Samstag 20. Juli 2024

Zoff im Volk Gottes.

Sozialpredigt zum 3. Fastensonntag im Jahreskreis (19.03.2017)

 

Autor: Mag. Wilfried Scheidl, DSA

 

Einig, geschwisterlich, harmonisch, ausgeglichen? Das sind Worte, die wohl kaum den Zustand unserer Welt im Jahr 2017 beschreiben. Eher im Gegenteil.

 

Streit, Auseinandersetzung, Konflikte, Ringen um Wahrheit und Wahrheiten prägen unsere Zeit.

Manche orakeln schon von der gespaltenen, zerrissenen Gesellschaft, und sehen das als Problemzeichen.

 

Nun, vielleicht ist ein Blick auf die Lesung aus dem Buch Exodus dazu hilfreich. Gestritten und gefetzt wurde auch schon damals, wie man hier nachlesen kann.


Das Volk Gottes ist unterwegs, hat die Fleischtöpfe und die Knute des Pharaos hinter sich gelassen. Jetzt aber beginnt es sich zu ziehen, die Euphorie des Auszugs ist Geschichte, die Wüste zeigt ihre unbarmherzige Seite.

 

Nun kommt der Durst. Ich schlage vor, diesen Durst mal auch wörtlich zu nehmen – wie ist es, wenn man wirklich Durst bekommt, und nicht weiß, wo Wasser zu finden ist? Wie ist es, wenn einen, eine die Panik ergreift, und man mit schmerzender ausgedörrter Kehle weitergeht. Ich kann es nicht aus eigenen Erleben nachvollziehen, lebe ich doch in einem Land, das mit Wasser gesegnet ist. Aber wenn ich versuche mich ein wenig hinein zu fühlen, dann wird mir klar: dann würde ich auch sehr direkt werden. Ich würde mir kein Blatt mehr vom Mund nehmen, ich würde murren und schimpfen, und fragen: wer ist dafür verantwortlich?


So macht es das „Volk“: es geht seine Funktionäre wortwörtlich an, in dem Fall Mose. Die Leute murren, sie werden deutlich, sie beginnen Klartext zu sprechen. Weil eben was Lebensnotwendiges fehlt.

Und diese Dynamik, dieses Drängen erfasst auch Mose – und er spürt, jetzt wird es bedrohlich, jetzt muss was geschehen. Nur, er selber kann’s nicht wenden, er hat aber zu seinem Glück ein göttliches Gegenüber, das es aushält, wenn Mose zu ihm schreit. Schreien wohlgemerkt, kein wohlgesetzten Worte, kein „Ich hätte da ein Anliegen…“, nein, es wird geschrien. Er schreit seine Not mit dem Volk heraus, weil das Volk ihn dazu nötigt. Eine spannende lebendige kraftvolle Beziehung wird hier deutlich. Und sie halten es aus: sowohl Mose als auch Gott. Und aus diesem Ringen heraus wird dann das Wunder möglich: die Härte des Felsens gibt das lebensrettende Wasser frei. Aber erst nach diesem intensiven Ringen, diesem Streiten auf verschiedenen Ebenen. Probe und Streit nennt Mose dann diesen Ort, an dem sich zeigen musste, ob die schönen Verheißungen halten.

 

Was könnten wir daraus lernen? Nun, es darf gestritten werden, es geht nicht darum Konflikte zuzukuscheln und mit einer Harmoniesoße zu überziehen. Nein, wenn es drängend, wesentlich wird, dann ist auch Klartext nötig.

 

Das ist kein Argument fürs Schimpfen und Pöbeln, wie in den Untiefen des Internets öfters vorhanden, sondern dafür, darauf zu achten, wo hinter dem Laut werden die wirkliche Not, der „Durst“ steckt. Wer laut schreit, muss nicht immer Recht haben, aber es kann was Wichtiges dahinter stecken, das all unserer Aufmerksamkeit wert ist.

 

In der Sozialen Arbeit hat man es öfters damit zu tun: Menschen werden in ihren wirklichen Nöten drängend, nehmen sich kein Blatt mehr vor dem Mund, werden deutlich. Klug sind dann diejenigen, die das aushalten, die das nicht krumm nehmen, sondern sich fragen: was ist der Durst dahinter? Wenn man da hin hört, dann kommt Bewegung ins System, dann geht vielleicht was weiter. Vielleicht darf ja auch das gesellschaftliche Ringen in unseren Tagen so verstanden werden: es geht um wichtige wesentliche Fragen. Wir dürfen auch laut werden. Und wir haben das Recht auf Menschen in den entsprechenden Funktionen in unseren kirchlichen, sozialen und politischen Systemen, die das aushalten, die das hören können.

 

Gerade in Pastoral und Caritas haben wir darüber hinaus auch die Zusage von Gott: ich halte das aus, ich halte Euch aus, Ihr dürft lästig werden, bedrängend sein, Euch ehrlich machen. Es ist eine Beziehung, die auch intensiv werden darf, sich nicht nur im Hosianna erschöpfen muss, sondern auch das Schreien und Murren kennt. Eine Gnade eigentlich, was wir ausdrücken dürfen. Denn wenn’s nicht ausgedrückt wird, dann wird das giftig, zersetzt, lähmt.

 

Somit also auch eine Ermutigung zu schauen, wo hat das Volk wirklich Durst, wo ist seine Not? Und aus dieser Bedrängnis heraus können, ja sollen wir auch Gott bedrängen, Ringen um die Frage, wo wir dann Wasser finden. Denn darum geht es letztendlich: Wasser für den Durstigen, Brot für die Hungrige.

Dieses Anliegen ist wohl all unseres Engagements wert. Wenn wir andocken an den drängenden Themen, die Menschen bewegen, dann kommen auch wir in Bewegung. Dann drängt es auch uns dazu, aktiv zu werden, dann geraten auch wir selbstverständlich ins Handeln und werden so vielleicht da und dort auch wesentlich als Kirche. Wesentlich für die Linderung der Nöte der Menschen.

 

Und noch zum Schluss…Wo uns nichts mehr bedrängt, wo es nur mehr leise zugeht in unseren Kirchen, das Schreien verstummt oder gar nicht mehr zu hören ist – dort darf man sich zurecht die Frage stellen: sehen wir das „Volk“ noch, wissen wir noch, was sein Durst ist? Oder müssen wir uns schleunigst auf die Socken machen, rausgehen, zuhören, hingehen, wo es rau und direkt wird, wo man ungeschminkt Klartext redet? Und zur Ermutigung für ein solches „Wagnis“- wir haben die Zusage: dort am Felsen, da wo man ansteht in aller Härte, da steht Gott vor uns und lässt uns nicht hängen!

 

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