Samstag 20. Juli 2024

Feindesliebe

Feindesliebe, Praxis, Emotionen

zum 7. Sonntag im Jahreskreis (19.2.2017)

 

Autor: Mag. Markus Pühringer, 

             Referent im Urbi@Orbi, Diözese Linz

Liebe Pfarrgemeinde,

 

sie gehört wohl zu den größten Herausforderungen jeder Christin und jedes Christen: die Herausforderung der Feindesliebe. Da sagt Jesus im Evangelium zu seinen JüngerInnen, dass sie auch die Feinde und Feindinnen lieben und für diejenigen, die sie verfolgen, bitten sollen.

Vermutlich geht es Ihnen so wie mir, wenn Sie denken, dass das schon eine sehr gewaltige Herausforderung ist, ja dass Jesus hier so etwas wie eine übermenschliche Leistung verlangt. Aber er tut es und er verlangt die Einhaltung nicht bloß von den ganz talentierten Jüngerinnen und Jüngern, sondern von allen. Alle, die Jesus nachfolgen wollen, sollen sich in der Feindesliebe üben. Das bedeutet wiederum, dass er uns alle für fähig hält, Feindesliebe zu praktizieren.

 

Aber schauen wir etwas genauer hin: In der Theorie ist es ja völlig klar: Jesus verkündigt in den Jahren seines Wirkens ein Welt- und Menschenbild, in welchem alle Menschen Kinder Gottes sind. Wir sind als Christinnen und Christen aufgefordert, Gott und unsere Nächsten zu lieben, so wie wir uns selbst lieben sollen (vgl. Lk 10,27). Das Reich Gottes wird dann sichtbar, wenn uns das gelingt. Die Nächsten schließt natürlich auch die FeindInnen mit ein, also auch jene, die wir hassen oder nicht mögen. Gerade im Umgang mit den FeindInnen zeigt sich also, wie ernst es uns mit der christlichen Botschaft ist. Die Feindesliebe war und ist ein Wesensbestandteil der christlichen Lehre, der übrigens in der Urkirche ganz stark betont wurde: Der Theologe Walter Wink meint, dass die Passage der Feindesliebe in den ersten vier Jahrhunderten der Kirche öfter als jede andere zitiert wurde. (vgl. Wink 2014: 113)

Nach christlicher Überzeugung ist Gott wesenseins mit der Liebe, und diese Liebe erstreckt sich auf alle Menschen. So heißt es im 1. Brief des Johannes: „Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott in ihm. (1 Joh 4,16) Folglich wird das Göttliche in uns überlagert, wenn in uns Aggression oder Hass aufkommt. Jesus begründet die Notwendigkeit der Feindesliebe damit, dass Gott „seine Sonne aufgehen lasse über Böse und Gute und es über Gerechte und Ungerechte regnen lässt.“

 

Feindesliebe – ein Widerspruch in sich

Eines wird ihnen schon aufgefallen sein: Feindesliebe ist eigentlich ein Widerspruch in sich. Denn wenn es mir gelingt, einem Feind wohlwollend zu begegnen, hört er ja auf, mein Feind zu sein. Also bedeutet Feindesliebe die Überwindung der Logik von Hass und Gewalt. Dort wo Feindesliebe und Gewaltfreiheit gegenwärtig sind, dort ist das Reich Gottes, sie sind eine Wesenseigenschaft des Reiches Gottes. (vgl. Wink 2014: 113ff)

 

Eine weitere Wesenseigenschaft ist die Gerechtigkeit: Reich Gottes wird dort wahr, wo alle Menschen mit allem Nötigen wie Nahrung (Mk 4,26-29), Unterkunft (Mk 4,30-32; Lk 13,18-21) und Schutz (Mk 4,30-32) versorgt sind. Friede und Gerechtigkeit gehören also untrennbar zusammen.

Kommen wir nun zur Praxis der Feindesliebe: Wie ich schon gesagt habe: Jesus hält uns alle für fähig, diese Feindesliebe zu leben. Das ist nicht nur eine Sache für die Super-ChristInnen. Ja, er glaubt sogar daran, dass sich immer mehr Menschen dieser Idee anschließen werden und sich so das Reich Gottes unaufhaltsam ausbreiten wird, bis es überall verbreitet sei.

 

Was heißt das aber nun praktisch? Wenn wir versuchen, das Gebot der Feindesliebe in unsere Zeit umzulegen, so könnte es bedeuten:

  • Wir sollen versuchen, all den Menschen wohlwollend zu begegnen, die uns im Alltag den Nerv ziehen.
  • Wir sollen versuchen, den politischen GegnerInnen freundlich zu begegnen.
  • Ja, wir sollten als Christinnen und Christen sogar für die Islamisten und TerroristInnen bitten, die Hass auf unsere westliche Gesellschaft haben und wahllos Menschen töten.

Das ist schon ein ziemlicher großer Brocken, den uns da Jesus zumutet.

 

Keine Unterdrückung von Emotionen

Aufs erste Hinsehen könnte das Gebot der Feindesliebe nun so verstanden werden, dass wir als Christinnen und Christen keine negativen Emotionen haben sollen: Man könnte meinen, dass Jesus verlangt, dass wir als Christinnen und Christen keinen Ärger empfinden dürfen, wir nicht wütend werden sollen und erst gar keinen Hass in uns aufsteigen lassen dürfen. Man könnte meinen, als Christinnen und Christen sind wir zur Verdrängung von Gefühlen aufgefordert.

