Samstag 20. Juli 2024

Rettet das Leben - Gerecht, hilfreich und demütig.

Sozialpredigt

zum 12. Sonntag (25. Juni 2023) im Jahreskreis, Lesejahr A
Autor: Friedrich Käferböck-Stelzer, Team mensch & arbeit Nettingsdorf

 

nach Bildern von Sacharja 9,9-10 und Matthäus 11,25-30

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Gott schafft einen Bereich, wo die Ungebildeten die Bevorzugten sind. Es ist der Bereich des Glaubens und der Hoffnung. Diese Welt könnte auch anders sein. “ Jesus stellt unsere gewohnten Verhältnisse auf den Kopf. „Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir, denn ich bin sanft und von Herzen demütig. Und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele.“ Mühseligen und Beladenen werden entlastet und erquickt. Wo sonst Befehlston herrscht gibt es einen neuen Umgang miteinander. Jesus bezeichnet sich als gütig, sanft und demütig. Sind das in unserer Gesellschaft nicht die, die ständig draufzahlen, die Dummen, die sich nie durchsetzen werden, wenn es drauf ankommt. Diesen Weg sollen wir nachgehen? Eine Zumutung, da wären wir doch schön blöd. Stärke und Durchschlagskraft, das sind doch die Rufe, die jetzt wieder lauter werden, und zwischen schwarz und weiß scheint heute wenig anderes Platz zu haben.

 

„Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir“. Es gibt auch bei uns Bedarf, das Leben nach anderen Grundhaltungen auszurichten. Scheinbar Vertrautes gilt es mit neuen Augen zu sehen. Wir verbinden mit Joch Schwere und Mühsal, Situationen, aus denen wir nicht auskönnen, weil wir eingespannt, zusammengespannt sind, mit Blick nach vorne, den uns ein anderer weist.

Jesu Weg weist mit seinem Joch den Geplagten und Beladenen eine menschliche Richtung, Unmündige verstehen, worum es geht. Leben geht auch anders. Die vermeintlich Wissenden sind diesmal außen vor, kapieren nichts. Sie sind zu sehr sie mit sich selbst beschäftigt, mit ihrer Gier und dem Raffen nach immer mehr, mit ihrer Klugheit und Selbstdarstellung, Sie haben die kleinen Leute, die in der Bibel die Bevorzugten sind, nicht im Blick. Ja mehr noch, gerade sie sind es, die anderen Lasten aufbürden, auf Kosten anderer leben. Auf heute gemünzt kann man sagen, sie erhöhen Mieten, Energiepreise, Lebensmittelpreise, bringen andere um ihre Lebensmöglichkeiten. Dagegen wendet sich biblisches Denken. Die Weisungen Gottes, die zum Leben führen, werden ins Spiel gebracht. Ein Joch zum Leben ist das Bild dazu.

 

Leben braucht immer zumindest jemand zweiten. Das Joch spannt uns verbindlich zusammen, die Ausrichtung ist neu. „Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind,“ heißt es in der Bibel, da ereignet sich göttliche Anwesenheit. Allein sein und bleiben zu wollen ist tödlich. Alle oder keiner, so formuliert es Bert Brecht. Gutes Leben muss immer für alle möglich sein oder es ist nicht wirklich möglich. Das ist der biblische Anspruch. 

 

Dazu braucht es Menschen, die sich zusammentun, sich organisieren, das Leben in die Hand nehmen, verbunden durch ein Joch, das nicht drückt. Wenn viele Schultern gemeinsam tragen, werden Berge versetzt, manche Probleme leicht, ein anderes Zusammenleben möglich. Wenn alle mittragen, ihren Beitrag einbringen, entsteht eine neue Wirklichkeit. Wer hat das nicht auch schon erlebt?  Ein ermunternder Blick, ein Lächeln zur rechten Zeit, eine hilfreiche Hand, die stützt, ein Gespräch im Stiegenhaus, bei der Zugfahrt, im Bus, ein Stück Aufmerksamkeit füreinander im Alltag, mitanpacken, wenn Not am Mann oder Frau ist. Und wie belebend ist es, wenn ich mit meinen Fähigkeiten Platz habe?

