Entscheidungshilfen zur Berufungsfindung nach Ignatius von Loyola
Die Sehnsucht wertschätzen
Sie mag sich unterschiedlich melden: eine gewisse Unruhe darüber, was ich mit meinem Leben tun soll; eine Ahnung, dass es mehr geben muss als den Alltag meiner Aufgaben; eine Lust, in der Kirche einmal nur still dazusitzen; Gedanken und Fantasien, was ich eigentlich in der Welt bewegen könnte; eine Sehnsucht, die ich nicht gleich auf jedem „Kanal“ mit allen teile, sondern von der ich wohlüberlegt nur mit ganz vertrauten Menschen spreche. Es bewegt sich etwas in mir. Wenn ich das nicht abtue, dann kann es losgehen, dann ist der Motor angesprungen. Denn gehen muss ich den Weg selbst, nicht jemand anderer; also braucht es einen inneren Antrieb. Ignatius bietet im Exerzitienbuch Übungen, an denen ich sehen kann: Möchte ich da mitgehen? Es sind Hilfen, um im Hören auf Gott das Meine zu finden.
Gott ins Spiel bringen – aber welchen Gott?
Natürlich geht es bei „Berufung“ um Gott, um Gottes Ruf. Aber wie sehe ich Gott, wie erlebe ich Gott, wie empfinde ich gegenüber Gott? Zwei holzschnittartige Möglichkeiten: 1.) Gott hat einen Plan, und diesen muss ich finden und dann möglichst genau befolgen (denn sonst wird es mir schlecht ergehen). 2.) Gott liebt mich bedingungslos und lädt mich ein, mit ihm einen Lebensweg zu gestalten, der anderen und mir zum letzten Glück gereicht. Im ersten Fall habe ich zu gehorchen, Punkt. Im zweiten Fall bin ich mitverantwortlich, selbstverantwortlich, eingebunden in einen Reifungsprozess und in ein „freies“ Beziehungsgeschehen. Im Dialog mit Gott, auch im Ringen, kann der Weg entstehen. Die heilige Teresa von Avila sagt: „Wer nicht weiß, was er will, weiß nicht, was Gott will.“
Die erste Möglichkeit ist oft unbewusst doch auch in uns. Daher ist es gut, mit meinen echten Sehnsüchten zu beten, nicht gegen sie. Das heißt, dass nicht ich sortiere, sondern dass Gott mir helfen wird, weiter zu wachsen und meine Sehnsüchte zu orientieren. Ignatius sagt, dass wir dazu da sind, um Gott zu loben, Ehrfurcht zu erweisen und zu dienen. Wenn ich es bejahen kann, heißt das aber auch, dass ich nicht schon alles (un/bewusst) vorentschieden habe, sondern dass ich schaue, in welcher Weise ich das nun tun kann; dann ist die Entscheidung auch wirklich ganz offen, denn Gott und den Menschen kann ich sehr vielfältig dienen.
Innere Freiheit
Irgendwie ist uns klar, dass ich eine Entscheidung besser mit einem „klaren“ Kopf treffe, als wenn ich in Unruhe einen Schnellschuss abgebe. Ignatius aber beharrt hartnäckig auf diesen Punkt: Je freier ich bin, desto tiefer kann ich mich entscheiden. Eine Übung nach der anderen lässt er den Menschen, der in Exerzitien seinen Weg sucht, sich um diese innere Freiheit mühen. Dann bin ich sowohl wirklich offen für Gott als auch wirklich frei, selbst zu entscheiden.
Um was geht es? Wir spüren die vielen Ansprüche und Erwartungen an uns: von mir wichtigen Menschen (Eltern, Freunde, Vorbilder, Vorgesetzte), von der Gesellschaft, von der Kirche und Gott (Gebote, Vorgaben, Ruf), von mir selbst (richtig zu entscheiden, niemand zu enttäuschen). Das zeigt sich in Gedanken und in Gefühlen: Ängste können einen Entscheidungsprozess stoppen und verunmöglichen. Weiters merke ich Widersprüche verschiedenster Art (Ich will nicht, was Gott will, obwohl ich doch will, was Gott will).
All das ist normal: So sind wir Menschen gebaut, und es hilft, dies ganz realistisch und liebevoll anzuerkennen und dem bewusst ins Auge zu schauen. Und es zeigt, dass vor einer Entscheidung die erste Aufgabe darin besteht, meine innere Freiheit zu erweitern. Ich kann Varianten und Möglichkeiten in Ruhe ansehen, auch solche, die mir zunächst gar nicht behagen. Zum Beispiel kann ich eine zölibatäre oder eine eheliche Lebensform nicht von vornherein ausschließen, sondern einmal bewusst in Erwägung ziehen. „Was Gott mit dir vorhat, dass musst du Aug in Aug mit ihm ausmachen“ (Edith Stein).
Hilfen zur Entscheidung hin
Wenn ich nicht nur um mich selbst in vielem Sinnieren kreise, kann der Entscheidungsweg immer wieder neue Anregungen bekommen und voranschreiten. Daher kann gut helfen: mein tägliches Gebet und Gespräch mit Jesus beständig weiterzuführen, mir zeitweise etwas aufzuschreiben, stille Zeiten zu suchen, Exerzitien zu machen, mit vertrauensvollen Gesprächspartnern zu reden, eine/n geistliche/n Begleiter/in zu suchen… Wichtig ist es auch, immer wieder den nächsten Schritt zu setzen und auf die Entscheidung zuzugehen. Denn zwei halbe Entscheidungen ergeben noch keine ganze. Die tiefe Freude nach der Entscheidung, dass es „stimmig ist“, ist einerseits Bestätigung (von Gott), als auch Geschenk.
P. Johannes Herz SJ
Erschienen in: Unsere Brücke. Dezember 2021 bis Juni 2022, hg. v. Priesterseminar der Diözese Linz, 15-17.