Situation für Arbeitssuchende ist nicht einfach. Dem Bemühen um angemessene Arbeit steht oft eine große Anzahl an Absagen gegenüber. Der junge Mann fühlt sich in dieser Situation zwar nicht allein gelassen, und doch ist da der große Seufzer: Das Warten und Hoffen ist schwer.

 

Wir feiern heute den Sonntag der Barmherzigkeit, der bevorstehende 1. Mai als Tag der Arbeit und der am 30. April begangene Tag der Arbeitslosen gibt Gelegenheit, sich mit dieser Facette des Menschseins auseinanderzusetzen. „Christliche Gemeinden haben sich von der Welt der Arbeitslosen oft weit entfernt“, so schreibt der katholische Sozialethiker und Jesuit Friedhelm Hengsbach „Sie betrachten die Caritas und die Diakonie als ausgelagerte Spezialeinheiten der Glaubensgemeinschaft. Diese seien für die Ausgegrenzten und Ausgeschlossenen zuständig.“1 Dieser Befund widerspricht dem, was die Haltung der Barmherzigkeit eigentlich will.

 

 Sie fordert eine liebende, offene, wahrnehmende und hörende Aufmerksamkeit ein, die das Leiden anderer sieht und es sich zu Herzen gehen lässt. „Er sah ihn und hatte Mitleid mit ihm“, heißt es im Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,33). Eine solche Aufmerksamkeit setzt ein leidenschaftliches Interesse für andere Menschen voraus. Erst durch diese Gesinnung wird der Mitmenschen zum Nächsten. Sonst bleibt der äußerlich Nahe fremd und auf Distanz. Echte Barmherzigkeit kennt auch keine Gegenforderungen und schafft keine Abhängigkeiten. Im Blick der Anderen erfahren wir den Anspruch: Du darfst mich nicht gleichgültig liegen lassen, du darfst mich nicht verachten, du sollst mir helfen.

 

In der ersten Lesung war heute vom erfolgreichen Auftreten der Apostel in Jerusalem die Rede. Viele schlossen sich ihnen an, nahmen den Glauben an den auferstandenen Jesus an. Gleichzeitig erfuhren die Kranken die gesundmachende Gegenwart Gottes am eigenen Leib. Am Schluss heißt es: Und alle wurden geheilt.    
                                                          
 
Diese Zusammenfassung des ersten Wirkens der Apostel klingt wie eine nicht zu realisierende Utopie. Und doch ist es die Zusammenfassung dessen, welche Auswirkungen die Nachfolge Jesu, das Leben im Glauben an den Gott des Lebens, haben soll: Der Glaube an Gott setzt heilmachende Kräfte frei, er versperrt sich gleichzeitig gegen zerstörerische Mechanismen. Das Warten und Hoffen auf eine solche Utopie, wo alle geheilt werden und es allen gut geht, gehört zum Christentum wesentlich dazu. Das klingt auch im heutigen Evangelium an: Der Apostel Thomas hatte seinem Warten und Hoffen bereits ein Ende gesetzt. Der Tod Jesu hat einen Schlussstrich gezogen. Und zwar so fundamental, dass Thomas keine anderslautenden Perspektiven mehr zuließ, als ihm andere von der Auferstehung Jesu berichteten und er es auf die leibhaftige Begegnung mit Jesus ankommen ließ. „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ – es beschreibt unsere Erfahrungen. Es beschreibt die Erfahrungen von allen Christinnen und Christen, die warten und hoffen auf Gottes Gegenwart, die warten und hoffen, dass er heilsame Zustände schafft.

 

Das Warten und Hoffen ist schwer. Der arbeitssuchende Jugendliche hat eine christliche Grunderfahrung auf den Punkt gebracht. Die Sehnsucht nach einem erfüllten Leben schließt auch die Sehnsucht nach Arbeit mit ein.

 

Arbeit ist ein wesentlicher Faktor unseres Lebens. Viele Menschen sind stolz auf ihre Arbeit, trotz mancher Belastungen und Anstrengung. Arbeit ist sinnstiftend. Energie und Fähigkeiten werden in eine Tätigkeit eingebracht. Arbeit ist wichtig für die eigene Identität und das Selbstbewusstsein und hat von daher einen unveräußerlichen Wert, denn dahinter steht der Mensch mit seiner ganzen Würde. Es bestimmt auch die Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft. Diese wird durch mehrere Faktoren des Lebens maßgeblich geprägt: Familiäre Beziehungen, Freundschaft und Liebe, Wohnen, Schule, Kultur und Bildung sind als zentrale Bereiche hier zu nennen. Und natürlich auch die Erwerbsarbeit.

Die Arbeit hat sich in unserer Gesellschaft, welche sich mit Stolz als „Arbeitsgesellschaft“ bezeichnet, zur wichtigsten Instanz für die Identitätsbildung und Sinnfindung vieler Menschen entwickelt. Durch die Erwerbsarbeit und die Höhe des daraus resultierenden Einkommens werden Menschen bewertet. In einer solchen Gesellschaft werden arbeitslose Menschen und Menschen ohne Erwerbschance buchstäblich „wertlos“ gemacht. Arbeitslosigkeit wird von daher nicht selten als erhebliche Identitätskrise erlebt. 

Gemäß der Katholischen Soziallehre steht der Mensch im Mittelpunkt der Arbeit und der Wirtschaft, der Mensch als Ebenbild Gottes, der sich seine Würde nicht erst „verdienen“ muss. Die Logik des „Was bist du und was machst du“ wird von der Logik der Bibel mit der Frage „Wer bist du?“ übertrumpft: Es geht um die Person, es geht um eine konkrete Biographie, um eine konkrete Geschichte: 

„Der Name eines Menschen ist mehr als der Beruf, den er ausübt, und ist mehr als das Amt, das für ihn zuständig ist. Jeder Arbeitslose hat Eltern, die ihm den Namen gegeben und ihn über Jahre hinweg bei diesem Namen gerufen haben. Jede Arbeitslose, jeder Arbeitslose hat Geschwister und Freunde, die sich zeitweilig um sie kümmern. Jede Arbeitslose, jeder Arbeitslose hat Gottes Verheißung: ‚Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, mein bist du. Ich habe deinen Namen in meine Handflächen hineingeschrieben‘.“2

Als Kirche im Gesamten und als einzelne Christin und einzelner Christ sind wir mehr denn je aufgerufen, in der Gesellschaft eine Kultur dieser unbedingten Wertschätzung zu etablieren, die sich nicht am Status Quo der Erwerbstätigkeit von Menschen orientiert. Die Grundhaltung der Barmherzigkeit, die Grundhaltung des Hinschauens, Zugehens, Hinhörens und Zupackens darf uns dabei leiten. Es geht bei dieser wohlgemerkt nicht um eine gönnerische Großzügigkeit, die an der Leine hält und Applaus bzw. Dankbarkeit erwartet. Barmherzigkeit ist, mit Papst Franziskus gesprochen, eine Haltung, die den Glauben daran ermöglicht, wieder in die Spur gesetzt zu werden.3 

 

Denn auf sich allein gestellt zu warten und zu hoffen ist schwer. 
 
+ Manfred Scheuer, Bischof von Linz 
 
1 Friedhelm Hengsbach, Das Kreuz mit der Arbeit. Politische Predigten, Stuttgart 2012, 61f.         
2 Friedhelm Hengsbach, Das Kreuz mit der Arbeit, 58.

3 Papst Franziskus, Der Name Gottes ist Barmherzigkeit. Ein Gespräch mit Andrea Tornielli (übersetzt aus dem Italienischen von Elisabeth Liebl), München 32016, 37.

 

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