Mittwoch 21. August 2024

Wenn Gerechtigkeit überfließt.

Anweisungen für eine neue Geschwisterlichkeit, wo Menschen einander Nächste werden. Unbedingt

zum 6. Sonntag im Jahreskreis (12. 2.2017)

 

Autor: Mag. Fritz Käferböck-Stelzer

            Betriebsseelsorger im Treffpunkt

            mensch & arbeit Nettingsdorf

 

Ich bin gekommen, das Gesetz zu erfüllen. Eine klare Ansage Jesu begegnet uns am Anfang des heutigen Evangeliums. Jesus weiß als gläubiger Jude, was Leitlinie des Lebens ist und sein soll. Die Tora, die Weisungen JHWHs. Die Tora führt zum Leben. Das war dem Volk Israel immer schon klar. Um die Tora für das Leben tauglich zu machen, braucht es daher immer wieder die Erinnerung und die Erklärung, das gemeinsame Ringen um den rechten, gerechten Weg. Denn offensichtlich hat das bisher zu wenig gefruchtet. Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt wurde … Jesus erweist sich als schlauer Pädagoge. Sowohl ihr, als auch die Alten sollten die Weisungen JHWHs kennen und auch tun. War aber wohl noch zu wenig, denn die Welt, wie sie ist, ist noch weit von Gerechtigkeit, von Menschlichkeit, von Barmherzigkeit entfernt. Damit Reich Gottes möglich werden kann, muss die Gerechtigkeit der Gemeinde jene der Schriftgelehrten und Pharisäer weit übertreffen.

 

Das kann auch für uns Anknüpfungspunkt in unserer Zeit sein. Wir erleben Zeiten großer Fluchtbewegungen, weil Menschen in ihren Ländern von Krieg und Tod bedroht sind, Leben dort schlichtweg verunmöglicht wird. Gleichzeitig spüren wir eine große Verhärtung und steigende Menschenverachtung, die sich auch in einem Rechtsruck und teilweisem Rechtsextremismus auswirkt, in unserer immer noch reichen Gesellschaft. Da wird von Seiten der Politik und der Reichen Angst geschürt gegen AsylwerberInnen, MigrantInnen, Obdachlose, Arbeitslose und BezieherInnen von Mindestsicherung und per Gesetz werden Kürzungen beschlossen, die denjenigen, die ohnehin schon wenig oder zuwenig haben, das Leben noch härter macht, wenn nicht gar verunmöglicht. Oder es werden per Gesetz Bettelverbote erteilt, also Grundrechte mit Füßen getreten. „Wir sind ja schließlich kein Selbstbedienungsladen. Die, die zu uns kommen wollen, sollen abgeschreckt werden. Denen soll es nicht zu leicht gemacht werden.“ So sagen zumindest die, die als PolitikerInnen auf Kosten der Allgemeinheit gute Gehälter beziehen, oder die, die ihre Gewinne in ihren Firmen oft wenig besteuern lassen, weil sie Finanzberater haben, kurzum die, die ihren Beitrag zu einer guten Gesellschaft lieber für sich behalten als ihn allen zur Verfügung zu stellen.

 

Anders die Gesetze der Bibel. Sie decken auf, benennen die Wirklichkeit als das, was es ist, ein Skandal, ein Ärgernis, ein Unrecht, weil Menschen noch immer nicht als Menschen leben können.

In einer Zeit, wo die Römerherrschaft der damaligen Gesellschaft ihren Stempel aufzudrücken versucht, braucht es einen Orientierungsrahmen. Jesus knüpft an den Weisungen für die Alten an, verlangt deren Erfüllung, weil er weiß, dass sie dem Leben dienen. Es geht um die Frage, wie angesichts der herrschenden Unterdrückung trotzdem gottgefälliges und damit menschenfreundliches Leben möglich ist. Gemeinsam als Gemeinschaft. Jesus aktualisiert das, was den Alten gesagt wurde und ergänzt mit einer neuen Praxis.

