Mittwoch 21. August 2024

Magnificat

Sozialpredigt zu Mariä Himmelfahrt (15. August 2020) im Jahreskreis | Lesejahr A

Predigtgedanken zu Lk 1, 46-55


Autorin: Mag.a Anna Wall-Strasser

Die Bibelstelle zum heutigen katholischen Marienfeiertag ist das Dank- und Loblied Marias, das Magnifikat.  Es ist eines der bedeutendsten Gebete des Christentums, ein fixer Teil des Stundengebets. Es kann meines Erachtens als ein Stück Weltliteratur bezeichnet werden. Es ist ein einzigartig schöner, lyrischer Text, der eine Vielzahl von Meditationen, Studien, Predigten, Musikstücken und Gemälden inspiriert hat. Der Evangelist Lukas hat Maria hier einen Text in den Mund gelegt, der ganz deutlich aus dem Ersten, dem Alten Testament inspiriert ist, Worte der Hoffnung und Zuversicht des jüdischen Volkes.


Der im Widerstand gegen Nazideutschland ermordete evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer hat das Loblied der Maria als „das leidenschaftlichste, wildeste, ja revolutionärste Adventlied“ bezeichnet. Bonhoeffer war ja auch ein radikal Hoffender, bis zum Ende seines Lebens.


In der frohen Botschaft des Lukas ist dieses besondere Lied eingebettet in die Begegnung zweier schwangerer Frauen. Für beide kam die Schwangerschaft völlig unerwartet - die eine, Elisabeth, war eigentlich zu alt dafür, und die andere, Maria, zu jung und noch unverheiratet. Maria war für diese Begegnung etwa 100 Kilometer gegangen, zu Fuß, durch unwegsames Bergland, und offensichtlich allein. Das zeugt schon von besonderem Mut, von Kraft, von Kenntnis über Land und Leute. Das Bergland von Judäa war nämlich damals das Rückzugsgebiet der Aufständischen gegen die römischen Besatzer.


Einige Tage wird Maria schon unterwegs gewesen sein. – Gehen macht den Kopf klar, das wissen alle, die sich jemals auf eine längere Wanderung eingelassen haben. Vielleicht wollte auch Maria Klarheit bekommen über sich, über ihre Situation, über ihre Schwangerschaft, über ihr Kind? Wer konnte da eher helfen als eine alte Verwandte, der es ähnlich erging?

 

Beim Zusammentreffen der beiden Frauen bricht dann dieses Lied heraus aus Marias Mund.  Es ist gleichsam eine Fanfare, eine Zusammenfassung der gesamten Glaubensüberzeugung. Einerseits ist es ein sehr persönliches Siegeslied, und zugleich eine Ermutigung für alle Unterdrückten. Es besingt die totale Umkehrung und den Umsturz der gesellschaftlichen Macht- und Besitzverhältnisse, wie es eindeutiger nicht sein kann.

Woher hat Maria aber diese visionäre Gewissheit?  Worin liegt sie begründet? Maria lobt Gott, weil er hingeschaut hat auf „die Niedrigkeit seiner Magd…“, wie es in der liturgischen Fassung des Textes heißt. Exegetisch genau betrachtet ist das jedoch keineswegs ein mitleidiges ‚Von-oben-herab-Schauen’ auf eine fügsame Dienstmagd, die sich demütig ihrem Herrn beugt. So wurde das fälschlicherweise Jahrhunderte lang in vielen Marienbildern tradiert und den Frauen als Vorbild für ihre Unterordnung hingestellt – mit der bekannten Wirkung auf gesellschaftliche und kirchliche Geschlechterverhältnisse. Die hier benannte Niedrigkeit meint dagegen die Folge von Erniedrigung, die reale Armut, die Not und  Bedeutungslosigkeit der Sklavinnen und Sklaven. Um diese Erniedrigten also kümmert sich Gott, und im Gegensatz dazu werden die  Mächtigen einige Zeilen später vom Thron gestürzt.

 

Gott ist ein Befreier - das proklamiert Maria aus tiefster Seele und mit klarem Geist, und sie bekräftigt damit die jüdische Tradition des Exodus, des Auszugs aus der Sklaverei, und die Verheißung vom guten Leben für alle. Das ungeborene Kind, das in ihr wächst, wird Jesus heißen – Jeschajahu – auf Deutsch: Gott befreit. Er wird diese Tradition fortsetzen.

 

Die ‚Erniedrigten’ in Lateinamerika heute haben diese Botschaft sehr gut verstanden.

Im Laienkatechismus aus Peru ist Maria als armes Bauernmädchen dargestellt, das ausgenutzt wird und leidet. Sie ist die Patronin aller, die sich auflehnen und kämpfen gegen ungerechte Besitzverhältnisse, und sie nimmt die Indios schützend unter ihren Mantel, die ihr Leben verloren haben im Kampf um ein Stück Land zum Leben.


Angesichts heutiger Verhältnisse - z.B. in Brasilien - ist dieses Bild eine Kraftquelle des Widerstands.

Ich erinnere mich an eine Begebenheit vor vielen Jahren in einem Bahnhof in Südspanien. Eine junge Frau, vom Aussehen her den Roma angehörig und offensichtlich schwanger, versuchte, unter den wartenden Menschen Papiertaschentücher zu verkaufen. Niemand beachtete sie, bis sie laut und eindringlich zu singen begann. Ihr Lied füllte den ganzen Raum, und ohne Kenntnis der Sprache meinte ich zu verstehen, wovon sie sang. Ich hörte sie ansingen gegen die Realität der Erniedrigung und des Ausgegrenzt –Seins, der Armut und des Hungers. In ihrer großartigen Stimme klang aber auch der Stolz ihres Volkes und das Einstehen für seine Existenz. Und plötzlich wurde diese junge Frau auch gesehen, angesehen und wahrgenommen.

 

Wogegen und wofür gilt es heute anzusingen? Gegen die Erniedrigung von Menschen, die sich mit nichts als ihrem Menschenleben aus armen Ländern aufmachen, um in den reichen Teilen der Welt ein sicheres Leben zu suchen? Gegen das Kleinmachen von Menschen, die auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind? Gegen Strukturen der Ungerechtigkeit, und die Übermacht von Konzernen und Banken? - Für eine Politik, die sich der Gerechtigkeit verschrieben hat und für Ausgleich sorgt, damit alle an den Reichtümern der Erde teilhaben können?

Der revolutionäre Lobgesang Marias war seiner Zeit damals weit voraus und seine Vision ist bis heute nicht eingelöst. Deshalb möchte ich das Magnificat in die heutige Zeit ein Stück weit so übersetzen:

„Ich will meinen Gott loben und über seine befreiende Kraft ein Jubellied anstimmen:

Nicht für den Gott in der Höhe, sondern für den, der sich denen zeigt, die arm und schwach gemacht werden.

Dieser Gott duldet keine Herrschaftsstrukturen, die die Gesellschaft spalten in die Eliten und die ‚Abgehängten’.
Gott, der Barmherzige, streitet für die Befreiung aller Völker, und aller Frauen.
Unrechtsverhältnisse haben keinen Bestand.

Und ich möchte darauf vertrauen, dass uns die Kraft geschenkt ist,

gegen jede Ungerechtigkeit in der Welt aufzustehen, damit wahr wird, was Gott will:
das gute Leben aller.

 

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