Nun: Das ist ganz sicher nicht der Fall, denn – wenn das wirklich so gemeint wäre - dann hätten wir es ja mit einer Verletzung der Selbstliebe zu tun. Wir müssten ständig etwas bekämpfen, was in uns da ist. Ich denke, genau das Gegenteil ist der Fall: Aus der Konfliktforschung (zum Beispiel aus der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg) wissen wir, dass das Ernst-Nehmen von Gefühlen ganz wesentlich zu einer guten Konfliktregelung gehört. Denn hinter negativen Gefühlen verbergen sich in der Regel unerfüllte bzw. missachtete Bedürfnisse. Ein Gefühl wie Ärger oder Hass ist ein Botschafter.

 

Wenn ich mich also zum Beispiel darüber ärgere, dass meine NachbarInnen abends laut sind oder ihren Müll nicht ordentlich entsorgen, so kann ich mich auch fragen, was mir dieser Ärger sagen will:

  • Will er mir sagen, dass ich besser auf mich achten soll und meine Anliegen ruhig, aber selbstbewusst gegenüber den NachbarInnen darstelle?
  • Will er mir sagen, dass es mir noch nicht gelungen ist, eine gute Basis zu den NachbarInnen zu entwickeln?
  • Will er mir sagen, dass ich mit viel zu vielen Dingen beschäftigt bin und mir diese Störung einfach zu viel wird?
  • Oder will mir mein Ärger vielleicht ganz etwas anderes sagen?

Es ist oft gar nicht so einfach, genau zu ergründen, was hinter unseren Gefühlen steht. Oft braucht es eine gewisse Zeit, um wirklich dahinter zu kommen, was mir ein Gefühl genau sagen will: Meditation, still werden und gut in sich hineinhören können dabei ein guter Wegweiser sein. Ich bin überzeugt, dass es sich lohnen kann, dabei sehr achtsam mit sich umzugehen. Denn als Christinnen und Christen haben wir den Zuspruch, dass wir das Leben haben und es in Fülle haben. (Joh 10,10)

 

Strukturelle Gewalt

Noch schwieriger wird es freilich, wenn wir mit physischer Gewalt konfrontiert werden: Wie soll ich dem Selbstmord-Attentäter, der Dutzende Menschen mit dem LKW niederfährt, begegnen? Soll ich den Terroristen, der in einer Einkaufspassage wild um sich schießt, nicht hassen?

Ähnlich wie bei der direkten persönlichen Betroffenheit soll ich mich als Christin und Christ auch fragen, was psychologisch oder strukturell hinter diesen Taten stehen könnte:

  • Ist nicht die Gewalt ein hilfloser, völlig missglückter Schrei nach Anerkennung?
  • Ist nicht diese Gewalt ein freilich untauglicher Protest gegen die Ausgrenzung und Marginalisierung von immer mehr Menschen?
  • Erinnert uns diese Gewalt nicht auch daran, dass Friede nicht sein kann, wenn es so eine himmelschreiende globale Ungerechtigkeit gibt?

 

Jenseits von Psychologie: Feindesliebe hat bei Jesus nie bedeutet, dass er die herrschenden Verhältnisse einfach so hingenommen hat, im Gegenteil: Jesus war ein durch und durch politischer Mensch: Immer wieder kritisiert er die Mechanismen der Herrschaft, der Ungerechtigkeit und der Unterdrückung. Jesu Gleichnisse sind voll von Schuldnern, die – in einem ungerechten System - um ihr Überleben kämpfen, denn Verschuldung war im Palästina des ersten Jahrhunderts eine große Plage; durchaus ähnlich zu unserer heutigen globalen Situation. Seine Botschaft vom werdenden Reich Gottes sagt, dass es grundlegende strukturelle Veränderungen braucht, damit wir fähig werden, in geschwisterliche Liebe, einem Wohlwollen gegenüber allen Menschen leben zu können.

Zur Feindesliebe gehört also dazu, dass wir Ungerechtigkeit und Unterdrückung bekämpfen. Die Gewalt von TerroristInnen mag uns beispielsweise daran erinnern, dass wir noch viel engagierter gegen die Strukturen von Ausbeutung und Krieg vorgehen sollen. Jesu Kritik galt ganz häufig dem ungerechten System, nicht den Menschen. Er verwehrt sich gegen die Personalisierung von systemischen Ursachen.

 

Feindesliebe als Übungsfeld

Abschließend möchte ich Ihnen noch eines mit auf den Weg geben: Wenn wir versuchen, Feindesliebe zu praktizieren, so werden wir auf dem Weg dorthin wohl immer auch Rückschläge erleiden. Es wird uns nicht immer gelingen, allen Feinden wohlwollend zu begegnen. Wir werden mal wieder direkt vom Gefühl zur Handlung schreiten und es nicht schaffen, hinter das Gefühl zu schauen. Ein anderes Mal werden wir ungerechte Zustände einfach hinnehmen. Das gehört auch zu unserem Mensch-Sein dazu. Aber wir können den Feind und die unangenehmen Gefühle, die er in uns auslöst, auch als Übungsfeld betrachten und so das Reich Gottes in dieser Welt mehr und mehr Wirklichkeit werden lassen.
 

Ich wünsche Ihnen und ich wünsche mir, dass uns das – mit Gottes Zuspruch – immer besser gelingen möge.

 

 

 

Literaturhinweis:

Wink Walter: Die Verwandlung der Mächte. Eine Theologie der Gewaltfreiheit, Verlag Friedrich Pustet 2014

 

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