 

Eingebettet ist das, was Jesus hier sagt, in die sogenannte Bergpredigt. Als er die vielen Menschen sieht, steigt er auf einen Berg, und er lehrte sie. Hier passiert also Entscheidendes. Nach den Seligpreisungen faltet Matthäus die Botschaft Jesu aus, bezeichnet die JüngerInnen und AnhängerInnen Jesu als Salz der Erde und Licht der Welt. Geschmackvoll leben, dem Schalen Würze verleihen und das beleuchten, was dem Leben, der Lebendigkeit, der Menschlichkeit dient, könnte man kurz zusammenfassen. Und er beschreibt prägnant das Selbstverständnis des Messias Jesus, der gekommen ist, das Gesetz und die Propheten zu erfüllen, sich dadurch in einer Tradition der Befreiung wissend.

 

Auch das eine Herausforderung an unsere Zeit, in der alles individuell geregelt werden will, angepasst an die je eigenen Bedürfnisse und Wünsche. Und nach vorne, hinten und oben hin offen, keine Grenzen, entgrenztes Leben in allen Bereichen. Alles soll möglich sein, sofort, Reisen und Jetten um die Welt, da eine Bestellung im Internet, immer mehr Technisierung im Alltag, steigender Energieverbrauch und Erderwärmung, die Forderung nach einem Erwerbsarbeitstag mit bis zu zwölf Stunden. Die Auswirkungen auf das Menschsein, auf die Schöpfung und die Welt werden zwar immer wieder diskutiert, aber nicht geregelt. Zu angenehm ist für uns das Leben auf Kosten anderer.

 

Demgegenüber schildert Matthäus, wie die Verwirklichung des Reiches Gottes aussehen kann und vermittelt uns als ChristInnen in dieser Nachfolge, wo wir stehen, und dass wir an der Verwirklichung noch zu arbeiten haben. Jesus weiß sich in der Tradition der Tora, dem Grundgesetz des Projektes Israel mit JHWH, seinem Gott. Einzigartiges tritt uns in der Tora entgegen, ein Gesetz von unten geschrieben, das den Menschen im Fokus hat, das sich orientiert an den Kleinen, Benachteiligten, das arme Witwen, Waisen, Fremde, SklavInnen bevorzugt in den Blick nimmt. Sie stehen unter dem besonderen Schutz JHWHs und damit auch dem des Volkes Israel. Wie anders treten da heutige Gesetze auf, die mehr an der Sicherung von Eigentum orientiert sind als an einer gerechten Gesellschaft.

 

Biblische Gesetze sind Gesetze aus der Perspektive von unten. Nicht Eigentum wird geschützt, sondern das Leben der Schwächeren. Daher darf auch kein Jota verlorengehen oder umgedeutet werden. So wie wir es heute erleben, dass in der Auslegung der Gesetze oft ein großer Spielraum ist und Geld, Macht und Einfluss mitbestimmen, wie Gesetze gestaltet und ausgelegt werden.

 

Jesus bemüht ganz bewusst die Tora und die Propheten als Leitlinien, als Orientierung zum Leben und Handeln aneinander.


In diesen Zusammenhang sind die Worte und Gedanken Jesu eingebettet und es wird so auch verständlich, wieso Jesus scheinbar an einer Übererfüllung der Gesetze interessiert ist. Sein Denken geht in Richtung Menschenfreundlichkeit. Und da ist es wichtig und wesentlich, wie der Mensch dem Menschen zum Nächsten werden kann. Jeder der seinem Bruder zürnt ist aufgerufen, sein Verhältnis mit ihm zu regeln, ins rechte Lot zu bringen. Passiert das nicht, kann sich die Spirale der Gewalt aufschaukeln bis zur gegenseitigen Vernichtung. Im alltäglichen Verhalten mit- und aneinander soll eine neue Gesellschaft entstehen. Nicht erst mit dem Töten, der radikalen Verweigerung von Existenz, beginnt der radikale Bruch zwischen Menschen. Im Zürnen, schlecht über wen Reden, jemanden Ausgrenzen und Ausrichten zeigt sich, dass Beziehung aus dem Lot ist. Wir gehen dann nicht so miteinander um, wie es uns als Menschen grundsätzlich entsprechen würde und könnte.

