Samstag 20. Juli 2024

Viel kann auch wenig sein - es kommt aufs Verhältnis an!

Sozialpredigt zum 24. Sonntag im Jahreskreis A (17. Sept. 2023)
Autorin: Angelika Gumpenberger-Eckerstorfer, Seelsorgerin in Wels – St. Franziskus

Sir 27,30-28,7; (Röm 14,7-9)
Mt 18,21-35

Liebe Geschwister in Gott!


Ich muss gestehen, manchmal (3–4-mal im Jahr) spiele ich Lotto, meistens wenn es Mehrfach-Jackpots gibt, dann riskiere ich einen einzelnen Tipp „ohne nichts“, nur das, keine  Zusatzspiele. Mich reizt die Vorstellung, eine oder zwei Millionen Euro zu gewinnen, und das Gedankenspiel – was würde ich mit diesem Geld tun – macht mir Freude. Diese „Deppensteuer“ zahle ich, obwohl ich weiß, dass es extrem unrealistisch ist, etwas zu gewinnen. 
Aber was ich mit zwei Millionen Euro tun würde, kann ich mir vorstellen: eine Wohnung für die studierenden Kinder kaufen, ein neues Dach samt Fotovoltaik für unser Haus, einen Teil in der Familie verteilen, einen Teil spenden, vielleicht eine schöne Reise machen, etwas auf die Seite legen. Diesen Betrag kann ich mir vorstellen, weil diese Summen mir im alltäglichen Leben begegnen (zumindest, wenn ich mir spaßhalber die Immobilienanzeigen anschaue).
Gehen Beträge in die Milliarden, ist das schon viel schwieriger. Wie viele Jahre, schätzen Sie spontan, müsste jemand mit Durchschnittsverdienst arbeiten, um eine Milliarde (brutto) zu verdienen? 31.840 Jahre! So lange geht unsere Geschichtsschreibung überhaupt nicht zurück. Alle Berufstätigen in Wels, grob geschätzt, arbeiten ein Jahr lang, um gemeinsam diesen Betrag zu verdienen.
Wenn nun bei verschiedenen Staatsausgaben (Covid-Hilfen, Gesundheit, Pensionen, Militär etc.) mit Milliardenbeträgen jongliert wird, übersteigt das unsere Vorstellungskraft. Auch was die Allerreichsten verdienen, tut es. Das ist insofern praktisch, als durch diese mangelnde Vergleichbarkeit auch in der Regel kein Neid aufkommt. Ob 1 Milliarde, 10 oder 100 Milliarden – es ist unermesslich viel, zugleich unvorstellbar viel, einfach „superreich“ (im Gegensatz zu uns hier, zumindest mit diesen Maßstäben) – und genauso unverständlich, wie man das in einem Leben „verdienen“ kann.


Wenn mein Nachbar, meine Nachbarin, allerdings um 10.000 oder 30.000 Euro mehr bekommt als ich, sich ein Auto um 60.000 Euro least, oder wenn jemand 400 Euro Sozialhilfe oder Wohnbeihilfe erhält, erzeugt das Neid – warum bekommt der/die, was ich nicht erhalte?


Das Gleichnis, das Jesus hier erzählt, ist so ein mustergültiges Rechenbeispiel. Der erste Knecht schuldet 10.000 Talente – die Zahl ist im Bereich des Vorstellbaren, der Wert schon nicht mehr: diese Summe entspricht 60 Millionen Denaren, also 60 Millionen Tagesverdiensten eines Tagelöhners, also 164.00 Jahresverdiensten (etwas hemdsärmelig umgerechnet auf heutige österreichische Verhältnisse, in denen wir ja verhältnismäßig mehr verdienen, würden das über 5 Mrd. Euro sein). Wie kann dieser Knecht diese unvorstellbaren Schulden angehäuft haben, wieso hat er überhaupt diesen Kredit bekommen? Hier geht’s weniger um die konkreten Summen, als um die Darstellung.
Und der zweite Knecht, der schuldet dem ersten 100 Tagesverdienste, also ca. 10.000 Euro (nach heutigen Maßstäben). Peanuts im Vergleich, und gut vorstellbar für uns, jemandem diese Summe zu schulden, etwa um ein gebrauchtes Auto oder eine Küche zu kaufen. Eine Menge Geld, auf die man nicht verzichten möchte, wenn man sie verliehen hat. Die erstgenannte Summe ist schnell vergessen, wenn man hört, was die Schuld des Zweiten beträgt. Jesus holt uns also ab mit diesem Gleichnis, in unserem alltäglichen Umgang mit Geld (und zur Zeit Jesu waren viele auf jeden einzelnen Denar/Tagesverdienst bitter angewiesen). 


