Liebe Schwestern und Brüder,
bis zum Jahr 1772 hielt das Stift Kremsmünster am Tag vor dem 11. Dezember, dem Stiftertag zu Ehren des bayerischen Herzogs und Stiftsgründers Tassilo, den sogenannten „Karnisseltag“ oder „Gspendt“. Wörtlich übersetzt meint das den Tag einer Fleischspende. Jeder, der an diesem Tag ins Kloster kam, erhielt gratis ein dreiviertel Pfund Rindfleisch und dazu Brot. Soweit sich das belegen lässt, folgten jährlich zwischen zwölf- und siebenundzwanzigtausend Menschen dieser Einladung.
Solche Lebensmittelspenden hochrangiger Persönlichkeiten und Einrichtungen gab es seit der Antike. In Zeiten, in denen Hunger zum Alltag vieler Menschen gehörte und selbst jene, die im Normalfall genug zu essen hatten, am eigenen Leib schon Hungersnöte miterlebt hatten, fanden sie enormen Anklang. Ganze Regionen machten sich auf den Weg, um sich einmal so richtig satt zu essen und wenigstens für einen Tag alle Sorgen zu vergessen.
Nicht immer wurden die Lebensmittelspenden so uneigennützig gegeben, wie es auf den ersten Blick scheint. Reiche Mäzene sicherten sich damit ihren Ruhm bis weit nach ihrem Tod. Politiker versuchten, ihre Wiederwahl zu sichern oder ihren Rückhalt im Volk zu vergrößern. Die Grenze zwischen einer uneigennützigen Gabe und einem höchst eigennützigen Kaufen der Sympathie und Unterstützung armer Menschen – was heute ein klarer Fall von Korruption wäre – war ziemlich fließend. Und genau darauf machen uns die eben gehörten Bibeltexte aufmerksam.
1) Die Geschichte von einem anonymen Spender
Zu Elischa, so haben wir in der ersten Lesung gehört, kommt ein Mann und bringt zwanzig Gerstenbrote und frische Körner. Elischa befiehlt seinem Diener: „Gib es den Leuten zu essen!“ Doch dieser sagt: „Wie soll ich das hundert Männern vorsetzen?“ Elischa aber insistiert: „Gib es den Leuten zu essen! Denn so spricht der Herr: Man wird essen und noch übrig lassen.“ Und tatsächlich: Sie essen und lassen noch übrig.
Ein Mann bringt Lebensmittelspenden zu Elischa. Er selber will unerkannt bleiben – weder wird sein Name genannt noch will er selber bei der nachfolgenden Speisenverteilung in Erscheinung treten. Er tut ein gutes Werk im Verborgenen. Auch Elischa will nicht im Rampenlicht stehen, macht die Erzählung deutlich. Vielmehr überlässt er die Aufgabe der Speisenausteilung seinem Diener. So betont er, dass es ein Geschenk des Herrn ist, wenn Menschen satt werden – des Herrn allein!
2) Nur einer ist Geber aller Gaben
Das Johannesevangelium drückt dieselbe Botschaft mit anderen erzählerischen Mitteln aus als das zweite Buch der Könige und die anderen drei Evangelien. Hier ist es nämlich allein Jesus, der die Menschen speist. Er besitzt von Anfang an einen klaren Plan: „Er selbst wusste, was er tun wollte.“ (Joh 6,6) Diesen Plan führt er ohne Hilfe der Jünger ganz alleine aus: „Dann nahm Jesus die Brote, sprach das Dankgebet und teilte an die Leute aus.“ (Joh 6,11) Die Jünger, denen Jesus nach den anderen drei Evangelien den Auftrag gibt, Brot und Fische auszuteilen, sind bei Johannes arbeitslos.