 

Man kann sich untereinander das Leben ganz schön zur Hölle machen. Man denke nur an Konflikte am Arbeitsplatz, wo KollegInnen links liegen gelassen werden, nicht teilhaben können und dürfen. Wo Gespräch verweigert wird. Wo abwertend über Menschen gesprochen wird. Hier gilt es, von Grund auf neue Verhaltensweisen einzuüben. Positiv aufeinander zugehen, Angebote von anderen aufnehmen. „Ja und“ statt „ja aber“ als Grundhaltung. Und mit dem Herzen die Mitmenschen im Blick haben, also barmherzig miteinander umgehen.

 

Jesus wendet sich an die Leute aus dem Volk. Er will uns eine Perspektive für eine vorbehaltlose Geschwisterlichkeit mitgeben, wo Menschen einander Nächste werden. Dazu leitet er auch mit praktischen Umsetzungen an, greift auf Altbewährtes zurück. Friedvoll miteinander umgehen, uns zum Guten verführen lassen und Handschlagqualität im Sinne von ehrlichem Umgang miteinander, wo ein Ja wirklich ein Ja ist.

 

„Ihr habt gehört“ – Erinnern ist ein wesentliches Moment unseres Glaubens, an die Tora will immer wieder neu erinnert werden. Doch Matthäus bringt noch weitere Aspekte ins Spiel, die für ein geglücktes Zusammenleben in der Gemeinde und mit anderen wichtig erscheinen. Unser Denken prägt unser Tun und Handeln. So gesehen ist es wichtig, uns mit Menschenfreundlichkeit, Barmherzigkeit, Respekt, würdevollem Tun aneinander zu stärken. Es liegt an uns, wie Geschichte, Leben miteinander ausgeht, wie wir mit Menschen an den Rändern der Gesellschaft umgehen. Unser Tun und Denken bestimmt eine neue Gesellschaft. Wir haben es in der Hand, gewohnte Kreisläufe zu unter- und durchbrechen, gegen jede Form der Gewalt neue Wege zu gehen. Denn Gewalt zeigt sich nicht erst in der letzten Konsequenz unseres Handelns, sondern ist angelegt in unserem Denken, in Sichtweisen, in Bewertungen, in dem, wie wir mit- und voneinander reden, was wir übereinander denken. Hier könnten wir im Sinne eines Aufräumens unsere Schubladen entleeren und Raum für neues Denken und Handeln schaffen.

 

Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein. Leben braucht Klarheit, wo wir darauf vertrauen dürfen, dass ein Ja kein Vielleicht bedeutet. Wer kennt es nicht aus eigener Erfahrung: Eine Zusage zu geben oder zu bekommen, die dann nicht eingehalten wird. So ist Zusammenleben nicht möglich. Es ist wesentlich, dass wir uns aufeinander verlassen können. Verbindlich miteinander verbunden, im Geiste JHWH, der uns leitet zum Leben und der Garant einer Gesellschaft ohne Herrschaft ist, in der der Mensch dem Menschen Nächster ist. Unbedingt.

 

Dazu wollen uns die Gesetze, die Weisungen der Tradition befreien. An unserer Lebensform, an der Praxis unserer Gemeinden wird ablesbar sein, wie weit wir mit der Umsetzung der Gerechtigkeit und Menschenfreundlichkeit JHWH schon sind.

 

Gerechtigkeit

 

Recht:
ein Recht oft
der Stärkeren

 

Recht:
ein Recht oft
der Reichen
Gerechtigkeit aber
fordert Recht
für die Schwachen.

 

Gerechtigkeit
fordert Recht
für die Armen.

 

Jesus starb
für die Macht
der Gerechtigkeit.

 

Jesus starb
durch das Recht
der Mächtigen.

 

Kurt Marti

 

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