Montag 25. November 2024

Solidarität

zum 1. Sonntag der Fastenzeit (21. Februar 2021) im Jahreskreis | Lesejahr B
zur Bibelstelle Mk 1, 12-15

 

Autorin: Mag.a Lucia Göbesberger, 

Leiterin der Abtlg. Gesellschaft & Theologie, Pastoralamt Linz

 

Im heutigen Evangelium wird berichtet, dass Jesus in der Wüste war. Ganze vierzig Tage lang ist er dort gewesen. Eine Zeit, in der er sich ganz seiner Beziehung zu Gott gewidmet hat.


Auch für uns hat jetzt wieder mit dem Aschermittwoch die Fastenzeit begonnen. Eine Zeit, die wir nutzen können um innezuhalten, um zu reflektieren, den Alltag genauer unter die Lupe zu nehmen. Fastenzeit als eine Zeit in den Rückspiegel zu blicken, um wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen und um sich wieder neu auszurichten auf Gott, neu zu beginnen, im Wissen um Gottes Versprechen da zu sein und zwar immer, wie uns in der Noah-Geschichte versichert wird. Er wird weder uns Menschen, noch den anderen Lebewesen den Rücken kehren, wie wir gerade eben in der Noah-Erzählung gehört haben. Das Angebot gilt! Und es wurde uns noch mehr angekündigt, im Evangelium spricht Jesus vom Reich Gottes, das nahe ist.
Was ist daraus geworden? Wie schaut es bei Ihnen derzeit mit Reich-Gottes-Erfahrungen aus? Wie geht es Ihnen? Bei mir ist es so, dass ich mich herausgefordert fühle durch die aktuelle Situation. Lockdown oder softer Lockdown oder impfen oder nicht oder gar nicht möglich wie auch immer, die Unruhe ist da.
Ja, ich bin etwas aus der Bahn geworfen. Seit einem Jahr verzichte ich weitgehend auf Sozialkontakte, mit allem Drum und Dran.
Stattdessen gibt es vermehrt Video-Gespräche, die unterbrochen sind von schlechter Netzqualität, das Bild pixelt, der Ton funktioniert nicht, … ich sehe von jenen, die weiter weg leben und die ich meine Freunde und Freundinnen nenne, nicht wie sie gehen und stehen, wie sie sich befinden. Eine Wüstenzeit in gewisser Weise. Wo bleibt hier das Reich Gottes, das Jesus hier ankündigt, frage ich mich? Es versteckt sich wohl in der Hoffnung, dass es in absehbarer Zeit zu einer Verbesserung der Situation kommen wird. Sicher wird sich hier ein Weg finden.


Wo wir auch noch genau hinsehen sollten, ist die Frage welche Auswirkungen die Pandemie auf unser Zusammenleben ganz grundsätzlich und im Hinblick auf unsere demokratische Kultur hat. Was heißt das für die Solidarität als Grundlage unseres guten Miteinanders?


Die Entstehungsvoraussetzungen für Solidarität funktionieren derzeit anders. Solidarität entwickelt sich zuallererst mit den Menschen, die uns in irgendeiner Weise nahe sind, mit jenen in unserem nächsten Umfeld, mit jenen die wir für Unseresgleichen halten. Jenen, die die gleichen Hobbys und Interessen haben, beim selben Verein sind, sei es ein Sportverein oder eine Hilfs- oder Umweltorganisation oder eben auch bei der Kirche. Solidarität regt sich jedenfalls dort, wo wir mit Menschen vertraut sind. Genau dieser Nahbereich ist von der Pandemie betroffen und hat sich verändert. Zudem wird derzeit von uns eine Solidarität erwartet, die sich im Abstandhalten zeigt, im Mangel an persönlichen physischen Begegnungen. Das geforderte Verhalten ist ein Widerspruch zu dem, wie wir sonst Solidarität im Nah-Raum entwickeln und leben. Wir sind angehalten etwas zu tun, was zumindest meinen Bedürfnissen zutiefst widerspricht, was aber wichtig ist. Hier braucht es viel Zuversicht. Ich denke, es wird uns gelingen, unser Beziehungsgeflecht nach dieser Zeit der Herausforderung wieder neu zu vertiefen. Denn die Pandemie hat sehr deutlich werden lassen, wie sehr Begegnungen fehlen, wie sehr sie unser Leben ausmachen.


