Paulus erinnert an dieser Stelle in zweiten Brief an die Korinther zuallererst an die Fülle, an den Reichtum, mit dem die Korintherinnen und Korinther beschenkt sind. Er spricht vom reich sein, an Glauben, Rede und Erkenntnis, in jedem Eifer und an der Liebe, die wir in euch begründet haben. Oder in einer anderen Übersetzung ist zu lesen: „Aber wie ihr in allem reich seid, im Vertrauen und Wort, im Erkennen und großer Hingabe, in der Liebe, die ihr von uns bekommen habt und die unter euch lebt, …“. Nachdem er diesen umfassenden Reichtum, diese verschiedenen Aspekte des guten Lebens benannt hat, bittet er um finanzielle Unterstützung der Schwestern und Brüder in Jerusalem.
Zuerst zur historischen wirtschaftlichen Situation von Korinth und Rom: Warum bittet er die Korintherinnen und Korinther um Geld? In der Gemeinde von Korinth gab es zu dieser Zeit Überfluss in vielerlei Hinsicht, eben auch in finanzieller. Letzteres lässt sich gut erklären, denn Korinth war eine blühende Handelsstadt. Das liegt an ihrer geografischen Lage. Korinth liegt am Isthmus, der Landenge zwischen Mittelgriechenland und der Halbinsel Peleponnes. Die Umschiffung der Südspitze des Peloponnes war damals noch sehr gefährlich, darum wurde der sechs Kilometer lange Landweg bevorzugt. Korinth profitierte also vom Handelsverkehr über diesen wichtigen Verbindungsweg.
Eine solch privilegierte Lage hatte Jerusalem nicht. Weder war der steinige Untergrund für eine ergiebige Landwirtschaft geeignet, noch lag es an einer derartig prosperierenden Handelsstraße. Damit nun die christliche Gemeinde in Jerusalem trotzdem ihren Aufgaben nachkommen konnte, benötigte sie Geld und Paulus hatte es sich zur Aufgabe gemacht, mit einer Kollekte eben dafür zu sorgen. Soweit zur historischen Situation.
Auf zwei für uns heute interessante Aspekte dieser Bibelstelle werde ich nun eingehen: Was verstehen wir unter Reichtum oder anders gefragt, was braucht es für ein gutes Leben? Und zweitens: Wie steht es um die gerechte Verteilung von materiellem Reichtum, von Geld und damit von Lebenschancen?
Zur ersten Frage: Wie sieht es heute mit dem Reichtums-Begriff aus? Eine hochaktuelle Debatte, denn die Diskussionen über das finanzielle Auskommen spitzt sich immer mehr zu. Uns wird gerne suggeriert, dass wir selbst Verantwortlich für unser ökonomisches Überleben sind. Es wird uns eine Verantwortlichkeit zugeschrieben, ja zugemutet, die wir nur zum Teil haben. Denn wir hängen von den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen ab, die wir nicht allein umgestalten können, die unsere Situation aber mitbestimmen. Hinter der geforderten Eigenverantwortlichkeit versteckt sich ein bedenkliches Menschenbild und außerdem wird sie für eine Entsolidarisierungswelle und den Abbau von sozialstaatlichen Leistungen genutzt. Aber eines nach dem anderen.
Zum Menschenbild: Unser Blick wird nicht auf das Miteinander, auf uns Menschen als Beziehungswesen gerichtet, sondern es wird ein fragwürdiges Menschenbild beschworen. Ein sehr einsames, jede und jeder steht für sich allein, ist seines eigenen Glückes Schmied oder Schmiedin. Jede und jeder muss sich daher nur an den eigenen Bedürfnissen ausrichten, beurteilt alles und auch die Nächsten nach dem Nutzen für sich selbst. Bei Entscheidungen ist genau das die Grundlage: Was bringt es mir, was nützt mir das? Der Eigenwert des anderen oder der Schöpfung wird außer Acht gelassen. Als Ideal wird eine völlige Unabhängigkeit – die gerne als Freiheit bezeichnet wird – angestrebt. Damit ist weiters das Versprechen verbunden, dass es dann eines Tages allen gut gehen wird, dass also auch für die schlechter Gestellten genügend, „Brösel“ oder nennen wir es Reste abfallen werden, sodass sie eines Tages gut leben können.
