Gedanken zum christlichen Berufungsverständnis
Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich als Jugendlicher immer wieder mit Fragen wie „Was willst Du einmal werden?“ oder „Welchen Beruf möchtest Du ergreifen?“ konfrontiert war. - Zum einen musste ich mir selber diese Fragen insbesondere dann stellen, wenn es um Überlegungen ging, welche Schulausbildung ich machen möchte, zum anderen wurde diese Frage aber auch von meinen Eltern oder Personen, die ein Interesse an meinem Lebensweg zeigten, von außen an mich herangetragen. Mir ist die Antwort auf solche Fragen lange sehr schwer gefallen, insbesondere deshalb, weil meine Interessensgebiete sehr breit gestreut waren (und auch heute noch sind) und es mir schwer gefallen ist, mich sehr frühzeitig auf ein bestimmtes Fachgebiet zu konzentrieren. Nach meiner HTL-Matura bot mir der Präsenzdienst beim Bundesheer genügend Zeit neuerlich und v.a. auch mit der nötigen Ernsthaftigkeit zu überlegen, was mir persönlich im Leben wichtig ist, wofür ich mich gerne einsetzen möchte, was Gott von mir will, welche Berufung ich spüre und wozu ich mich gerufen erfahre. So wagte ich es schließlich, mit dem Studium der Theologie zu beginnen. Im Laufe der Jahre klärte sich für mich auch die berufliche „Verwertbarkeit“ dieses Studiums. Mit der Zeit konnte ich mir doch vorstellen, als Priester Nachfolge Jesu leben zu wollen.
Was macht christliche Berufung aus?
Der Apostel Paulus sagt im Epheserbrief, dass die Botschaft und das Leben Jesu bezeugen, dass wir von Ewigkeit her im schöpferischen Gedanken Gottes und aus Liebe gewollt sind und dass wir von Gott erwählt sind, zu ihm zu gelangen. (vgl. Eph 1,4.5)
Wir dürfen uns deshalb immer in Gottes bergender Hand wissen, was auch geschehen mag. Und dies umfasst auch die Zusage ewigen Lebens, das Gott uns in seiner bedingungslosen Liebe schenken will. P. Josef Maureder fasst deshalb diese biblisch begründete Grundeinsicht menschlichen Daseins folgendermaßen zusammen: „Gottes Grundabsicht mit mir und meinem Leben ist gut, er ist ein ‚Freund des Lebens‘.“[1] Und Gott will, so sagt es uns Jesus, dass wir volles Leben finden (vgl. Joh 10,10). „Dies ist die Grundberufung eines jeden Menschen, zu der er allerdings in Freiheit Ja oder Nein sagen kann.“[2]
Wir sind also mitverantwortlich dafür, ob wir das Leben als Geschenk ansehen, ob wir Gottes Liebe bei uns ankommen und uns von seiner Hand tragen lassen, ob wir uns als Kinder Gottes erfahren und zu den Menschen werden, als die Gott uns von Ewigkeit her erdacht hat.
Wer einmal erkannt hat, dass er/sie von Gott ins Leben gerufen und zum Menschsein berufen ist, kann sich in Freiheit und Dankbarkeit fragen, was er mit dem geschenkten Leben tut, wie er es gestalten möchte, wofür er seine Lebenskraft einzusetzen bereit ist.
An diesem Punkt setzt unsere Berufung als ChristInnen an. In einer mir sehr liebgewordenen Evangelienstelle lädt Jesus seine Jünger ein, zu ihm zu kommen, um bei ihm zu sein. Es ist die Berufung der ersten Jünger im Johannesevangelium (Joh 1,35-42). Viele Berufungsgeschichten bis heute haben einen sehr ähnlichen Verlauf. Ich denke, dass es deshalb kein Zufall ist, dass uns der Name des zweiten Jüngers, der gemeinsam mit Andreas Jesus gefolgt ist, nicht genannt wird. So können wir selber uns in diesem Jünger wiederfinden und zu einem Akteur / einer Akteurin dieser Berufungserzählung werden.
Johannes der Täufer hat die Menschen, die zu ihm an den Jordan gekommen sind, auf Jesus aufmerksam gemacht, hat sie auf Jesus verwiesen und durch sein Bekenntnis und Zeugnis in die Beziehung mit Jesus gebracht. Dies lässt mich darüber nachdenken, durch wen ich auf Jesus aufmerksam gemacht wurde.
Die beiden Jünger des Johannes, so wird es dann weiter berichtet, gingen schließlich mit Jesus mit. Sie sind aufgebrochen und Jesus gefolgt, weil sie Sehnsucht hatten, zu sehen, wo er wohnt, wo er zu Hause ist. Und sie blieben an jenem Tag bei Jesus. Dieses „Bei-Ihm-Sein“ ist mehr als eine Verortung, es zeigt und lehrt auch die Art und Weise, wie Jesus gelebt hat, was seine geistlichen Quellen waren, wie er auf Menschen zugegangen ist, wie er für andere da war. Das „Bei-Ihm-sein“ ist deshalb die Grundlage der Freundschaft mit Jesus Christus, zu der wir als Getaufte berufen sind. Im Gebet, im Hören seiner Botschaft, im Tun seines Willens, im Teilen des Glaubens mit anderen erfahren und vertiefen wir diese Freundschaft. So kann eine Verbundenheit, eine Vertrautheit mit Jesus entstehen, die uns prägt und uns zu einer Haltung der Liebe befähigt, die uns Christus ähnlich macht.
Menschen, die ihr Leben ganz bejahen und dankbar gestalten und in eine persönliche Freundschaft mit Jesus Christus hineingewachsen sind, drängt es schließlich dieses Geschenk mit anderen zu teilen. In der bereits erwähnten Berufungserzählung ist es Andreas, der seinem Bruder Simon von Jesus erzählt und dabei auch das Bekenntnis ablegt, dass er in Jesus den Messias gefunden hat.
Von der Liebe Gottes Zeugnis zu geben, ist in jeder Lebensform und Lebensaufgabe möglich. JedeR ist eine unersetzbare Botschaft Gottes und schenkt auf seine/ihre Weise der Welt ein persönliches Zeugnis dieser Liebe Gottes. P. Maureder fasst es so zusammen: „Als Berufene/r im christlichen Sinn lebt, wer seinen Alltag in Freundschaft mit Christus gestaltet und sein Leben in dieser Welt als großherzige Antwort auf das liebende Tun Gottes versteht.“[3]
Möge uns das gelingen.
Mag. Michael Münzner
Regens
Erschienen in: Unsere Brücke. Dezember 2021 bis Juni 2022, hg. v. Priesterseminar der Diözese Linz, 10-12.