Montag 30. September 2024

Setzt dem Bösen keine Gewalt entgegen!

Sozialpredigt zum 7. Sonntag im Jahreskreis Lesejahr A (19. Februar 2023)
Autor: Prof. Dr. Wolfgang Palaver, Vorsitzender Pax Christi Österreich

Mt 5, 38–48
Lev 19,1-2.17-18; 1 Kor 3,16-23

Lied:
Wenn wir das Leben teilen wie das täglich Brot (Gotteslob – Nr.474)


Einleitung:
Ein zentrales Thema, wenn wir von Frieden sprechen ist Gewaltfreiheit. Doch was bedeutet es frei von Gewalt zu sein und zu leben? Wir weigern uns schlicht Gewalt anzuwenden. Weder um unsere eigenen, noch um die Interessen anderer durchzusetzen und zu unterstützen, bedienen wir uns des Mittels der Gewalt. Der weltbekannte Friedensaktivist Mahatma Gandhi sagte einmal: „Auf sanfte Weise können Sie die Welt erschüttern.“ Doch was meinte er damit? Vielleicht, dass wir mehr bewegen können, wenn wir mit sanfter Stimme sprechen, wenn wir frei von Groll und Ärger sind? Vielleicht, dass wir die Welt verändern, nicht indem wir fluchen und beleidigen, sondern indem wir einander liebevoll und achtsam begegnen. Und welche Rolle spielt jede*r Einzelne und unsere Gemeinschaft dabei? Damit werden wir uns im Rahmen dieses Gottesdienstes beschäftigen.


Lied:
Manchmal feiern wir mitten im Tag (Gotteslob – Nr. 472)


Gebet der Vereinten Nationen (UNO)
Herr, unsere Erde ist nur ein kleines Gestirn im großen Weltall. An uns
liegt es, daraus einen Planeten zu machen, dessen Geschöpfe nicht von
Kriegen gepeinigt, nicht von Hunger und Furcht gequält, nicht zerrissen
werden in sinnlose Trennung nach Rasse, Hautfarbe und
Weltanschauung. Gib uns Mut und die Voraussicht, schon heute mit
diesem Werk zu beginnen, damit unsere Kinder und Kindeskinder einst
mit Stolz den Namen Mensch tragen.


Lied:
Wenn das Brot das wir teilen (Gotteslob - Nr.470)

Lesungen und Predigt


Lesung: Jes 50,5–7
5 GOTT, der Herr, hat mir das Ohr geöffnet.
Ich aber wehrte mich nicht
und wich nicht zurück.
6 Ich hielt meinen Rücken denen hin,
die mich schlugen,
und meine Wange denen,
die mir den Bart ausrissen.
Mein Gesicht verbarg ich nicht
vor Schmähungen und Speichel.
7 Und GOTT, der Herr, wird mir helfen;
darum werde ich nicht in Schande enden.
Deshalb mache ich mein Gesicht hart wie einen Kiesel;
ich weiß, dass ich nicht in Schande gerate.


Antwortpsalm: Ps 31,1-8
1 Errege dich nicht über die Bösen, *
ereifere dich nicht über jene, die Schlechtes tun!
2 Denn sie verwelken schnell wie das Gras, *
wie frisches Grün verdorren sie.
3 Vertrau auf den HERRN und tue das Gute, *
wohne im Land und hüte die Treue!
4 Habe deine Lust am HERRN! *
So wird er dir geben, was dein Herz begehrt.
5 Befiehl dem HERRN deinen Weg, *
vertrau ihm - er wird es fügen.
6 Er lässt deine Gerechtigkeit aufgehen wie das Licht, *
dein Recht wie die Helle des Mittags.
7 Sei still vor dem HERRN und harre auf ihn!/
Errege dich nicht über den, dessen Weg Erfolg hat, *
den Mann, der Ränke ausführt!
8 Steh ab vom Zorn und lass den Grimm, *
errege dich nicht, es führt nur zu Bösem!


