Freitag 22. November 2024

Dahinter blicken – auf die Person mit ihrer Würde

zum 2. Sonntag der Fastenzeit (28. Februar 2021) | Lesejahr B

zur Bibestelle Mk 9,2–10


Autor: Peter Habenschuß, Referent Fachbereich Arbeit der Katholischen Jugend OÖ;
Jugendleiter Treffpunkt mensch & arbeit Nettingsdorf

 

Liebe Gottesdienstgemeinde,


vielleicht haben Sie auch schon einmal so eine Erfahrung gemacht: Sie kennen jemanden schon eine längere Zeit. Eines Tages machen Sie gemeinsam mit dieser Person eine Erfahrung, die Ihnen völlig neue Aspekte, eine völlig neue Seite an ihr eröffnet. Manchmal passiert das aufgrund einer neuen Personenkonstellation, die zusammen ist, manchmal, weil man einfach mehr Zeit miteinander verbringt oder sich beide Seiten in einem intensiven Gespräch öffnen. Manchmal trägt auch eine räumliche Veränderung dazu bei, dass man jemanden neu oder anders kennenlernt. Ähnliches ist vielleicht auch den Jüngern Petrus, Jakobus und Johannes mit Jesus passiert.


Jesus nimmt die drei beiseite und gemeinsam gehen sie auf einen hohen Berg. Dort passiert es. Jesus wird verwandelt, seine Kleider werden strahlend weiß, Mose und Elija erscheinen und Jesus unterhält sich mit ihnen. Dann kommt eine Stimme aus den Wolken: „Dieser ist mein geliebter Sohn; auf ihn sollt ihr hören.“ Zu guter Letzt trägt Jesus den drei Jüngern auf, nichts davon zu erzählen, bis er auferstanden sei. Das ist doch die volle Überforderung – aber auch eine unglaubliche Wertschätzung.