Solidarität hat aber noch eine weitere Seite, die Solidarität, die jenen gilt, die am Rand der Gesellschaft leben, die Hilfe brauchen. Wie sieht ihre Lebenssituation derzeit aus? Werfen wir zuerst einen Blick auf Menschen auf der Flucht. Die Frage ihrer Lebensqualität und –chancen, ist derzeit wieder medial stark präsent, weil Schulkinder in einer Nacht- und Nebel-Aktion abgeschoben wurden und uns Bilder von Menschen erschüttern, die unter unwürdigen Umständen hausen: Keine schutzbietenden Unterkünfte gegen Kälte oder andere Gefahren, Hunger, keine ausreichende Infrastruktur, weder Bildungsangebote, noch medizinische Versorgung. Wie kann hier Vertrauen und Zuversicht aufgebaut werden? Wo bleibt der sorglose Spaß, die Entspannung und Ruhe oder der Genuss, die unser Leben lebenswert machen? Diese Ereignisse und Bilder haben erschüttert. Immer mehr beteiligen sich an verschiedenen Initiativen wie Aufrufen, Spenden oder Unterbringungsangeboten, die dem Leid ein Ende bereiten wollen.
Die Angebote zu helfen, sind teilweise sehr konkret. Gemeinden, Pfarren und unterschiedlichste Gruppierungen wollen die Verantwortung übernehmen. Doch diese Ansinnen werden zerredet. Es wird von einer Verantwortungsethik im Gegensatz zur Gesinnungsethik gesprochen. Aber wie geht das, Verantwortung ohne Gesinnung? Ich hoffe doch, dass den guten Taten auch eine gute Absicht zugrunde liegt und nichts Anderes. Eine weitere Wortwahl finde ich auch sehr besorgniserregend: flexible Solidarität. Was heißt das, flexible Solidarität. Und was heißt flexible Solidarität mit Menschen dort in anderen Ländern und hier bei uns für unser Miteinander? Stellen Sie sich vor, das wird zur allgemeingültigen Regel erklärt und zum Erziehungsziel. Welche Folgen hätte das? Zu welchem Verhalten wird hier aufgerufen? Geht es darum, uns abbringen zu lassen, von dem, was unser Impuls ist, nämlich Leben zu ermöglichen, zu teilen. Stellen Sie sich vor, Solidarität gilt nur noch denen, die mir gerade angenehm sind. Was heißt das, wenn ich in Not gerate, wird mir jemand beim Aufstehen helfen, wird die Krankenkasse im Falle eines Unfalls, die Kosten für meine Behandlung übernehmen, wird sich jemand für mich einsetzen, wenn mir Unrecht widerfahren ist, ich ausgegrenzt werde? Was heißt das ganz konkret für jene, die in der Krise arbeitslos geworden sind oder geblieben sind, für jene, die in Kurzarbeit sind und bei denen es dann nicht reicht, weil das Geld auch vorher schon knapp war oder bei (kleineren) Unternehmen, die monatelang zusperren mussten? Nicht auszudenken.
Eine beliebige, unzuverlässige, eine eingeschränkte Solidarität, ein eingeschränkter Blickwinkel, das ist eine Versuchung vor der wir heute stehen. Auch Jesus wurde in der Wüste versucht nur an das eigene Wohl, den eigenen Erfolg und das eigene Weiterkommen zu denken, aber das war und ist nicht der Weg zum guten Miteinander. Wir können die Fastenzeit nutzen, um Sackgassen zu erkennen und Kraft zu sammeln, um uns aufzumachen in Richtung Reich Gottes, in Richtung gutes Leben aller Menschen auf dieser einen Erde und das Angebot annehmen, das Noah und uns allen gemacht wurde und wird, dass Gott jederzeit für uns da ist und mit uns ist.
 

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