Der Tod im Islam
1. Der Tod im Koran
„Wo immer ihr seid, der Tod wird euch erreichen, auch wenn ihr in hochgebauten Burgen wäret“ (Sure 4,78). Vielen Stellen im Koran sprechen von der Unausweichlichkeit des Todes. Wie im Judentum und Christentum kann kein Mensch dem Tod entrinnen, den nur einer ist unsterblich – Gott. Zwar gilt: „Jeder haftet für das, was er begangen hat“ (Sure 52,21), aber das betrifft nicht den Tod als solchen, sondern das Schicksal nach dem Tod. Das irdische Leben ist für den Menschen eine Gabe von Gott. Es ist eine zeitlich beschränkte Frist der Bewährung, deren Abschluss von Allah bestimmt wird, so dass der Mensch am Ende zu ihm heimkehren kann. Der Tod wird daher auch „Abberufung“ genannt. Er ist demnach kein Untergang ins Nichts, sondern Weiterleben nach dem Willen Gottes: „Wir, ja Wir machen die Toten wieder lebendig“ (Sure 36,12). Deswegen ist für den Muslim bei allem Schmerz und Trauer der Tod keine Katastrophe, sondern primär die Erfüllung des göttlichen Willens. Ganz klar wird der Tod als Trennung von Leib und Seele verstanden. Der Körper ist eine äußere Form und Voraussetzung für das irdische Leben. Er ist sterblich und seine Verwesung ist Zeichen des Todes. Die Seele aber ist unsterblich. Leib und Seele vereinigen sich wieder am Jüngsten Tag bei der allgemeinen Auferstehung der Toten. Die Trennung von Körper und Seele ist kein natürlicher Prozess. Allah sendet seinen Todesengel Izrail, der diese Trennung auf seinen Befehl in einer bestimmten Stunde zu exekutieren hat: „Sprich: Abberufen wird euch der Engel des Todes, der mit euch betraut ist. Dann werdet ihr zum Herrn zurückgebracht“ (Sure 32,11).
2. Das Leben nach dem Tod
Der Engel führt die Seele zu einem vorläufigen Gericht. Hat der Verstorbene sein Leben in Taten und Glauben nach dem Willen Allahs geführt, wird ihm mitgeteilt, dass seine Sünden vergeben sind. Er darf aber noch nicht ins Paradies eintreten. Wenn sein Leben jedoch nicht den Ansprüchen Allahs entsprochen hat, wird die Seele für die ewige Verdammnis bestimmt.
Nach diesem Gericht im Zwischenzustand wird die Seele in den Körper des Toten zurückgeführt. Der Todesengel unterzieht nun den Verstorbenen einem Verhör und stellt ihm vier Fragen: 1. Wer ist dein Gott? 2. Wer ist sein Prophet? 3. Was ist deine Religion? 4. Wohin zeigt deine Gebetsrichtung? Wenn der Befragte die Fragen im islamischen Sinn richtig beantwortet, sorgen zwei andere Engel mit Namen Mubaschar („Frohe Nachricht“) und Baschir („Verkünder der frohen Nachricht“) um eine erleichterte Zeit im Grab, indem sie z.B. das Gewicht der auf ihm lastenden Grabeserde vermindern oder um ihn herum mehr Platz schaffen. Sie gewähren ihm auch eine kurze Schau auf sein späteres Leben im Paradies. Andernfalls, wenn das Verhör zu seinen Ungunsten ausfällt, wird er von den Engeln Munkar („Das Verwerfliche“) und Nakir („Das Negative“) noch im Grab malträtiert. Nach diesem Examen folgt eine Zeit des Wartens bis zur Auferstehung am Jüngsten Gericht. Diese Zwischenzeit ist für die Seelen wie ein Schlaf. Sie wird als sehr kurze Zeit erfahren. Am Ende dieser Zeit bewirkt Allah die Auferstehung und lässt damit das Leben endgültig enden. Aus den Überresten des verwesenen Körper schafft er einen neuen Körper und vereint die Seele mit ihm. Der Zeitpunkt des letzten Gerichts ist keinem Menschen zugänglich, wird aber im sittlichen Niedergang und Naturkatastrophen zeichenhaft sichtbar. Nach diesem Weltuntergang thront Allah als Richter über alle Menschen. Er verliest die Anklage aus einem Buch, wo die Taten der Menschen verzeichnet sind. Auf einer Waage werden die Handlungen gegeneinander aufgewogen.
