Samstag 20. Juli 2024

Jesuanische Kirche

Sozialpredigt zum 31. Sonntag (5. November 2023) im Jahreskreis,

Lesejahr A
Autor: Herbert Altmann, Caritas – Regional Caritas Koordinator Steyr Land, Kirchdorf


Liebe Gemeinde, 

 

Diese Worte sind die Einleitung einer heftigen Kritik Jesu an den Pharisäern. Es folgen 7 deftige Weherufe, die durchaus als „Brandrede“ bezeichnet werden können. Darin werden die Pharisäer als Heuchler, Scheinheilige, Blender, Blinde Führer, getünchte Gräber, Narren und Prophetenmörder bezeichnet. 

Hätte Matthäus diese Worte damals auf Social Media Plattformen gepostet, hätte er sich wohl eine Verwarnung, wenn nicht eine Sperre, zugezogen. Eine Klage wegen übler Nachrede und Verleumdung wäre wohl nicht auszuschließen gewesen. 

 

Was Matthäus hier betreibt, bezeichnet man heute als „bashing“ in seiner übelsten Form. Das Einschlagen auf Gegner und Feinde, die schwächer und wehrlos sind. Was hier bei Matthäus begonnen hat, zieht sich als roter Faden durch die folgenden Jahrhunderte der Judenverfolgung - bis hin zum schrecklichen Höhepunkt – dem Holocaust in der Nazizeit! 
Die Kirche hat einen gehörigen Schuldanteil an diesen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Eine eindeutige Abkehr von dieser Haltung erfolgte erst im 2. Vat. Konzil. Dort heißt es: Die Kirche verwirft alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, sie sich zu irgendeiner Zeit und von irgendjemand gegen die Juden gerichtet hat.“ (Erklärung zu den nichtchristl. Religionen, Nr. 4)

 

Die Kirche ist – Ironie der Geschichte – immer mehr den jesuanischen Vorwürfen an die Pharisäer ähnlich geworden. In kirchlichen Titeln wie „Geistlicher Rat, Prälat, Monsignore, Exzellenz und Eminenz“ lebt diese „Geisteshaltung“ bis heute fort. Unter dem Stichwort „Klerikalismus“ führt Papst Franziskus einen Kampf zur Überwindung dieses „pharisäischen Ungeistes“ in der Kirche. In seiner Weihnachtsansprache von 2014 hat er 15 Kritikpunkte an der römischen Kurie aufgelistet, die als Aktualisierung der 7 Weherufe Jesu gesehen werden können. (leicht in Google zu finden)

Dass die Kritik an anderen schon bei Matthäus ein Aufruf zu ständiger Selbstkritik war, wurde leider oft übersehen. Denn Jesus richtet seine Warnung gezielt an seine Jünger. Sie sollen penibel darauf achten, den Pharisäern nicht ähnlich zu werden. 

 

Es liegt schon ein tiefer Sinn dahinter, wenn es heißt: Wer mit einem Finger auf die anderen zeigt, der zeigt mit 3 Fingern auf sich selbst zurück.“ (Geste bewusst zeigen)


Die heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Pharisäern und Jesus spiegeln sich in der heutigen Kirche im Streit zwischen dem „konservativen Lager“ und „progressiven Lager“ wieder. 

 

Die Kontroverse dreht sich immer noch um die zentralen Kernfragen: Wer verfügt über die authentische Interpretation des Wortes, bzw. des Willens Gottes? Welcher Weg ist der richtige, um Erlösung/Befreiung zu erlangen? 

Es geht dabei um Grundwerte und Grundeinstellungen. Es betrifft die höchsten Werte und die tiefsten Glaubensüberzeugungen. Im Kern geht es um 3 zentrale Kategorien, die als Welt- Selbst- und Gottesbild bezeichnet werden. Diese 3 bilden eine unzertrennliche Einheit und beeinflussen sich immer wechselseitig. 
Ich möchte die beiden Lager anhand dieser 3 Kategorien kurz und pointiert beschreiben: (ev. Folie od. Plakat,siehe Anhang Seite 4). 

 

Das Weltbild des konservativen Lagers ist pessimistisch und negativ. Die Welt ist ein Ort des Bösen, voll von Versuchungen zur Sünde. Sie ist ein gefährlicher Kampfplatz, der nur durch ein himmlisches Eingreifen Gottes überwunden werden kann. 

