Sonntag 24. November 2024

Allerheiligen im Zeichen der Gedenkkultur

Sozialpredigt zum Allerheiligenfest (1. November 2018)

im Jahreskreis/Lesejahr B

Mt.5.1-12a

 

Autor: Dr. Christoph Freudenthaler,

Pädagogische Hochschule der Diözese Linz

 

Liebe Pfarrgemeinde!

 

In vielen Orten Oberösterreichs wird zu Allerheiligen an den Kriegerdenkmälern in unterschiedlichster Weise der Gefallenen der beiden Weltkriege gedacht.

 

In der Pfarre St. Georgen an der Gusen wurde vor einigen Jahren in einem Kunstprojekt das Kriegerdenkmal für mehrere Monate verhüllt. „Sichtbar machen durch verdecken“, so nannte die Künstlerin diese gewagte Intervention. Es gab große Aufregung in der Bevölkerung. An den Stammtischen wurde darüber intensiv diskutiert. Gleichzeitig wurde von der Künstlerin am Kirchenvorplatz ein Spiegelsteg errichtet, der auf die unterirdischen Waffenwerke während der NS-Zeit ganz nahe der Kirche und auf das Konzentrationslager Gusen hinweist. – „Sichtbar machen durch Verdecken.“ - So wurde der Blick auf die 40.000 Menschen gelenkt,
die in dieser Pfarre zur Zeit des Nationalsozialismus grausam zu Tode kamen und viele Jahrzehnte fast gänzlich in Vergessenheit gerieten. Heute am Allerheiligen Fest gedenkt man dort sowohl der Gefallenen der Kriege am Kriegerdenkmal, als auch der Opfer der Konzentrationslager, der gegenwärtigen Kriege und des Terrors auf unserer Welt.

 

Warum gedenken wir zu Allerheiligen und Allerseelen nicht nur der uns lieb gewordenen Verwandten, der eigenen Freundinnen, Freunde und Bekannten? Warum gedenken wir als Christinnen und Christen auch der Opfer von Kriegen und Unrechtsregimen?

 

In Österreich begehen wir das Gedenkjahr 2018. Die Österreichischen Bischöfe haben dazu eine beeindruckende Erklärung abgegeben und darauf hingewiesen, dass das Erinnern und Gedenken insbesondere der Opfer unserer Geschichte zutiefst christlich sei und jede humane Kultur auszeichne. In der Erklärung der österreichischen Bischöfe heißt es wörtlich: Wir „gedenken vor allem der Opfer, die in Folge der nationalsozialistischen Machtübernahme gedemütigt, vertrieben, verfolgt, eingekerkert, verschleppt und ermordet wurden. Wir schauen aber auch auf die Orientierungslosen, die Mitläufer und die Täter...  Auch heute schmerzt noch, dass damals, im März 1938, und in den sieben düsteren Jahren danach, die ChristInnen - auch und gerade die Bischöfe - nicht stärker der Macht des Hasses, der Unmenschlichkeit und der Diktatur entgegengetreten sind. … Traurig und beschämt haben wir erkannt, dass mit der Zerstörung der Synagogen und der Shoah unschuldige und wehrlose Menschen getötet und der Name des Ewigen geschändet wurde.“ 1

 

80 Jahre danach - klare Worte der österreichischen Bischöfe, versehen mit der reinigenden Kraft des Bekenntnisses der eigenen Mitschuld.

 

Die österreichischen Bischöfe sprechen aber auch von Menschen, „die sich in der damaligen Zeit als ´Gerechte´ erwiesen und die sich nicht vom Sog dieser unmenschlichen und verbrecherischen Ideologie mitreißen ließen“.

 

Unter Vielen seien in diesem Zusammenhang stellvertretend nur zwei Personen unserer Diözese genannt, die Ihnen wohl bekannt sind: der Wehrdienstverweigerer und Selige Franz Jägerstätter und der Priester und Pädagoge Dr. Johann Gruber, der von den KZ-Mithäftlingen in Gusen als „Engel in der Hölle“ verehrt wurde. Diese beiden Oberösterreicher lebten ihren Glauben, sie widersetzten sich der Macht des Hasses und der Unmenschlichkeit und sie wurden hingerichtet. „Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich.“ So hörten wir es im heutigen Evangelium.

 

Liebe Pfarrgemeinde, Erinnern weitet den Blick für die Gegenwart!
Wie geht es uns als Christinnen und Christen heute angesichts der Kriege, des Elends in den Flüchtlingslagern dieser Welt, mit dem wir via Fernsehen konfrontiert werden? Berühren uns diese Bilder noch? Sind unsere Herzen eingefroren, in einem Land, in dem „Gutmensch“ zu einem Schimpfwort geworden ist? Wie geht es uns als Christinnen und Christen angesichts der Tatsache, dass etwa 800 Millionen Menschen gegenwärtig an chronischer Unterernährung leiden? Wir leben in einer Welt, in der innerhalb einer Woche mehr Geld für die Armeen ausgegeben wird, als es kosten würde, die Hungernden unserer Erde auf der ganzen Welt für ein ganzes Jahr zu sättigen. Ist uns diese Realität bewusst? „Wo bin ich, wenn vor meinen Augen großes Unrecht geschieht, wenn Ausgrenzung, Entsolidarisierung und Hass ihren Lauf nehmen?“ So fragen die Bischöfe in ihrer vorher erwähnten Erklärung.