Aus dem hl. Evangelium nach Matthäus: Mt 5,38–42
38 Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. 39 Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin! 40 Und wenn dich einer vor Gericht bringen will, um dir das Hemd wegzunehmen, dann lass ihm auch den Mantel! 41 Und wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm! 42 Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab!
„Leistet dem, der Böses tut, keinen Widerstand“ lautet ein Kernsatz der Bergpredigt Jesu, die Papst Benedikt XVI. als Magna Charta der christlichen Gewaltfreiheit bezeichnete. Noch bekannter ist das Bild vom Hinhalten der anderen Wange, zu dem uns Jesus in diesen Versen des Matthäusevangeliums aufruft. Aber seien wir ehrlich, so richtig anfreunden konnten sich die Christ*innen – wie der Blick in die Geschichte zeigt – mit diesen Versen des Neuen Testaments nicht. Immer wieder haben auch Politiker*innen darauf hingewiesen, dass sich mit der Bergpredigt nicht regieren lasse. Ein ehemaliger deutscher Verteidigungsminister meinte überhaupt, dass die Bergpredigt nur für Bettelmönche praktizierbar sei. Damit hatte er indirekt das traditionelle katholische Umgehen mit dieser Bibelstelle angesprochen, wonach die radikalen Ratschläge der Bergpredigt nur für Ordensleute gelten, während für normale Christ*innen die Zehn Gebote genügen würden. Auch im privaten Bereich scheint vielen von uns das Hinhalten der anderen Wange unannehmbar zu sein. Muss man sich von den anderen wirklich alles gefallen lassen? Bedeutet Christ*insein, alle Gewalt und alles Unrecht einfach stumm und widerstandslos hinzunehmen?


Zur Beantwortung dieser Fragen müssen wir etwas genauer auf den Schrifttext hinschauen. Jesus empfiehlt, bei einem Schlag auf die rechte Wange, auch die andere Wange hinzuhalten. Das klingt auf den ersten Blick banal und leicht verständlich, ist aber in Wirklichkeit komplizierter. Bitte probieren sie das jetzt selbst aus. Verpassen Sie bitte – ganz sanft und nur andeutungsweise natürlich – mit der gewöhnlich gemeinten rechten Hand einen Schlag auf die rechte Wange eines ihrer Nachbar*innen. Wenn Sie das versuchen, werden Sie sofort bemerken, dass ein solcher Schlag nur mit dem Handrücken möglich ist. Es geht also nicht um einen gewöhnlichen Schlag, den man einfach hinzunehmen hätte, sondern um eine beleidigende Geste einer höher gestellten Person gegen eine gesellschaftlich untergebene Person. Walter Wink, ein US-amerikanischer Exeget hat Beispiele für solche ungleichen Verhältnisse genannt, die uns die Bibelstelle besser verstehen lassen: „Sklavenhalter schlugen mit der Rückhand ihre Sklaven, Ehemänner ihre Frauen, Eltern ihre Kinder, Römer Juden.“ Die Worte Jesu bedeuten also nicht, Schläge reaktionslos hinzunehmen, sondern fordern die Täter auf, nicht herablassend und entwürdigend zu handeln, sondern – wenn schon – gleiche Augenhöhe einzunehmen. Jesus fordert dazu auf, sich nicht entwürdigend und herablassend behandeln zu lassen. Er selbst gab ein Beispiel, als er den Diener des Hohenpriesters fragte, warum er ihn schlagen würde (Joh 18,23).
Warum fordert Jesus aber dazu auf, nicht zurückzuschlagen? Dazu müssen wir die Natur von Gewalt besser verstehen. Gewalt ist ansteckend und schaukelt sich im Konfliktgeschehen sehr leicht auf. Der aus Österreich stammenden Psychoanalytiker und Aggressionsforscher Friedrich Hacker hat das einmal mit der These „Gewalt ist ansteckend wie Cholera“ auf den Punkt gebracht. Jesus rät also in der Bergpredigt nicht dazu, das Böse einfach widerstandslos hinzunehmen, sondern das Böse nicht dadurch zu verstärken, dass mit gleicher Münze geantwortet wird.


