Da sprach der Herr zu Mose: Ich will euch Brot vom Himmel regnen lassen. Das Volk soll hinausgehen, um seinen täglichen Bedarf zu sammeln. Ich will es prüfen, ob es nach meiner Weisung lebt oder nicht.
Die Welt bietet genug an Lebensgrundlage für alle. Und doch erleben wir tagtäglich, dass Menschen zu Tausenden und Abertausenden verhungern, auf der Flucht sind, in den Meeren ertrinken. Das zeichnet letztendlich ein Bild einer Welt, einer Gesellschaft, in der der Mensch dem Menschen nach wie vor Wolf und nicht Nächster ist. Gegen eine solche Art zu leben lehnen sich schon die uralten Verheißungen der Tora, der Weisungen des NAMENS auf.
Die Tora erzählt Geschichten von Befreiung, vom Volkwerden, von der Wüste und deren Herausforderungen, wo die Befreiungsbewegung sich immer wieder zu verlaufen droht. Der Weg in das Land, worin das Heil des Nächsten das letzte Wort hat ist geprägt von vielen Abzweigungen und Versuchungen. Die Tora ist Weisung, wie die Organisation des neuen Volkes gedacht werden will. Die Verheißung, dass es möglich ist, gutes Leben kollektiv, gemeinschaftlich zu organisieren, ist immer wieder auf dem Prüfstand des realen Lebens des Volkes. „Ich bin der ich bin da“. Kurz und prägnant stellt sich JAHWE, der NAME dem Mose vor. Da sein, mitgehen, die Schreie des Volkes zu hören, sind wesentliche Zusagen. Die Weisungen der Tora sind ein Entwurf für eine Gesellschaft der anderen Art, wie man sie aus den Umländern nicht kennt. Niemand soll mehr Herr und niemand soll mehr Sklave sein. Eine radikale Herausforderung, so Gesellschaft zu denken. Wo es herkömmlich immer wen braucht, der anschafft, die weiß, wo es langgeht, die besser weiß, was für eine und einen gut zu sein scheint.
Die Entwicklung einer solchen Gesellschaft braucht Zeit und Raum. Die Wüste bietet dazu einen passenden Rahmen. In der Abgeschlossenheit, ohne Einfluss fremder Völker und Herrschaften, sollen neue Wege gegangen werden. Diese Gesellschaft braucht ein Umdenken und Neudenken, ein Verlernen des Alten. Der NAME, einzig und einzigartig, ist Bezugspunkt. Seine Weisung ist es, Tora zu tun. Denn Tora tun, bringt Leben. Der Nächste, gleich dir, wird ein zentraler Maßstab der Orientierung. An der Mitmenschlichkeit zeigt sich die Reife der neuen Gesellschaft. Immer wieder gibt es Rückfälle in gewohnte Muster, zu utopisch und fern sind die Verheißungen des Neuen Landes, das noch nicht ist, um das gerungen werden will.
Täglich zu prüfen, was der Mensch wirklich zum Leben braucht, ist die Weisung Jahwes beim Auszug aus Ägypten. Gott verheißt das Brot des Lebens, sagt dem Volk den Tagesbedarf zu. Sammelt davon so viel, wie jeder zum Essen braucht. Diese neue Praxis, wirklich nur das für sich zu beanspruchen was man täglich braucht, ist eine Herausforderung auch für unsere Zeit, eine Weisung zur radikalen Umverteilung, an dessen Gelingen sich die Tragfähigkeit eines Volkes, einer Gemeinschaft letztlich misst.
Das Reich der Freiheit lockt und es macht auch Angst. Wenn das Volk Israel auf dem Weg ins Gelobte Land, dem Reich der Freiheit, durch die Wüste zieht, dann dauert es nicht lange, bis es sich zurücksehnt nach den „Fleischtöpfen Ägyptens“. Die Fleischtöpfe waren bekannte Realität und weisen darauf hin, sich die Geschichte der Befreiung nicht allzu einfach vorzustellen. Die Erlösung aus dem Elend, aus der Sklaverei, ist ein langer Weg der Volkwerdung, der gemeinsam gegangen werden will. Da gilt es viel an Visionen und Hoffnungen zu entwerfen, aufeinander abzustimmen. Wesentlich ist auch, über das bisher Bekannte überhaupt hinauszudenken. Die Fleischtöpfe der Sklaverei einzutauschen gegen die Unsicherheit des Morgens im Glauben, dass Gott für sein Volk sorgen wird. Hält dieser Glaube an den Einen und Einzigen das Volk zusammen? Oder zerbricht das Volk in der Unsicherheit der Wüste an den Herausforderungen nach Gleichwertigkeit aller Menschen, dass niemand mehr sich über andere stellt, mehr beansprucht auf Kosten seines Volksgenossen –Safety first. Woran dein Herz hängt, das ist dein Gott. Die Sicherheit des Vertrauten, Gewohnten oder die Zusage nach dem Neuen, wo Leben für alle möglich sein wird. Wer gibt, wer verspricht Leben? Ausbeuter Pharao oder der Gott der Befreiung? Wer erhält mich und uns? Unser gesellschaftlicher Status oder der Glaube an eine gemeinschaftliche Zukunft, die trägt? Bedürftig sein und seinen Bedürfnissen gemäß leben können, das ist die Zusage Jahwes, der zu trauen ist. Die Präsenz Gottes zeigt sich im solidarischen Tun, im Handeln nach seiner Weisung.
