Samstag 20. Juli 2024

Wer Ohren hat, der höre

Sozialpredigt zum 15. Sonntag im JK, Lesejahr A (16. Juli 2023)

 

Autor: Herbert Altmann, Caritas - Regional Caritas Koordinator Steyr Land, Kirchdorf

 

MT 13,1-13

Lesung aus dem Buch Jesaja. (55, 10-11)

 

So spricht der Herr:
Wie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt
und nicht dorthin zurückkehrt,
ohne die Erde zu tränken und sie zum Keimen und Sprossen zu bringen,
dass sie dem Sämann Samen gibt und Brot zum Essen,
so ist es auch mit dem Wort, das meinen Mund verlässt:
Es kehrt nicht leer zu mir zurück, ohne zu bewirken, was ich will,
und das zu erreichen, wozu ich es ausgesandt habe.

 

Lebendiges Wort Gottes!  (statt: Wort des lebendigen Gottes)

 

Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus (13,1-13).

 

An jenem Tag verließ Jesus das Haus und setzte sich an das Ufer des Sees.
Da versammelte sich eine große Menschenmenge um ihn.
Er stieg deshalb in ein Boot und setzte sich.
Und alle Menschen standen am Ufer.
Und er sprach lange zu ihnen in Gleichnissen.
Er sagte: Siehe, ein Sämann ging hinaus, um zu säen.
Als er säte, fiel ein Teil auf den Weg und die Vögel kamen und fraßen es.
Ein anderer Teil fiel auf felsigen Boden, wo es nur wenig Erde gab,
und ging sofort auf, weil das Erdreich nicht tief war;
als aber die Sonne hochstieg, wurde die Saat versengt
und verdorrte, weil sie keine Wurzeln hatte.
Wieder ein anderer Teil fiel in die Dornen und die Dornen wuchsen und erstickten die Saat.
Ein anderer Teil aber fiel auf guten Boden und brachte Frucht,
teils hundertfach, teils sechzigfach, teils dreißigfach.
Wer Ohren hat, der höre!
Da traten die Jünger zu ihm und sagten: Warum redest du zu ihnen in Gleichnissen?
Er antwortete ihnen: Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Himmelreichs zu verstehen; ihnen aber ist es nicht gegeben.
Denn wer hat, dem wird gegeben und er wird im Überfluss haben;
wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat.
Deshalb rede ich zu ihnen in Gleichnissen, weil sie sehen und doch nicht sehen und hören und doch nicht hören und nicht verstehen.


Predigt: 

 

„Die Reichen werden immer reicher und die Armen immer ärmer.“
Diese Tatsache spiegelt sich aufs erste Hören auch im Spruch: 
„Denn wer hat, dem wird gegeben und er wird im Überfluss haben;
wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat.“

In der Soziologie spricht man sogar vom Matthäus-Effekt - ein Erklärungsmodell für Erfolge. Wer erfolgreicher als andere ist, bekommt mehr Aufmerksamkeit. Diese ermöglicht neue Beziehungen und diese wiederum eröffnen neue Möglichkeiten und mehr Ressourcen, mit denen weitere Erfolge wahrscheinlicher werden. Ein sich selbst verstärkender Erfolgskreislauf kommt in Gang. Kleine Anfangsvorteile einzelner Akteur:innen können so zu großen Vorsprüngen heranwachsen, und eine kleine Anzahl von Akteur:innen kann den Hauptteil aller Erfolge auf sich vereinen, während die Mehrheit erfolglos bleibt.

 

Dieses Phänomen wird in einigen Sprichwörtern thematisiert, z. B. „Es regnet immer dorthin, wo es schon nass ist“, „Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen“, „Wo Tauben sind, fliegen Tauben zu“. Auf den Punkt gebracht: „The winner takes it all – the looser has to fall“… wie es in einem ABBA-Song heißt. 

 

Funktioniert die Welt so? Also zur Freude einiger weniger und zum Leid vieler Menschen! Die Vermögensstatistik ist da sehr eindeutig: Das weltweit reichste Prozent verfügt über ca. 45 % des Vermögens. Die Reichsten 10 % gar über 85 %. Die Ärmsten 50 % verfügen gerade mal über 1 %. Das entspricht annähernd einer Situation, in der von 100 Personen eine Person 90 % besitzt, während die anderen 99 Personen sich die übrigen 10 Prozent teilen. 

Legitimiert also Jesus mit seinem „Wer hat, dem wird gegeben“, dieses System als göttliche Ordnung – als von Gott gewollten Zustand der Welt? Haben die Reichen Gottes Segen und die Armen sollen sich der Realität beugen? Resignation als göttliches Gebot?

 

Jede:r, der:die Bibel auch nur ein klein wenig kennt, weiß, dass Jesus sich auf die Seite der Armen stellt. Wie passt das also zusammen? Wie lässt sich die Verwirrung auflösen?

 

Der Schlüssel liegt tatsächlich im „Wer Ohren hat, der höre!“

 

Jesus ursprüngliche Zuhörer:innen waren meist Kleinbauern und -bäuerinnen. Sie verstanden sofort: So ein Sämann kann keinen Ernteerfolg haben. Kein normaler Bauer könnte es sich leisten, derart verschwenderisch mit seinem Saatgut umzugehen. 


