Samstag 20. Juli 2024

Unser täglich Brot gib uns heute!

Sozialpredigt zum 25. Sonntag im Jahreskreis A (24. Sept. 2023)

 

Autor: Karl Immervoll, Theologe

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben! 


Ich darf euch doch so nennen. Und verzeiht wenn ich gleich zu Beginn sehr direkt werde: Habt ihr heute schon ein Vater Unser gebetet? Ich nehme doch an, ihr macht dies regelmäßig. Später werden wir es ja auch noch gemeinsam tun. 

 

Habt ihr euch dabei schon mal Gedanken gemacht, was es wohl bedeutet, wenn ihr betet: „… Unser tägliches Brot gib uns heute“? Vielleicht denkt sich dann die eine oder der andere, wie gut es ihr oder ihm doch geht. Aber stellt euch mal vor, ob allein, jung, alt oder mit Familie: Ihr fragt euch am Morgen eines Tages, was ihr zu essen habt! Nicht weil ihr vergessen habt einzukaufen, nein, weil einfach kein Geld da ist. Für die meisten von uns ist das unvorstellbar. Aber es passiert immer öfter, auch in Österreich, einem der reichsten Länder dieser Erde. Weltweit sind es Millionen Menschen, die hungern und denen die Bitte um das tägliche Brot heute  nicht gewährt wird. Gleichzeitig werden 40 Prozent der weltweit produzierten Lebensmittel wieder vernichtet, weil sie in einem anderen Eck der Welt sind und verderben oder, damit der Preis nicht verfällt, vernichtet werden. Dafür liefern wir 
ihnen den Müll. Allein im Jahr 2021 wurden zum Beispiel 156.000 Tonnen Textilien – darunter viele neuwertige, noch mit Preisschild versehen, von jemanden über Versand bestellt und wieder zurückgeschickt – illegal in der Atacamawüste in Chile deponiert, einem bedeutenden Naturjuwel.

 

Der nächste Satz im Gebet heißt: „Vergib uns unsere Schulden.“ Ja. Ihr habt richtig gehört. Das Wort, das hier im Originaltext des Vater Unser steht heißt Schulden, ökonomische Schulden, Geldschulden. Wo Schulden sind gibt es irgendwo auch Reichtum, in unserem Fall unermesslichen Reichtum. Einige hundert Personen besitzen ebenso viel wie die halbe Erdbevölkerung. Ihre Privatflugzeuge und Superyachten sind die Kehrseite zu den Elendsvierteln der Welt. Die jährlichen Ausgaben für diese Luxusgüter könnten locker die gesamten Schulden der armen Länder dieser Erde tilgen. Aber sie tun es nicht. Stattdessen stoßen sie mehr klimaschädliches Kohlendioxid aus als alle Bewohner mancher afrikanischer Länder zusammen. 

 

Eine junge Erbin erzählt, dass sie immer reicher wird ohne auch nur einen Finger dafür zu rühren. Ihr Besitz spielt ihr laufend Geld herein, Geld, das sie nicht braucht, aber anderen abgeht. Wäre sie wie andere Besitzende auch, würde sie damit etwas kaufen oder es veranlagen, und wiederum reicher werden. Vielmehr fordert sie: Besteuert uns Reiche! Mittlerweile ist sie nicht die einzige - ein Hoffnungsschimmer!

 

Aber gleichzeitig wissen – ich betone: auch in Österreich – manche Alleinstehende und vor allem Familien nicht, wie sie ihr Leben, ihren Alltag, die nächsten Wochen – oder vielleicht auch nur den heutigen Tag bewältigen sollen. „Unser tägliches Brot gib uns heute!“ Und wie viele sind weltweit auf der Flucht, auf der Suche auf einen neuen Aufenthaltsort, auf einen Ort zu leben, weil es dort, wo sie bisher waren, nicht mehr möglich ist?!  -   „Unser tägliches Brot gib uns heute!“ 

 

Obwohl nur ein kleiner Teil dieser Millionen von Menschen zu uns nach Europa will, sichern wir unsere Grenzen, verteidigen unseren Reichtum, so wie es auch jene tun, die Erbschafts- und Vermögenssteuer ablehnen, weil es eh nichts bringt. Woher kommt denn Reichtum? Von der eigenen Hände Arbeit? Das ist wohl eher die Ausnahme. „Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich!“ hat Bert Brecht gesagt.

 

Im Evangelium des Matthäus heißt es, dass ein Mensch seinem König zehntausend Talente schuldet.
1 Talent entsprach damals dem Wert von 6.000 Silberdrachmen. Mit einer Drachme konnte man den Tagesbedarf an Gerste kaufen. Eine Schuld von 10.000 Talenten, also 60 Millionen Silberdrachmen, das war die zweifache Jahresproduktion von ganz Judäa. Wer soll eine solche Schuld bezahlen? Wie kommt es denn zu so einer Summe? Der Herr, so heißt es im Text weiter, hat – nachdem der Sklave um Geduld gebeten hatte - Erbarmen und schenkte ihm die Schuld, im griechischen Originaltext heißt es: Er erließ ihm die Pfandschuld. In diesem Fall gab der König dem Sklaven das Unterpfand, also die Freiheit, ohne auf Rückzahlung zu bestehen. Matthäus beschreibt in dieser Geschichte das Himmelreich und will damit sagen: So groß kann die Schuld gar nicht sein, dass Gott uns nicht vergibt.

 

Aber wenn wir weiterhören, wie der undankbare Mann dann seinen eigenen Schuldner behandelt, dann hält uns Matthäus einen Spiegel vor die Augen: Wir haben Waren aus aller Welt, ebenso Rohstoffe für unsere Mobiltelefone, Computer, Akkus und so weiter. Wir nehmen ganz selbstverständlich die Dienstleistungen der Frauen und Männer (manchmal auch Kinder) in Billiglohnländer für die Produkte unseres Konsums in Anspruch. Und wir geben Kredite als Wirtschaftshilfen an Länder außerhalb unserer Reichtums Zone und erwarten Rückzahlung.

 

Doch wer ist hier wem etwas schuldig? In einer Sozialenzyklika aus dem Jahr 1987 von Papst Johannes Paul II. heißt es, dass Eigentum eine Soziale Verantwortung hat. Im Klartext, wenn ich genug habe und neben mir Menschen zu wenig und gar leiden, dann habe ich die unbedingte Verpflichtung zu geben. Im Vater Unser heißt es zum Schluss: „Führe uns nicht in Versuchung!“ Die Versuchung besteht darin, nicht zu geben, so zu sein wie der unbarmherzige Gläubiger im Evangelium. Denn der Vorteil ist nur kurzfristig. Irgendwann kommt es zurück, nämlich dann, wenn Menschen aus ihrer Not aufstehen und fordern, was ihnen zusteht, ob auf Fluchtrouten, in sozialen Unruhen oder gar durch Kriege. 


Ich lade also ein: Beten wir das Vater Unser und fragen wir uns täglich nach unseren Möglichkeiten für eine Welt, in der gutes Leben für alle möglich ist. Wenn Gott uns den Reichtum dieser Schöpfung beschert - bildlich gesprochen 10.000 Talente oder 60 Millionen Silberdrachmen -  dann dürfen wir ruhig auch großzügig sein.

 

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