Statt des Kreisens um sich selbst, des ausschließlichen Bewertens nach der Nützlichkeit für mich selbst, ist es wichtig das Miteinander zu betonen und zu fördern. Wir sind und bleiben voneinander abhängig, nicht nur weil die Umweltzerstörung, die Ausbeutung von Ressourcen letztlich uns alle trifft, sondern ganz grundlegend weil wir Beziehungswesen sind. Wir leben alle von der Zuwendung und Gastfreundschaft anderer und vom Sorgen des Umunsherum. Das ist uns je nach Lebenssituation mehr oder weniger bewusst. Wenn alles gut läuft, nehmen wir uns weniger als abhängig, als bedürftig wahr. Gerne wollen, sollen oder eben müssen wir für uns selbst sorgen, unabhängig sein, so hoffen wir zumindest. Ein Unabhängig-Sein, das Freiheit vorgaukelt, die aber eine sehr einsame überfordernde Freiheit ist. Menschsein braucht das Angesprochen-sein durch die anderen, das in Beziehung-sein, das gegenseitige Vertrauen.
Für ein gutes Leben, ein Leben in Fülle als Mensch braucht es die oder den Nächsten.
Nun zur zweiten Frage nach den materiellen Bedürfnissen, den Lebensmitteln und wie viel wir brauchen. Diese wird im letzten Vers dieser Lesung aufgegriffen. Der Vers ist ein Zitat aus dem Alten Testament, aus der Exodus Erzählung. Die Israelitinnen und Israeliten waren ausgezogen aus Ägypten und in der Wüste unterwegs, sie litten Hunger und murrten deshalb. „Jetzt sind wir ausgezogen mit der Hoffnung auf ein besseres Leben. Wurden von den Ägyptern verfolgt, und nun sollen wir verhungern“, so beschweren sie sich. Gott erhört ihr Murren, abends kommen Wachteln geflogen und morgens finden sie Manna. Die Aufforderung Gottes lautet, so viel zu sammeln wie sie zum Leben brauchen. Es heißt weiter, dass die Vielsammler keinen Überfluss und die Wenigsammler keinen Mangel hatten. Es wird für Ausgleich gesorgt – wie auch immer das geschieht –, damit niemand in Not gerät, weder die, die Geben noch die, die Nehmen, die also Unterstützung brauchen.
Paulus geht auf diesen Ausgleich zwischen denen, die auf die Butterseite, wie es schön heißt, gefallen sind und jenen, die es schlecht erwischt haben, ein. Dieser Ausgleich geschieht nicht von selbst, damals nicht und heute nicht. Es braucht einerseits den individuellen Beitrag, aber genauso die Solidargemeinschaft, die gestärkt werden muss z. B. in Form des Wohlfahrtsstaates. Die Neiddebatte wird vermutlich auch damals in Korinth geführt worden sein. Vielleicht wurde genauso diskutiert, wessen Bedürfnisse berechtigt sind und wessen Bedürfnisse nicht. Die Antwort, dass jeder und jede nur so viel bekommen soll, wie er schon vorher beigetragen hat, entspricht jedenfalls nicht der biblischen Idee. Sie verkürzt das menschliche Miteinander auf finanzielle Handelsbeziehungen, auf eine Einnahmen- und Ausgabenrechnung. Im Zuge dieser Neid-Diskussion wird die Solidargemeinschaft ausgehöhlt, der Wohlfahrtsstaat in Frage gestellt. Es geht um Schuldzuweisungen, um Entsolidarisierung und nicht mehr um einen notwendenden Ausgleich im Rahmen der Solidargemeinschaft. Vorgeschlagene Maßnahmen laufen unter dem Titel „Reformen“. Wobei sich das Versprechen von Reformen aufs Erste vielversprechend anhört, es lässt etwas Positives vermuten. Aber bei jeder Reform ist zu prüfen: Wer profitiert davon und wer bleibt auf der Strecke? Was bedeutet sie für unser Miteinander? Danach sind Reformen zu bewerten.
Neben der gerechten Verteilung von materiellen Gütern, ist es wichtig uns bewusst zu werden, dass wir vom Umunsherum abhängig sind. Das gute Miteinander ist Basis unserer Demokratie und wenn Menschen unter Generalverdacht gestellt, wenn Institutionen, die für Ausgleich sorgen in Frage gestellt werden oder verdächtigt werden, ist es wieder Zeit, wie Paulus uns auffordert, den Blick auf die Gaben der Fülle zu richten, die nicht erkauft werden können. Eine Fülle, die Basis für unser gutes Miteinander und Basis für eine gelungene Demokratie sind.