Dabei treten Zeugen auf, die für oder gegen den Angeklagten aussagen. Hier erscheint Jesus als Ankläger gegen Juden und Christen. Der Prophet Allahs Mohammed erscheint sowohl als Ankläger, wie auch als Verteidiger des Menschen. Das letzte und entscheidende Urteil fällt Allah. Nach dem Urteilsspruch werden die Delinquenten von Engeln abgeführt und über eine Brücke, die schmaler als ein Haar und schärfer als ein Schwert ist, getrieben. Wer das Gericht Allahs nicht bestanden hat, stürzt in ein loderndes Feuer hinunter. Die Gerechten gehen sicher weiter und dürfen ins Paradies eintreten. Dieser Bereich ist im Koran sehr bildhaft beschrieben, vor allen mit seinen sprichwörtlichen Sinnenfreuden. Vor allem aber ist der Mensch im Paradies in der Nähe Gottes. Das ist schließlich der Lohn für seine Hingabe an Gott im Leben. Die Hölle ist der Bereich der ewigen Strafen, die im Koran auch sehr anschaulich beschrieben sind. Ewig ist er aber nur für die Ungläubigen, die Muslime, die dort ihr Urteil absitzen, haben die Hoffnung, dass sie später doch noch ins Paradies kommen:
„Wahrlich, wer da Übel tut und verstrickt ist in seinen Sünden – diese sind die Bewohner des Feuers; darin müssen sie bleiben. Die aber glauben und gute Werke tun – diese sind Bewohner des Himmels; darin sollen sie bleiben.“ (Sure 2,82-83).
3. Das Begräbnisritual im Islam
Der Tod als Übergang von einem irdischen Dasein in die jenseitige Ewigkeit, spiegelt sich in den muslimischen Begräbniszeremonien wider. Spürt der Mensch, dass es zu Ende geht, darf er nicht mehr allein gelassen werden. Es gilt als Tat der Pietät, wenn sich Muslime beim Sterbenden versammeln. Sie wollen den Dahinscheidenden an seine guten Taten und das Glück des Lebens erinnern, damit er die Welt dankbar vor Allah verlässt. Die Versammelten bitten Gott um Vergebung der Sünden. Sie legen den Sterbenden mit dem Gesicht nach Mekka. Zum Trost wird ihm das Koranwort gesagt „Wir gehören Allah, und zu ihm kehren wir zurück“ (Sure 2, 156). Nun wird das Glaubensbekenntnis gesprochen und die Angehörigen hoffen, dass auch der Ablebende mitbeten kann. Im Idealfall beschließt er sein Leben mit dem islamischen Bekenntnis „Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Allah.“
Sofort wenn der Tod festgestellt wird, muss der Körper des Gestorbenen rituell gewaschen werden, wobei Mund und Nase ausgespart bleiben. Danach wird der ganze Leichnam gründlich mit Seife gewaschen. Es darf keine Stelle trocken bleiben. Frauen waschen Frauen und Männer – Männer. Körperöffnungen werden verschlossen. Der Tote wird in weiße Tücher aus Leinen gewickelt, so, dass der ganze Körper nicht mehr sichtbar ist. Auch hier hüllen Männer Männer ein und Frauen Frauen. Wenn der Verstorbene die Wallfahrt nach Mekka absolviert hat, soll das Wallfahrtsgewand das Totenhemd sein. (Jeder Gläubige, der Mekka besucht hat, kauft sich dort sein eigenes Leichentuch. Er bringt auch Angehörigen oder Freunden, die selbst nicht nach Mekka pilgern können, von dort eines mit. Einem Armen das Leichentuch zu stiften, ist eine hochgeschätzte Wohltat). Die Bestattung muss möglichst schnell erfolgen, spätestens am nächsten Tag, am besten noch am selben. Das ist durch das wärmere Klima der meisten islamischen Länder begründet. Ein Gebot im Koran oder in der theologischen Tradition gibt es dazu nicht. Kremation (Verbrennung) ist nicht erlaubt. Sie gilt als Hindernis für die leibliche Auferstehung der Toten. Gegen die in Österreich übliche Aufbahrung in Leichenhallen wird von der Islamischen Religionsgesellschaft kein Einwand erhoben, jedoch soll sie nur im verschlossenen Sarg erfolgen. Ausschmückungen des Aufbahrungsraumes mit Blumen, Fahnen und Symbolen jeder Art ist nicht erwünscht, wie auch Kerzen und Glockenläuten.
Der Leichnam wird zu Fuß auf einer Tragbahre auf den Friedhof gebracht, denn es gilt die Vorstellung, dass die Totenengel zu Fuß gehen. Das Tragen der Bahre und das Bestatten ist ausschließlich Aufgabe der Männer und gilt als Ehrenamt. Deshalb bieten sich auch Passanten an, die der Trauerprozession zufällig begegnen, den Leichnam ein Stück weit mitzutragen.
Metallsärge oder teure Holzsärge werden nicht verwendet, sondern einfache Weichholzsärge. Vielerorts ist sogar nicht einmal ein Sarg üblich, sondern nur bei besonders schwierigen Bodenbeschaffenheit erlaubt. Auf dem Friedhof dürfen nur Männer anwesend
sein.
Vor der Grablegung werden die Totengebete gesprochen. Sie bestehen aus dem Glaubensbekenntnis, der Eröffnungssure des Koran, Bitt- und Fürbittengebete und schließen mit dem Friedensgruß. Das Bestattungsgebet wird vom Imam (Vorbeter einer Moschee) geleitet. Er stellt sich am Kopfende des Grabes, die Gläubigen sind hinter ihm in drei Reihen geordnet. Dann spricht er:
„Allah ist der größte! Allah ist der größte! Allah ist der größte! Allah ist der größte!
Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen!
Lob sei Allah, dem Herrn der Welten, dem Erbarmer, dem Barmherzigen, dem Herrscher am Tag des Gerichts! Dir dienen wir und zu Dir rufen wir um Hilfe.
Leite uns auf dem rechten Weg, den Weg derer, denen Du gnädig bist, nicht derer, denen Du zürnst, und der Irrenden.
O Allah, gib Deine Vergebung unseren Lebenden und Verstorbenen, unseren Zeugen und Abwesenden, unseren Jungen und Alten, unseren Männern und Frauen.
O Allah, welcher von uns Du leben lässt, lass ihn im Islam leben und welchen von uns Du abrufst, lass ihn im Glauben sterben.
O Allah, verweigere unseren Verstorbenen die Belohnung nicht und setze uns keinen Prüfungen aus nach unserem Tod.“
„Gott allein ist mein Herr, Muhammad ist mein Prophet, der Islam ist meine Religion, der Koran ist mein Buch der Rechtleitung, und die Muslime sind meine Brüder, die Kaaba ist meine Gebetsrichtung und ich habe gelebt und bin gestorben in der Überzeugung, dass es keinen Gott außer Allah gibt und Muhammad sein Prophet ist“.
Nun beginnt die Trauerzeit von drei Tagen. Das Verschicken von Paten ist eher nicht üblich, kann aber auf ausdrücklichen Wunsch der Angehörigen geschehen. Die Bekannten machen Kondolenzbesuche. Die engsten Verwandten tragen 40 Tage nach dem Tod dunkle Trauerkleidung. Hochzeiten und andere Feiern und Unterhaltungen werden gemieden. Diese Trauerzeit wird durch ein Familienessen, den Besuch des Grabes und Verteilen von Almosen beendet. Geboten ist eine Zurückhaltung von Klagen. Dazu wird ein Spruch von Mohammed überliefert: „Der Tote wird für die Klagen gestraft, die seine Familie für ihn veranstaltet.“ Damit wird versucht, den heidnischen Brauch der Totenklage abzuwehren und zu betonen, dass der Verstorbene auf seinen Weg zu Allah nur durch Gebete unterstützt werden soll. In einem Jahr wird dieser Trauerbrauch wiederholt und die Trauer gilt als abgeschlossen. Gedächtnisgottesdienste kennt der Islam nicht.
Nach islamischer Auffassung darf die Totenruhe nicht mehr gestört werden. Deswegen dürfen ihre Gräber erst nach 20 bis 30 Jahren wiederbelegt werden. Auch sind Bepflanzungen und Pflege der Gräber nicht vorgesehen. In der Regel wird nur ein Stein auf das Grab gestellt, das ansonsten sich selbst überlassen bleibt. Diese Auffassung kann zu Konflikten führen, denn auf österreichischen Friedhöfen ist die Frist höchstens 10 Jahre und Gräber müssen gepflegt werden. Noch ein Wiederspruch ist die Lage des Grabes, das nach Mekka orientiert sein muss und dann evtl. nicht im richtigen Winkel zu den Wegen und Parzellen stehen kann. Mehr als ¾ aller Verstorbenen werden in ihre Heimatländer überführt. Dafür gibt es spezielle Unternehmen, die den Angehörigen die Rückführung finanziell und organisatorisch erleichtern. Zum Unterschied vom Judentum, wo diese Überführungen von zu begrabenden Verstorbenen nach Israel nur deswegen üblich sind, weil nach jüdischem Glauben die Auferstehung nur im Lande Israel möglich ist, lassen sich Moslems in ihren Heimatländern bestatten, weil die österreichischen Friedhofsvorschriften z.T. mit der islamischen Tradition kollidieren.
Auch wenn kein Mensch dem Tod entrinnen kann, so gibt es im Islam die Hoffnung, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. Der Glaube an die absolute Macht Gottes ist die Zusicherung auf ein Weiterleben nach dem Tod. Diese Zuversicht macht den Gläubigen gelassen gegenüber dem Tod und lehrt ihn das Leben als Bewährung aufzufassen im Blick auf das Jüngste Gericht als letzte, noch ausstehende Abrechnung.
Literatur
Harold Coward (Hrsg.): Das Leben nach dem Tod in den Weltreligionen. Freiburg i. Br. 1998.
Birgit Heller (Hrsg.): Aller Einkehr ist der Tod. Interreligiöse Zugänge zu Sterben Tod und Trauer. Freiburg i. Br. 2003.
Adel Th. Khoury (Hrsg.): Weiterleben nach dem Tode? Die Antwort der Weltreligionen. Freiburg i. Br. 1985.
Hans-Jürgen Klimkeit (Hrsg.): Tod und Jenseits im Glauben der Völker, Wiesbaden 1978.
Der Koran. Übersetzung von Adel Th. Khoury. Gütersloh 1987.