Worüber Jesus aber sprechen möchte, ist nicht das Geld, sondern die unermessliche Güte und das Erbarmen Gottes: Auch wenn du tief in der Schuld Gottes stehst und Gott dir alles verzeiht, auf jede Wiedergutmachung verzichtest – warum bist du, Mensch, dann so kleinlich, und trägst deinem Mitmenschen jeden Fehler nach, verzeihst nicht?


Unendlich oft (dafür steht dieses „77-mal“) kannst du, Mensch, anderen verzeihen, bis du endlich - und eigentlich nie – dieselbe Nachsicht mit den Fehlern, Kränkungen und Verletzungen anderer gezeigt hast, die Gott mit dir übt.


Wie Gott mir, so ich dir – das muss deine Devise sein, lieber Christ, liebe Christin! Wenn hier beschrieben wird, wie streng Gott mit den  Unnachsichtigen, den Harten, den Kleinlichen, mit denen die nicht verzeihen wollen, verfährt, dann macht der Evangelist Matthäus deutlich, wie wichtig Vergebung in einer Gemeinschaft ist, die um ihr Überleben ringt. Wenn in Gemeinschaften (und auch in Gesellschaften) Gräben bestehen bleiben, man nicht mehr miteinander spricht, sondern einander ins Gefängnis bringen will, ist diese zum Scheitern verurteilt. Auch das ein Fingerzeig für uns heute – nach den Gräben, die das Durchleben der Covid-Krise aufgerissen hat, die die ungerechte Verteilung von Reichtum mit sich bringt, die weltweite Ungleichheit.


Wenn wir Menschen nicht Wege zueinander finden – auch wie hier im Gleichnis, dass Reiche ein etwas abgeben von ihren Gütern und Lebenschancen teilen – dann wird es schwierig für alle, zu überleben. (Heute sollten Gesetze und internationale Regelungen dafür sorgen).
Aber Gott schenkt uns eine enorme Anzahl an Neuanfängen, immer wieder dürfen wir versuchen, auf andere zuzugehen und ihnen das zu vergeben, was wir selber auch verbrechen, verbocken, in den Sand setzen. Erbitten wir die Geduld und Kraft von Gott dazu. 
Amen.


Fürbitten


Gott, aus deinem Mutterschoß kommt das Erbarmen, das du uns entgegenbringst. Die Anliegen unserer Zeit halten wir vor dich hin und bitten um deine spürbare Gegenwart:


Rechthaberei und Besitzansprüche enden in Gewalt und Kriegen, töten Menschen, treiben andere in die Flucht. Um deinen Geist des Friedens und des Zusammenhalts bitten wir.


Verletzungen und Verhärtungen machen ein Zusammenleben in Familien und Gemeinschaften schwer. Um deinen Geist des Verzeihens bitten wir.


Der rücksichtslose Umgang mit der Natur und die Ausbeutung der Erde fallen mit der Klimakrise auf uns zurück. Um deinen Geist der Ermutigung und Tatkraft bitten wir.


Vor Schuld verschließen wir gern die Augen, wollen unsere Fehler nicht eingestehen, wollen uns damit nicht beschäftigen. Um deinen Geist der Wahrhaftigkeit bitten wir.


Wir trauern um vertane Chancen, um zerbrochene Beziehungen. Wir trauen um Menschen, die wir verloren haben. Um deinen Geist des Neuanfangs und der Hoffnung bitten wir.


Gott, du fängst uns auf und liebst uns in all unseren Unzulänglichkeiten. Sei bei uns, wenn wir den Alltag zu meistern versuchen. Darum bitten wir durch Jesus Christus, unseren Bruder und Herrn. Amen.
 

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