Zunehmend ist in unserer Gesellschaft spürbar, dass Menschen aufgrund ihrer Nationalität, Herkunft oder Hautfarbe ausgegrenzt werden. Denken Sie an die Ausländerfeindlichkeit, an die Unbarmherzigkeit, die manchen AsylwerberInnen zu Teil wird. Denken Sie etwa an die jungen AsylwerberInnen, die in Österreich nun keine Chance mehr auf einen Lehrplatz haben und kaum Möglichkeiten haben, sich am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen. Bischof Manfred Scheuer und der Caritasdirektor der Diözese Linz, Franz Kehrer betonen in ihrer Stellungnahme zu Asyl und Integration „Viele Menschen haben bei uns in den vergangenen Jahren Asyl gesucht und suchen es auch gegenwärtig. Wir sollten nie vergessen, dass sie hier ein Menschenrecht in Anspruch nehmen, und dass jede und jeder von uns ebenso in eine Lage geraten kann, in der sie/er aus der eigenen Heimat flüchten muss.“2

 

Liebe Pfarrgemeinde, widerstehen wir als Christinnen und Christen - kraftvoll und entschieden - einer zunehmenden Stimmung in der Bevölkerung, in der Menschen in ihrer Gottesebenbildlichkeit, in ihrer Würde nicht wahrgenommen werden! Andre Heller sagte anlässlich des Gedenkjahres beim Staatsakt in der Hofburg in seiner vielbeachteten Rede: „Vergessen wir nicht, dass am Anfang der nationalsozialistischen Herrschaft nicht Ausschwitz, sondern die Ausgrenzung von Menschen, die als störend, als schädlich betrachtet wurden, stand. Und weil es dafür viel Zustimmung gab, hatten die Nazis freie Bahn und die humanitäre Katastrophe wurde immer größer.“3

 

Kommen wir zurück auf unsere Frage: Warum gedenken wir Christinnen und Christen zu Allerheiligen und Allerseelen der Opfer von Krieg und Terror, warum gedenken wir der Menschen, die sich der Macht des Hasses und der Unmenschlichkeit widersetzten und dies mit ihrem Leben bezahlen mussten?

 

Für den bekannten Konzils-Theologen Johann Baptist Metz gehört die Erinnerung und das Gedächtnis an die Leiden und an die Opfer unserer Geschichte zu den Grundpfeilern des christlichen Glaubens. In seinem Buch „Memoria Passionis“4, Gedächtnis des Leidens, schreibt Metz, dass man Gott nicht mit dem Rücken zur menschlichen Leidensgeschichte ver-ehren könne. „Die Botschaft Jesu lässt es nicht zu, dass wir über seine Leidensgeschichte die Leidensgeschichte der Welt vergessen; sie lässt es nicht zu, dass wir über seinem Kreuz die vielen Kreuze in der Welt übersehen.“


Das Kreuz Jesu Christi öffnet den Blick für die Geschundenen, für die vielen Kreuze in der Welt, für vergangenes und gegenwärtiges Leid. Zu Allerheiligen erinnern wir uns an die Ver-heißung, dass es mit dem Tod nicht einfach aus ist, dass der Tod nicht alle und alles gleich-schaltet, dass uns über den Tod hinaus die universale Gerechtigkeit Gottes verheißen wird: „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein…“ So heißt es im
Buch der Offenbarung (Off. 21,4).

 

Erinnern weitet den Blick für die Gegenwart. Der Vorstand des Ökumenischen Rates der Kir-chen in Österreich bringt das Erinnern mit der Gegenwart in Berührung. In seiner Erklärung zum Gedenkjahr 2018 heißt es: „Wir als Kirchen wollen uns dafür einsetzen, dass Österreich - 80 Jahre nach der Katastrophe von 1938 - zu einem Haus mit offenen Fenstern und zu einer Heimatstätte für Verfolgte wird. Wir wollen in einem Land leben, in dem der soziale Friede ge-wahrt wird und in dem Menschen Geborgenheit und die Möglichkeit zu einem erfüllten Leben finden.“5

 

Auch heute haben wir Christinnen und Christen eine große Verantwortung, dort wo wir stehen, für Menschlichkeit und Menschenwürde zu sorgen.

 

Die Seligpreisungen, die wir heute im Evangelium gehört haben, weisen uns die Richtung, sie sind so etwas wie das Leitbild der großen Vision Gottes mit uns Menschen:

 

„Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden. Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne und Töchter Gottes genannt werden. Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich. Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein.“

 

 

-----------------------------

1 Erklärung österreichische Bischofskonferenz (2018). „1918-1938-2018. Erinnern und Gedenken“. Verfügbar unter: https://www.katholisch.at/aktuelles/2018/03/12/bischoefe-1918-1938-2018.-erinnern-und-gedenken [27.8.2018]
2 Scheuer Manfred, Kehrer Franz (2018). Stellungnahme zu Asyl und Integration. Verfügbar unter: https://www.dioezese-linz.at/news/2018/03/13/stellungnahme-zu-asyl-und-integration [27.8.2018]
3 Heller André (2018). Rede anlässlich des Gedenkaktes zum 80. Jahrestag des 12. März. Verfügbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=rL7k2XzJxcA&feature=youtu.be [27.8.2018]
4 Metz, Johann Baptist (2006). Memoria Passionis. Freiburg im Breisgau: Herder.
5 Erklärung des Vorstandes des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich zum Gedenkjahr 2018 (2018). Verfügbar unter: http://www.oekumene.at/site/erklaerungen/article/1844.html [27.8.2018]

 

Sozialpredigt Download:

 

 

Gesellschaft & Soziales
4020 Linz
Kapuzinerstraße 84
Telefon: 0732/7610-3251
Telefax: 0732/7610-3779
Katholische Kirche in Oberösterreich
Diözese Linz

Fachbereich Kommunikation
Herrenstraße 19
Postfach 251
4021 Linz
https://www.dioezese-linz.at/
Darstellung: