3. Linzer Religionsgespräch 2002
Warum gerade ich?
Besucht die Kranken! Diese Aufforderung hat in jeder der Weltreligionen große Bedeutung. Was Krankheit und Leid in den Religionen bedeuten, darum ging es beim dritten Linzer Religionsgespräch.
Es gibt eine Sprachlosigkeit dem Leiden gegenüber. Leid darf nicht verherrlicht werden. „Warum! Warum ich?“, so fragen, klagen Leidende.
„Fragt ein Leidender nach seinem Leid, so kommt es nicht darauf an, ob die Antwort darauf wahr ist, sondern ob sie dem Leidenden hilft“, meint Michael Ingber aus Jerusalem. Im Judentum habe das Leben selbst einen sehr hohen Stellenwert. Und dieses Leben soll auch von Qualität sein.
„Es liegt in der Macht Gottes“, sagt der Muslim Ahmad Al-Khalifa aus München, „dass er uns krank macht und dass er uns die Gesundheit schenkt.“ Gott will mit dem Leiden den Menschen etwas sagen. „Es gibt keine Krankheit, die ewig bleibt.“ Kranke zu besuchen, sie aufzumuntern, sei eine wichtige Aufgabe.
„Kommen Sie mir nicht mit dem barmherzigen Gott!“, so hört es die christliche Krankenseelsorgerin Anna Seyfried am Krankenbett. Christliche Theologie sollte nicht versuchen, ihre Ratlosigkeit dem Leidenden gegenüber zu beseitigen. In der Kirche soll nicht nur Platz zum Singen sein, sondern auch Platz zum Klagen.
Für die Buddhistin Eva Maroschek ist Leid nicht ein Zustand, der bleiben soll. Alles Leben ist Leid, sagt der Buddhismus. Aber Menschen können sich aus dem Leiden emporheben. Mitfühlen mit Leidenden ist ein wichtiger „Trainingsschritt“ dabei, aber auch Mitfreude mit dem, was andere Menschen zu Stande bringen. Erst wenn der letzte Mensch erlöst ist, ist der Kreislauf der Wiedergeburt im Buddhismus an sein Ende gelangt.
Das dritte Linzer Religionsgespräch letzten Donnerstag verlief in sehr besinnlicher Atmosphäre. Der Impuls der Religionen zielt nicht nur darauf, Leid anzunehmen oder geduldig zu ertragen. Leid soll gelindert werden. Der Medizin kommt in den Religionen ein hoher Stellenwert zu.
ZUR SACHE: Über das Leid
„Dein Wille geschehe“, ist nicht die Aufforderung, das Leid anzunehmen vor dem Bemühen um Linderung. ... Ich weiß nicht, ob man das Leid überhaupt bewältigen kann. Ich ziehe es vor, von Versöhnung zu sprechen mit dem Leiden.
Anna Seyfried, Christin
Vielleicht steht hinter dem Leiden eine Strafe, vielleicht eine Ermahnung, dass der Mensch den Weg Gottes schon verlassen hat. Auch hinter der Krankheit steht eine Weisheit Gottes. Besserung ist möglich.
Ahmad Al-Khalifa, Muslim
Das Leiden ist ein Teil des Lebens wie Geburt und Tod. Das Leiden an sich hat im Judentum keine besondere Bedeutung, es gibt keine Pflicht zu leiden. Wenn man es umgehen kann, soll man es tun.
Michael Ingber, Jude
Das Leben ist Leiden ... Aber es gibt eine Möglichkeit zum Aufstieg aus dem Leiden. Der Buddhismus behauptet dabei nicht, die absolute Wahrheit zu haben, doch er weist einen Weg. Das Leiden der Menschen liegt in unserer Hand. Fremdem Leid stehen wir mit Mitgefühl gegenüber.
Eva Maroschek, Buddhistin
Bericht erstellt von: Matthäus Fellinger, Linzer Kirchenzeitung (12.2.2002)