Die Bodenverhältnisse in Israel machen einen viel sorgfältigeren Umgang notwendig, um einigermaßen erfolgreich ernten zu können. Eine gute Ernte brachte damals ca. das 10 bis 15fache der Aussaatmenge. Dieser Bauer aber vergeudet schon einen Großteil der Aussaat! Ein recht erfolgloser Amateur - dieser Bauer von dem Jesus da spricht. Eine echte Lachnummer! So wie der, sollte man es also auf keinen Fall machen!

 

Doch plötzlich horchen sie auf: Was hat er da eben gesagt? Wieviel Körner haben seine Ähren? Ein Vielfaches! Das ist doch absolut unrealistisch, völlig übertrieben! Solche Ähren gibt es doch nur höchstens im Märchen. Der Vollvertrag ist gesichert.

 

Keine Spur von Verlust, vielmehr höchstmöglicher Gewinn! Die Scheune dieses Bauern ist genauso voll, wie ihre eigenen.  Noch völlig verwundert beginnen sie über den Sinn dieser „Wundergeschichte“ Jesu nachzudenken. Sie überlegen, was Jesus ihnen damit wohl sagen will? Vor dem geistigen Auge kann man sich vorstellen, wie sie heftig miteinander diskutieren und um ein sinnvolles Verständnis ringen.

 

Langsam geht ihnen auf, was der Kern der Sache ist. Ihnen wird allmählich klar: Der Sinn liegt im scheinbaren Unsinn dieser Geschichte. Das richtige Verständnis hängt davon ab, zu erkennen, wer dieser Bauer ist und worin sein Saatgut besteht. 

 

Da fällt einem ein: Hat nicht schon der Prophet Jesaja Gottes Wort mit Samenkörnern in der Erde verglichen? Steht dort nicht schon geschrieben, dass es Frucht bringt und erreicht, was Gottes Wille ist? Ist nicht der Wille Gottes, Brot (= gutes Leben) für alle Menschen? 
Liegt hier der Schlüssel, zum richtigen Verständnis? 

 

Jetzt hören sie das Gleichnis mit neuen Ohren. Sie begreifen: Mit diesem Gleichnis will ihnen Jesus etwas über sich selbst und die Welt Gottes sagen. Das worüber Jesus hier eigentlich spricht, ist er selbst.

 

Landauf, landab ist er unermüdlich unterwegs und verkündet die Botschaft vom Anbruch des Reiches Gottes. Damit sät er die Hoffnung auf Veränderung der sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Das Leben der armen und notleidenden Menschen soll sich radikal verbessern.

 

Die Bodenzustände im Gleichnis spiegeln die Realität des (Gottes-)Volkes: Einige hören gar nicht hin, andere wenden sich nach kurzer Zeit wieder von ihm ab, einige sind klar gegen ihn und versuchen ihn und seine Bewegung zu vernichten. Es ist nur eine kleine Gruppe, die sich ihm anschließt und treu bleibt. Was können die schon bewirken?


Ist seine Mission nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt? Über kurz oder lang wird wohl Gras über die Sache wachsen. Sie wird keine Spuren in der Geschichte hinterlassen. Ein kurzes Strohfeuer – mehr nicht. 

Ihrer Kritik und ihren Fragen hält Jesus sein Gottvertrauen entgegen. Er rechnet mit dem wunderbaren Wirken des Wortes Gottes. Es kann aus wenig viel machen, wenn es auf guten Boden fällt. Dort, wo es in den Herzen der Menschen Wurzeln schlagen kann, bringt es eine Ernte mit der normalerweise niemals zu rechnen ist. 

 

Nur für diese Menschen gilt das Wort: „Wer hat, dem wird gegeben …“ – sie wachsen in der Erkenntnis Gottes. Sie leben aus der überfließenden Fülle der Liebe Gottes und geben sie weiter. 

 

Jesu Wort trifft sie mitten ins Herz. Sie begreifen: Sie selbst sind damit angesprochen. Es ist seine Einladung an jede:n von uns. Welcher Boden für das Wort Gottes will ich sein? Bin ich wie 75 % unfruchtbar oder gehöre ich zu den 25 % fruchtbaren Boden? Lasse ich mich im Vertrauen auf Jesu Wort ein und bin bereit, wunderbares Wachstum an mir geschehen zu lassen? 

Somit müssen wir den „Matthäus-Effekt“ neu definieren. Es ist ein Erklärungsmodell für eine „spirituelle“ Weltveränderung: Wer sich auf das Wort Gottes einlässt, geht zu den armen und notleidenden Menschen. Aus diesen Beziehungen wächst die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Frieden. Solidarische Freundschaften entstehen und Bündnisse zur Verbesserung der Lebenssituation werden geschlossen. Engagement füreinander statt Kampf gegeneinander, bestimmen die Realität neu und bewirken positive Veränderungen.

 

Dann wird diese Welt eine andere – zur Freude vieler Menschen und zum Leidwesen einiger weniger Reicher. Diese reiche Ernte ist die Verheißung Gottes, die Jesus in diesem Gleichnis ankündigt.

 

Ich hoffe, ich konnte sie einladen, diese Bibelstelle mal mit neuen Augen zu sehen und neuen Ohren zu hören. Ich behaupte nicht, dass dies die eine, wahre Interpretation ist, aber es ist hoffentlich eine, die den Horizont erweitert und vielleicht zu neuen Erkenntnisse führen kann.          

                     

 AMEN

 

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