Nun stellt sich vielleicht folgende Frage: Welche Seiten, welche Aspekte der Person Jesus können wir in dieser Erzählung erkennen? Der Evangelist Markus lässt sichtbar werden, in welcher Tradition sich Jesus bewegt. Er ist in direkter Verbindung mit der jüdischen Tradition, mit Mose, der sinnbildlich für die Tora steht, und mit den Propheten, in der Erzählung durch Elija vertreten. Und das alles wird sichtbar in der unmittelbare Nähe Gottes, denn der Berg ist ein Symbol für die Nähe zu Gott.
In dieser Tradition wird uns immer wieder zugesagt, dass wir Menschen mit Würde sind. Im 1. Buch Mose steht geschrieben, dass wir als Bild Gottes geschaffen wurden – männlich und weiblich 1– und „es war sehr gut“ 2. Die Würde ist uns von Anbeginn unserer Zeit geschenkt und ist deshalb nicht verhandelbar. Im 2. Buch Mose führt ebendieser sein Volk aus der Sklaverei Ägyptens, in der die Würde des Menschen mit Füßen getreten wurde. Der Weg führt in ein Leben, in dem die Menschen als Personen mit Würde in der Gemeinschaft gut leben können. Und auch die Gesetzgebung Mose hat dieses Leben als Person in Würde und in der Gemeinschaft zum Ziel.
Im heutigen Evangelium lässt Jesus die Jünger Petrus, Jakobus und Johannes an dem Ereignis am Berg teilhaben. Er öffnet sich und lässt sie an seinem Wesen teilhaben und die drei Jünger lassen sich ihrerseits darauf ein. Auch sie öffnen sich. Sie sind würdig bei diesem Gipfelereignis dabei zu sein. Petrus, Jakobus und Johannes werden vom Evangelisten namentlich genannt. Die Nennung beim Namen ist auch ein Zeichen der Würde. Sie werden als Personen mit Namen und Würde angesprochen.
„Die Würde des Menschen als Person ist unantastbar. Sie ist nicht verdient, kann nicht verhandelt oder verkauft werden.“ 3 Das sagt auch die Christliche Soziallehre. Der Mensch als Person mit seiner Würde steht in ihrem Zentrum und aus der Personalität leiten sich auch alle anderen Prinzipien der Soziallehre (Gemeinwohl, Solidarität, Subsidiarität, Nachhaltigkeit und Option für die Armen) ab4. In dieser Personalität gründet sich die Freiheit des Individuums, aber auch die Verantwortung in der Gemeinschaft. Person ist man immer auch im Zusammenleben mit anderen.
Wir leben in einer Zeit, in der unsere Leistung, unsere Arbeit, unsere Funktion, unser Aussehen, unsere Kleidung oft im Mittelpunkt stehen. Der erste Eindruck ist oft von Äußerlichkeiten geprägt. Doch was können wir sehen, wenn wir hinter das Offensichtliche blicken – unter die Oberfläche? Wir sehen den Menschen als Person mit ihrer Würde – mit der Würde, die allen Menschen gleich ist. Dahinter zu blicken fällt uns manchmal leicht, vor allem wenn es um Bekannte geht, um FreundInnen, um Menschen, die unseren Lebensstandard teilen. Doch was, wenn die eben genannten Aspekte nicht dem entsprechen, was wir als angenehm empfinden? Mit den Menschen, die uns nicht entsprechen, die anders sind, anders aussehen als wir es gewohnt sind, mit denen wollen wir nichts zu tun haben. Da sehen wir diese
Würde scheinbar nicht. Ganz oft sind das jedoch die ärmsten unsere Gesellschaft. Diejenigen, die schon materiell in Ungerechtigkeit leben, werden dann auch noch menschlich ungleich behandelt. Und gerade deshalb: Als Bild Gottes sind wir geschaffen – wir alle – und die Personenwürde ist allen gleich. Der erste Schritt in Richtung einer gerechteren Gesellschaft, in der alle mit Würde leben können, ist also nicht, diesen Menschen die Würde zurückzugeben. Nein, das ist nicht nötig, denn sie besitzen diese Würde bereits. Der erste Schritt ist es, dahinter zu blicken, hinter das Offensichtliche, auf die Person mit ihrer Würde. Dazu müssen wir uns öffnen. Unsere Augen und Herzen öffnen.


Am Anfang habe ich Sie gefragt, ob Sie schon einmal eine Erfahrung gemacht haben, bei der Sie jemanden ganz anders kennengelernt haben und kennenlernen durften. Damit solche Erfahrungen gelingen, braucht es eine Haltung der Offenheit, eine Haltung, die uns auf die Person mit ihrer Würde blicken lässt. Eine solche Haltung müssen wohl auch die Jünger Petrus, Jakobus und Johannes gelebt haben, sonst hätte ihnen Jesus vielleicht nicht diese Erfahrung geschenkt. Die drei Jünger können uns mit dieser Haltung als Vorbilder dienen. Den ersten Schritt könnten wir ja in der Fastenzeit gehen.
Für die Fastenzeit nehmen wir uns gerne gute Vorsätze. Das Fasten soll uns helfen, Gott näher zu kommen. Meist sind es Vorsätze, auf etwas zu verzichten, wie es der Bedeutung des Begriffs fasten entspricht. Für diese Fastenzeit lade ich Sie ein, etwas bewusst einzunehmen. Und zwar die Haltung der Offenheit, die uns auf die Person mit ihrer Würde blicken lässt. Ich lade Sie ein, immer wieder dahinter zu blicken – hinter die Äußerlichkeiten und unter die Oberfläche. Denn was kann uns Gott näherbringen, als den Menschen mit Würde zu begegnen – so wie er geschaffen ist. Amen.
 

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1 Vgl. Gen 1,27
2 Gen 1,31
3 Personalität auf https://www.ordensgemeinschaften.at/artikel/4722-die-christliche-
soziallehre-in-20-minuten
4 Vgl. ebd.

 

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