Bei dieser Stelle in der Bergpredigt besteht für Christ*innen die Gefahr, sich antijüdisch über das Alte Testament zu erheben. Doch wie schon die heutige Lesung zeigt, argumentiert Jesus auf dem Hintergrund der jüdischen Tradition. Der jüdische Religionsphilosoph Pinchas Lapide verwies beispielsweise auf Psalm 37 (Ps 37,1.8), um zu verdeutlichen, dass es in der Bergpredigt um ein Ausbrechen aus der Spirale der Vergeltung geht. Er übersetzt Mt 5,39 mit „Wetteifert nicht im Unrecht-Tun!“. Die Bergpredigt weist uns also einen dritten Weg zwischen einem gleichgültigen Hinnehmen von Unrecht auf der einen Seite und einer durch Vergeltung angefeuerten Gewalteskalation auf der anderen Seite. Natürlich sollen wir uns dem Unrecht entgegenstellen, ohne allerdings dadurch die Gewalt zu verdoppeln. Schauen wir auf das griechische Zeitwort, das in diesem Bibelvers verwendet wird, so legt sich folgende Übersetzung nahe: „Setzt dem Bösen keine Gewalt entgegen!“ Ähnlich hat das der russische Schriftsteller Leo Tolstoi schon Ende des 19. Jahrhunderts verstanden, als er betonte, dass es keinen gewaltsamen Widerstand gegen das Böse geben dürfe. Durch Tolstoi entdeckte Mahatma Gandhi, der Befreier Indiens, die aktive Gewaltfreiheit Jesu in der Bergpredigt. Gandhis Friedenslehre ließ auch viele Christ*innen die eigene Botschaft neu entdecken. Das berühmteste Beispiel dafür ist der US-amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King, der – von Bibel und Gandhi inspiriert – gewaltfrei gegen die Rassendiskriminierung kämpfte. Auch der inzwischen selig gesprochene oberösterreichische Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus Franz Jägerstätter erkannte, dass die Bergpredigt keine passive Gleichgültigkeit empfiehlt, sondern eine geschwisterliche Haltung dem Kampf gegen Unrecht überordnet. In seinen Aufzeichnungen bemerkt er zur heutigen Bibelstelle: „Wir dürfen unser Recht suchen, höher jedoch als kaltes Recht steht die Bruderliebe.“ Aus biblischer Sicht gilt es, nicht auf Gewalt mit Gewalt zu antworten, sondern das Böse mit dem Guten zu besiegen. Sowohl der Psalm 37 als auch der Römerbrief von Paulus (Röm 12,21) unterstreichen das.
Gibt es Beispiele, wie wir durch gutes Handeln Wege aus der Gewalt finden können? Auf politischer Ebene ist der ehemalige Präsident Südafrikas und Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela ein gutes Beispiel. Sein nicht immer gewaltfreier Widerstand gegen die Apartheid brachte ihn für siebenundzwanzig Jahre ins Gefängnis. Statt sich dort aber Vergeltungsphantasien zu überlassen, wählte er den Weg der Versöhnung. Er eignete sich im Gefängnis freiwillig Afrikaans, die Sprache seiner Unterdrücker, an und befreundete sich mit einigen seiner Gefängniswächter. Sein Verzicht auf Vergeltung und seine Bereitschaft zur Versöhnung ermöglichten es ihm, nach seiner Freilassung den Grundstein zu einem Südafrika des Miteinanders zu legen. Wir selbst können in unseren Familien den Frieden stärken. Papst Franziskus hat in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag am 1. Jänner 2017 die Gewaltfreiheit ins Zentrum gestellt und die „häusliche Atmosphäre“ als „Wurzel für eine gewaltfreie Politik“ bezeichnet: „Die Familie ist der unerlässliche Schmelztiegel, durch den Eheleute, Eltern und Kinder, Brüder und Schwestern lernen, sich zu verständigen und uneigennützig füreinander zu sorgen; hier müssen Spannungen oder sogar Konflikte kraftvoll, aber durch Dialog, Achtung, Suche nach dem Wohl des anderen, Barmherzigkeit und Vergebung überwunden werden.“ Ähnlich wie Jägerstätter weiß der Papst um die Notwendigkeit von Konflikten, unterstreicht aber gleichzeitig, dass der Weg der aktiven Gewaltfreiheit darin besteht, die Einheit über den Konflikt zu stellen.
Die Bergpredigt ist kein Programm, das auf die ethische Überforderung des einzelnen Menschen zielt, sondern an eine Gemeinschaft gerichtet ist, sich gemeinsam an der Gewaltfreiheit zu orientieren. Wie Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Laudato si‘“ schreibt, ist die isolierte Einzelperson überfordert, sich ethisch gegen Strukturen der Sünde zu behaupten. Deshalb empfiehlt er, „Netze der Gemeinschaft“ zu bilden (Laudato si‘ Nr. 219). Unser gewaltfreier Einsatz für Friede, Gerechtigkeit und Schöpfungsverantwortung braucht solche Netzwerke. Der 21. September ist seit 1981 UN-Weltfriedenstag. Dieser Tag gewinnt an Bedeutung, wenn sich Menschen vernetzen, um ein gewaltfreies Zusammenleben im privaten und politischen Bereich zu stärken. Friedenspfarren, die sich an der Bergpredigt orientieren, können dafür ein nachahmenswertes Vorbild sein.