 

Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Was für eine Ansage, unglaublich. Weg mit den Belastungen, die im Kapitalismus und Neoliberalismus schon so vertraut geworden sind. Wir haben uns daran gewöhnt und suchen eher Ausflüchte, warum etwas nicht veränderbar ist. Jesus tickt da anders, er signalisiert uns, dass das, was ist, nicht so sein muss. Verhältnisse, wo Ausbeutung und Unterdrückung, Ungerechtigkeit herrschen, sind veränderbar. Er beschreibt auch den Weg und die Grundhaltung, die es dazu braucht. Gütig sein, demütig sein von Herzen, dazu wie es auch bei Sacharja heißt: Siehe, dein König kommt zu dir, gerecht ist er, und er wird den Nationen Frieden verkünden. Er fährt nicht in der Limousine vor oder fliegt umweltbelastend mit dem Privatjet ein. Nein, er kommt auf dem Reittier des Volkes, dem Esel. Dieser König präsentiert sich selbst als ein Ohnmächtiger, scheint nicht mehr zu brauchen als auch das Volk zum Leben hat. Nicht hoch zu Ross reitet er ein, abgehoben. Wer steht kann ihm in die Augen schauen. Sein Ziel ist Frieden zu stiften, Streitwägen und der Kriegsbogen werden zerschlagen. Die Bibel zeigt uns eine neue Form von politischer Macht und Zusammenleben, entwirft großartige, unglaubliche Bilder. Hoffnungsvoll wird eine menschengerechte Zukunft beschrieben.

Weit entfern scheint da unsere Realität. Putins Angriffskrieg auf die Ukraine macht uns ratlos, nationale Perspektiven in Europa und weltweit sind die bestimmenden und wachsenden Faktoren, bringen unzählige Menschen um ihr Leben. Wir diskutieren Texte von Landeshymnen, anstatt in größeren Zusammenhängen zu phantasieren, länderübergreifende, verbindende Lieder zu singen. Und die Mitmenschen? Individualismus ist die vorherrschende Lebensform geworden, es ist out, sich um andere zu sorgen. Selbstfürsorge, Selbstoptimierung, Selbstverantwortung, der Trend geht immer mehr zum Selbst. Nachdenklich macht hier ein Satz, neulich in Ö1 zu hören: „Selbstverantwortung ist das Gegenteil von Verantwortung.“ Der eigenen Tellerrand ist die Grenze der Welt. Der Blick auf das Gemeinwohl, für das Gemeinsame und vom Gemeinsamen her zu denken, ist verloren gegangen, eine menschliche und menschenfreundliche Gesellschaft scheint in weiter Ferne. „Jeder ist jemand“, so brachte es jüngst Michel Friedman bei seiner Rede im Parlament auf den Punkt. Wir sind alle Menschen auf dieser Welt. Macht und Herrschaft haben ausdient, sind hinfällig. Niemand darf sich über jemand anderen stellen. 