Es wäre vermessen, mehr zu wollen als das Leben. Darauf zu vertrauen, dass das Brot des Herrn zum Leben reicht, der Tagesbedarf täglich neu gedeckt ist – das ist eine neue Vorstellung des Zusammenlebens. Das neue Denken und Handeln braucht Einübung. Das Neue ist noch nicht, das Alte wäre vertraut. Das Leben in Sklaverei bei den Fleischtöpfen der Mächtigen scheint immer wieder erstrebenswerter als die Vorstellung, als freies Volk gemeinsam zu leben. Die vertrauten Strukturen der Herrschaft und Abhängigkeit wollen zugunsten der Weisung des Herrn verlernt werden. Das braucht Zeit, Wüstenzeit, wüste Zeiten des Murrens, Auflehnens und immer wieder beispielhaft Zeichen des Neuen. Fleisch und Brot reichen täglich für alle, wenn jede und jeder nur soviel nimmt, wie er oder sie zum Essen braucht.
Die Buffets werden nur soweit gedeckt, wie auch gegessen werden kann, dafür können alle hinkommen und nach dem Essensbedarf nehmen. Kein Brot wird vernichtet, nichts braucht gehortet zu werden, weil am nächsten Tag die vorhandenen Güter wieder neu geteilt werden können, nach demselben Maßstab. Jede und jeder sammle soviel, wie jeder zum Essen braucht. Leben ist in seiner Grundform gesichert. Die Israeliten sammelten, der eine viel, die andere wenig. Und keiner hatte zuviel oder zuwenig. Nur die, die mehr als ihren Tagesbedarf gesammelt hatten, machten eine neue Erfahrung. Das Gesammelte wurde wurmig und stank. Bei Menschen, die sich mehr herausnehmen wollen als sie zum Leben brauchen, in diesem Denken und Handeln steckt der Wurm drin. Ein Leben auf Kosten anderer stinkt zum Himmel. Alle können es riechen und daraus lernen. Glauben bedeutet in Israel, auf Gott zu bauen. Und der ist so nahe oder so weit entfernt, wie Menschen einander nahe oder fern sind.
Ist es nicht eine befreiende Zusage, wenn Gott uns zuspricht, dass genug da ist. Auch heute. Jean Ziegler meint, dass die Erde 12 Milliarden Menschen ernähren könnte. Wir brauchen nicht horten, sammeln, zurückhalten, auf die Seite räumen, wir brauchen nur darauf vertrauen, dass alles da ist, wenn wir es brauchen. Die Erfahrung zeigt, dass diese Zusage dort immer wieder Wirklichkeit wird, wenn wir als Menschen aufeinander schauen. Ein Picknick, wo alle zusammenlegen, wer kennt diese Erfahrung nicht. Nicht ein Salat, Aufstrich, Kuchen sondern viele. Genug für alle. Ein buntes Angebot, vielfältig wie das Leben derer, die dazu beitragen. Austeilen schafft Leben. Horten verengt den Horizont und vereinzelt. Und doch: Wieviel Zeit verbringen wir mit dem, unsere Schätze des Lebens zu pflegen und vergessen dabei aufs Leben, auf die Menschen neben uns.
Die Wüstenwanderung dauert lange. Die Weisungen Jahwes brauchen seine Zeit, bis sie ihren Sitz im Leben der Menschen bekommen. Jetzt sind wir dran, diese alten Weisungen zu lesen und neu für unser Leben zu deuten und danach zu handeln. Tagesbedarf für alle zu sichern scheint gerade heute im System der Absicherung und Vorsorge ein schwieriges Unterfangen. Weit über die Absicherung des Täglichen horten wir und schaffen uns immer neue Schätze. Echtes Teilen fällt offensichtlich in einer reichen Gesellschaft schwerer als in Gesellschaften, wo alle annähernd gleich wenig haben, daraus jedoch genug für alle machen.
Gemäß der Weisung zu leben ist Kriterium guten Lebens. Der Tagesbedarfs für alle ist ein Maßstab – nach wie vor eine Prüfung unserer Solidarität, unseres christlichen Handelns. Leben ist in der Bibel Ausdruck einer bestimmten Lebensart: Wer bereit ist zu geben, was er hat, wird leben. Dann kann Gerechtigkeit auf der Erde wohnen, wo alle genug für den Tag haben.
Text vor dem Austeilen der Kommunion
(Er spannt den Bogen von der Exodusstelle auf heute.)
„Im Namen Jesu Brot zu brechen und zu teilen bedeutet,
dass man sich eine Welt wünscht,
in der es genug Brot und Freiheit für alle Menschen gibt.
Möge das Teilen dieses Brotes uns stärken in der Hoffnung,
dass einen neue Welt kommen wird,
wo Brot und Liebe ist,
genug für alle.“
Huub Osterhuis