Lied:
Wo die Güte und die Liebe wohnt (Gotteslob – Nr. 442)


Fürbitten:
• Gott, unser Vater, wir bitten dich für die Menschen, die auf der Flucht sind oder die aus ihrer Heimat vertrieben werden. Lass sie wieder Heimat finden und schenke ihnen ein Herz, das zur Versöhnung bereit ist.


• Gott, unser Vater, wir bitten dich für alle, die durch Krieg, Gewalt oder Terror einen lieben Menschen verloren haben. Tröste sie in ihrem Leid und gebiete der Vergeltung Einhalt.


• Gott, unser Vater, wir bitten dich für alle, die Krieg, Gewalt und Terror über andere Menschen bringen. Schenke ihnen Einsicht und Umkehr, damit sie Wege des Friedens finden.


• Gott, unser Vater, wir bitten dich für alle Menschen, reinige unsere Herzen von Hass, Neid, Habsucht und Vergeltung. Schenke uns Gedanken und Wege der Verständigung und Versöhnung.


• Gott, unser Vater, hilf uns, nicht nachzulassen im Einsatz für Frieden und Versöhnung, um Mut zur Verständigung, um Kraft und Ausdauer.
Allmächtiger Gott, du schenkst den Frieden, den die Welt nicht geben kann. Sende uns den Geist des Friedens. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn.


Segen:
Geht in Frieden und glaubt fest,
dass Gott euch bei eurem Namen gerufen hat.
Geht in Frieden und entdeckt, wie schön es ist,
Gottes Liebe weiterzugeben.
Geht in Frieden, denn Gott ist bei euch
mit seinem Trost und mit seiner Liebe.
Gottes Liebe wärme dich.
Gottes Gegenwart umstrahle dich.
Gottes Geist möge in dir sein.
Gottes Kraft soll in dir wirken.
Gottes Zärtlichkeit soll dich beschützen.
Gottes Friede soll dich umgeben.

 

Diese Predigt ist bereits als Friedenspredigt erschienen.

 

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