Berufung im Alten Testament
Die Bibel erzählt in vielfältiger Weise davon, wie Gott Menschen erwählt und beruft, um in seinem Dienst die Welt mitzugestalten.
Eine Berufung ist ein Teil einer Amtsübertragung. Zuerst steht die Erwählung. Diese wird nicht in allen biblischen Geschichten explizit erzählt. Eine solche Erwählungsgeschichte wird von David berichtet (1 Sam 16,6–12) und auch bei Jeremia erwähnt („vom Mutterleib an“ Jer 1,5). Danach erfolgt normalerweise die Berufung. Damit wird der performative Sprechakt bezeichnet, in dem der berufenen Person mitgeteilt wird, dass sie ein Amt, bzw. eine Aufgabe übernehmen soll. Am Ende einer Amtsübertragung steht die Investitur, also die öffentlich sichtbare Einsetzung. Sie wird vor allem von Königen berichtet. Diese drei Schritte (Erwählung, Berufung, Einsetzung) gehören eng zusammen und können in den biblischen Texten auch nicht immer klar auseinander gehalten werden. Dennoch macht es Sinn, sich diese Zusammenhänge zu vergegenwärtigen. Denn schon aus diesen einfachen Beobachtungen wird deutlich, dass es sich bei der Berufung um die Übertragung eines Amtes handelt. Dies geschieht in einem klar hierarchischen Setting. Eine höhergestellte Person überträgt einer niedriggestellten Person eine Aufgabe und das damit verbundene Amt zur Legitimation. Biblisch gesehen bedeutet das, Gott überträgt einem Menschen die Aufgabe, sein Volk zu führen, zu retten oder eine göttliche Botschaft zu überbringen. Im Unterschied zum modernen Verständnis vom Amt, ist es in der Bibel nicht möglich, sein Amt bzw. die Aufgabe, zu der man berufen wurde, einfach niederzulegen. Grundsätzlich ist die berufene Person lebenslang im Amt oder eben so lange bis die Aufgabe abgeschlossen ist. Es kann aber vorkommen, dass Gott seinen berufenen Amtsinhaber verwirft und ihn so de facto seiner Aufgabe frühzeitig enthebt. Ein Beispiel dafür wäre die Verwerfung von König Saul (vgl. 1 Sam 16,1).
Im AT finden wir Berufungserzählungen von Propheten (Samuel 1 Sam 3,4; Jesaja Jes 6,8; …), Königen (David 1 Sam 16; Salomo 1 Chr 28,5; …) und militärischen Führern (Josua Jos 1,2; Barak Ri 4,6;…). Diese haben eigene Gattungsmerkmale. Nicht alle kommen in jeder Erzählung vor, aber es lässt sich doch trotz gewisser Varianten ein Grundmuster feststellen.
- Ausgangslage: Zuerst wird von einer Bedrängnis berichtet, die es notwendig macht eine geeignete Person zu berufen, um diese Not zu wenden.
- Göttlicher Auftrag: Die berufene Person wird angeredet und die Aufgabe wird beschrieben.
- Einwand: Oft hat die berufene Person einen Einwand bzw. meint, sie sei ungeeignet für die Aufgabe.
- Entkräftung des Einwandes: Gott sichert an diesem Punkt nochmals seine Hilfe zu und bekräftigt dies manchmal auch durch ein Zeichen.
Am Ende könnte man erwarten, dass noch eine ausdrückliche Annahme der Aufgabe durch den Berufenen erfolgt. Dieses Element fehlt allerdings. Es reicht, dass die berufene Person keinen Einwand mehr hat. Danach kann aber gleich die Schilderung der Ausführung erfolgen (z.B. Gen 12,4)
Die Berufung des Mose (Ex 3,1–4,17) schildert diese Punkte einer Berufungserzählung vielleicht am ausführlichsten. Zu Beginn steht die Schilderung des unterdrückten Volkes, dessen Leid gesehen und Geschrei von Gott gehört wurde (Ex 3,7). Danach wird Mose mit der typischen Formulierung „ich sende dich“ beauftragt, zum Pharao zu gehen und das Volk aus Ägypten herauszuführen (Ex 3,10). Nun kommt der Einwand des Mose, bzw. in diesem Fall die Einwände (Pl.). Mose hat nicht wie üblich einen Einwand gegen die Beauftragung, sondern gleich fünf. Jeder wird von Gott entkräftet und so bekommt Mose mit jedem Einwand mehr Hilfe und sogar drei Zeichen zugesagt (Ex 3,12; 4,2–9). Am Ende steht keine feierliche Annahme des Auftrags durch Mose, sondern die Erzählung, dass er sich auf den Weg macht.
Viele der Berufungserzählungen sind nicht so ausführlich, wie die des Mose und enthalten dadurch auch nicht alle Elemente dieser Gattung. Dass es trotz der unterschiedlichen Berufungserfahrungen ein Gattungsschema gibt, zeigt möglicherweise, dass auch damals schon um die Legitimität von Berufung und Auftrag gerungen wurde (vgl. Amos 7). Denn welcher Prophet wirklich von JHWH gesendet wurde und welcher eine falsche Botschaft verkündete, zeigte sich erst im Nachhinein.
Ass.-Prof.in Dr.in Magdalena Lass
Assistenz-Professorin in der alttestamentlichen Bibelwissenschaft, KU Linz
Erschienen in: Unsere Brücke. Dezember 2021 bis Juni 2022, hg. v. Priesterseminar der Diözese Linz, 13f.