 

Das Weltbild des progressiven Lagers ist optimistisch und positiv. Die Welt ist ein Ort, wo sich das Gute stets gegen das Böse durchsetzt. Sie ist ein lebensfreundlicher Spielplatz, der durch Gottes Gegenwart im Menschen zum besseren gestaltet werden kann. 

 

Das Selbstbild des konservativen Lagers ist individualistisch und egozentrisch. Die Rettung der eigenen Seele steht im Zentrum des Denkens. Dies ist nur möglich, wenn ich einen mit Heilsgarantie ausgestattetem Verhaltenskodex habe. Theologische Experten legen dafür penibel fest, was zu tun und zu unterlassen ist. Dieser religiöse Leistungskatalog gilt sakrosankt und ist unantastbar. Gehorsam ist oberste Tugend.

 

Das Selbstbild des progressiven Lagers ist sozial und solidarisch. Das Ich ist immer Teil einer Gemeinschaft, bzw. der gesamten Menschheitsfamilie. Die Verhaltensregeln orientieren sich stets am Wohl und Heil aller. Das eigene Gewissen ist der Ort an dem situativ und zeitgebunden entschieden wird, was zu tun oder zu unterlassen ist. Regeln und Normen sind Orientierungshilfen und können kritisiert und demokratisch verändert werden. Mündigkeit ist oberste Tugend. 

 

Das Gottesbild des konservativen Lagers ist richtend und strafend. Es ist von Angst geprägt und von Misstrauen bestimmt. Gerechter Lohn für die Guten und gerechte Strafe für die Bösen wird von Gott garantiert. Der Tempel ist der Ort der Heiligkeit Gottes auf Erden, wo nur durch Opfergaben die Sünden vergeben werden können. 


Das Gottesbild des progressiven Lagers ist von Liebe geprägt und von Vertrauen bestimmt. Barmherzigkeit mit den Sündern und nachgehende Sorge um die Verlorenen sind Kennzeichen Gottes. Der Mensch ist der Ort der Heiligkeit Gottes auf Erden und der wahre Tempel. Vergebung geschieht im Alltag von Mensch zu Mensch nach dem Motto „wie Gott mir, so ich dir“.

Dieses grobe Schema ließe sich noch in vielen Details genauer darstellen – aber das würde den Rahmen sprengen. Es sind 2 in sich stimmige Konzepte – aber auch 2 Konstruktionen von Wirklichkeit, die miteinander unvereinbar sind. Diese Unvereinbarkeit stellt uns vor eine existentielle Entscheidung. 
Diese hat sowohl eine individuelle als auch eine institutionelle Dimension. 

Die individuelle Entscheidungsfrage, welches Modell ich wähle, woran ich letztendlich mein Leben orientiere, stellt sich jedem Menschen. Es geht nicht nur um äußere Lager, sondern immer auch um „innere Stimmigkeit“.  
Welches Lager die Oberhand in mir gewinnt, hängt an der Frage: Setze ich auf Sicherheit (Pharisäer) oder Vertrauen (Jesus) in der Gottesfrage? 

Es ist aber auch eine institutionelle Anfrage an die Kirche. Welches Lager dominiert gerade? Ist sie auf dem Weg in die pharisäisch-konservative Verengung oder unterwegs in die jesuanisch-progressive Weitung? 

 

Der Ausschluss der Frauen von den Weiheämtern zeigt, dass der „konservative Geist“ derzeit prägend ist. Die von Papst Franziskus initiierte Öffnung auf eine synodale Kirche gibt Hoffnung, dass der jesuanische Geist mehr Gewicht bekommt und zu grundlegenden Veränderungen führen wird. Beide Kräfte werden wohl weiterhin in der Kirche miteinander um die Vorherrschaft ringen. 

 

Sich immer wieder am Beispiel Jesu zu orientieren und seine Übereinstimmung von Wort und Leben, von Theorie und Praxis zum Maßstab zu machen, ist für mich der einzige Weg um als Kirche wieder zeitgemäß, zukunftsfit und systemrelevant zu werden. 
An Jesus können wir lernen, dass nur der Weg des totalen Herrschaftsverzichtes und radikaler Dienstbereitschaft zum Ziel führen.  

 

Jede/r Christ/in kann und soll dazu seinen unverzichtbaren Beitrag leisten. 

 

Amen.

 

Anhang

 

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