Erinnern wir uns an die Worte Sacharjas: Gerecht, hilfreich und demütig wird das Verhalten des Königs beschrieben. Das erinnert an eine neue Generation von Politikerinnen in Graz, die für sich selbst den Lohn eines Facharbeiters als Entlohnung in Anspruch nehmen, also etwa 2000 Euro netto. Der Rest kommt in einen Sozialtopf für die Schwächeren. Seit Ende der 1990er Jahre wurden damit fast 3 Millionen Euro ausbezahlt. Ein anderes Handeln ist also möglich und ermächtigt die Schwachen, die Ohnmächtigen zu einem Leben in Würde. 
Oben und unten werden biblisch immer wieder bewusst verkehrt und neu beschrieben, um Nachdenkprozesse einzuleiten. Ein Volk von Gleichen ist der angestrebte Zustand. Das ist Anspruch auch für unsere gesellschaftlichen Verhältnisse, Lebensräume ermöglichen ist notwendig, sei es in Bezug auf Arbeitslose, Benachteiligte, im Blick auf unsere Arbeitswelten, Obdachlose, für Menschen auf der Flucht, denen manche unserer Politiker:innen kein Lebensrecht bei uns einräumen. Türen öffnen statt Pushbacks, weil: Jeder ist jemand. Erinnert sei hier an die Kinderverschickungen nach 1945, wo tausende Kinder aus Österreich, unterernährt, Halb- oder Vollwaisen, in ganz Europa aufgenommen wurden, um ihr Überleben zu sichern. So geht Menschlichkeit.

 

Eine neue Herrschaft, ohne Herrschaft. Unmöglich, geht nicht, würde man bei uns sagen. In der Bibel wird der neue König von seinem Wesen her beschrieben und so seine macht definiert. Menschenfreundlichkeit statt Hierarchie. Maßstab ist sein Tun für. An der Gerechtigkeit arbeiten ist sein Wesensmerkmal, die Tora zu tun und so Lebensmöglichkeiten für alle zu sichern ist seine Hauptaufgabe. 

 

Was entspräche dem in der heutigen Zeit? Die Lebensgrundlage der Menschen absichern, Deckelung von Mieten und Energiepreisen, Anrecht auf einen Wohnraum, eine warme Mahlzeit für alle Menschen, Grundeinkommen für alle, menschenwürdige Arbeit, kürzere und damit gesündere Arbeitszeiten und Beteiligung aller an dem, was gesellschaftlich zu tun ist. Arbeit wird gerecht verteilt, jeder und jede nach seinen und ihren Möglichkeiten. Und noch viel mehr.

 

Lassen wir uns einspannen in ein gemeinsames Joch der Verantwortung für die Gesellschaft. Jeder ist jemand. Wir können unsere Fähigkeiten in die Gesellschaft einzubringen, das tun, was wir gut können, unser Zusammenleben neu und anders organisieren. Nachbarschaftshilfe, Gemeinschaftsgärten, kollektive Wohnformen, neue Formen gemeinschaftlichen Zusammenlebens und Wohnens entwickeln, gemeinsam Kochen und Essen, in unserem kirchlichen Kontext unsere Pfarrheime zu Orten des alltäglichen Lebens machen.

 

Vom Weg Jesu zu lernen bedeutet, Teilen zu lernen, das ganze Leben. „Dann wird eine neue Welt erstehen, wo Brot genug und Wasser strömt für all,“ wie es Huub Oosterhuis treffend formulierte. Der Blick der Liebe möge dabei unser Tun leiten. Ich schaue auf dich, du auf mich. Eine Gesellschaft, in der Menschen einander Nächste werden, entwirft ein neues Miteinander. Vertraute Herrschafts- und Machtverhältnisse werden radikal gesprengt, Gleichwertigkeit und Gleichwürdigkeit, der Respekt vor dem Leben des und der anderen werden federführend. Jede und jeder hat hier Platz mit seiner und ihrer Stimme, seinen und ihren Bedürfnissen. Das Joch, das untereinander verbindet, ist leicht und zukunftsweisend und für alle gleich gültig: die Tora. Das Gesetz Jahwes zu erfüllen, bringt Leben, so lautet eine Kurzformel des jüdischen Glaubens. Gerecht, hilfreich und demütig zu leben ist die Anweisung für unser Tun und Handeln. In demütig verbirgt sich der Mut, den es braucht, von der eigenen Macht und Sehnsucht nach Herrschaft abzusehen und sich auf diesen unglaublichen Weg unbedingter Mitmenschlichkeit einzulassen. Mögen wir diesen Mut für ein neues Miteinander aufbringen.

 

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