Der vierte Evangelist spielt damit auf das antike Königsprivileg der Armenspeisung an: Vor Julius Caesar gab es im Römerreich Mäzene, die Hungernde speisten und denen deswegen Inschriften an prunkvollen Gebäuden gewidmet wurden, in denen die Begriffe „retten“ oder „Retter“ vorkamen. Mäzene ließen sich als Retter, als Erlöser feiern. Caesar macht daraus ein Privileg der Kaiser. Anderen Personen im römischen Reich wurden die Armenspeisung und deren Verewigung in Inschriften verboten. Nur der Kaiser durfte so etwas noch tun. Damit wurde allein sein Ruhm gemehrt und der Abstand zu allen anderen Mächtigen deutlich vergrößert. Genau darauf spielt Johannes an. Denn als alle satt geworden sind, erzählt er: „Da erkannte Jesus, dass sie kommen würden, um ihn in ihre Gewalt zu bringen und zum König zu machen.“ (Joh 6,15) Wer die Hungernden speist, soll König sein – so die Überzeugung des Volkes. Und Jesus wäre im Unterschied zu Caesar zu Recht König, denn er ist der Fleisch gewordene Gott, ist das Johannesevangelium überzeugt.
3) Hunger als Spielball der Mächtigen
Liebe Schwestern und Brüder, im Österreich des 21. Jahrhunderts fällt es den meisten von uns schwer, uns in die Situation des Hungers hineinzuversetzen. Zwar gibt es auch heute Menschen, die täglich die Armenausspeisungen der Ordensgemeinschaften und der sozialen Hilfsorganisationen aufsuchen. Und nicht wenige, die von Sozialhilfe oder Mindestpension leben, kommen gegen Monatsende ins Schwimmen, weil ihnen das Geld zum Lebensmitteleinkauf knapp wird. Aber die Mehrheit der Bevölkerung ist solcher Nöte gottlob enthoben.
Und doch spielt die Frage, wie man den Hunger vieler Menschen für die eigenen Zwecke missbrauchen kann, auch heute eine große Rolle. Da wollen uns Machthaber wie der syrische Präsident Baschar al Assad weismachen, in seinem Land gebe es nirgends Hunger – und blockiert Lebensmittellieferungen der Völkergemeinschaft in die bedrängten Regionen, weil das an seinem Image des guten Herrschers kratzen würde. Da zahlen manche reichen Länder ihre dem Welternährungsprogramm (World Food Programme) zugesagten Gelder nicht, sei es weil sie ihre Wohltaten lieber selber verteilen wollen, um den Ruhm einzufahren, sei es, weil sie bei den Vereinten Nationen irgendwelche eigenen Interessen durchsetzen wollen. Der Hunger der Menschen wird auch heute vielfach zum Spielball von Macht und Interessen.
Das Stift Kremsmünster hat offensichtlich um diese Gefahr gewusst. Jedenfalls wurde in der Messe des Karnisseltags alljährlich das heutige Evangelium vorgelesen. Eine Mahnung an die Satten, ihren Wohlstand mit den Hungernden zu teilen. Eine Mahnung aber auch, die Dankbarkeit der Armen nicht sich selbst zurechnen zu lassen. Einer ist es, der seine Geschöpfe nährt. Ihm sollen wir danken – und uneigennützig teilen, wenn wir mehr als genug haben.
Amen.
Vorschlag für das Gabengebet
Gütiger Gott, die Gaben, die wir bringen,
sind ein winziges Zeichen unseres guten Willens.
Du aber hast damit die ganze Welt verwandelt
im Leben und Sterben deines Sohnes.
Gib, dass wir ihm jetzt begegnen,
da er uns das Brot bricht und den Kelch reicht.
[1] Dazu ausführlich Benedikt Pitschmann 1999, Der Stiftertag im Stift Kremsmünster, in: Oberösterreichische Heimatblätter 53, 46-63.
[2] Von lateinisch caro = Fleisch und althochdeutsch sal = Spende, vgl. ebd. 54.
[3] Vgl. Klaus Berger 1993, Manna, Mehl und Sauerteig. Korn und Brot im Alltag der frühen Christen, Stuttgart, 121-124