„Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?“ – Diese brennenden philosophischen Grundfragen nach Immanuel Kant stellte Univ.-Prof.in DDr.in Isabella Guanzini ins Zentrum ihres Vortrags in der Galerie der Katholischen Hochschulgemeinde Linz. Mit einer Thematik, die vor allem in der Zeit der COVID-19-Krise aktueller kaum sein könnte: der „Apokalypse der Zärtlichkeit“.
Gebannte Stille herrschte unter den Anwesenden, als Linda Pilz mit ihrem virtuosen Geigenspiel den Raum mit ersten Klängen füllte. Die Violinistin gab im Laufe der Veranstaltung mehrere ausgewählte Stücke zum Besten, unter anderem den „Tierkreis“ von Karlheinz Stockhausen.
Nach der Begrüßung durch Mag. Dr. Joachim Jakob und Univ.-Prof. Dr. Paul Grünbacher führte Superintendent Dr. Gerold Lehner in den Vortrag ein. „Small is beautiful“ – die Vorzüge der kleinen Dinge seien es, die für unsere Bedürfnisse einen wichtigen Gegensatz zur „Vergötterung des Gigantischen“ darstellten. In Bezug auf die stattfindende Krise führte er auch die Chancen einer „Apokalypse“ vor Augen: Die Apokalypse stelle im christlichen Sinn eine Offenbarung dar, ein „Offenwerden“ einer neuen Wahrheit und Hoffnung.
Zärtlichkeit vor und während der Coronakrise
Ihr Buch „Zärtlichkeit – eine Philosophie der sanften Macht“ veröffentlichte die Professorin für Fundamentaltheologie an der KU Linz bereits vor Beginn der Coronakrise, im Februar 2019. Als Italienerin aus der Lombardei nahm die Hochschulprofessorin gleich zu Beginn Bezug auf den Beginn der Pandemie und schilderte dabei dem aufmerksamen Publikum ihre Erfahrungen. Sie machte auf die starke Veränderung unserer Symbolwelt im Alltag aufmerksam, die sich in den letzten Monaten vollzog: Dualismen wie Nähe/Distanz, Masken tragen/ablegen oder vor Ort/online ziehen symbolische Trennlinien in unser Leben. Das Gefühl eines anderen Weltumgangs sei täglich spürbar und eine Gesellschaft des Verdachts, in der jeder Mitmensch zur gesundheitlichen Bedrohung werden könnte, habe sich ausgebildet.
Was kann ich wissen?
Bei der Frage „Was kann ich wissen?“ sprach Guanzini womöglich eine der größten Problematiken der gegenwärtigen Entwicklungsphase an: Mehr und mehr wird uns bewusst, dass unser derzeitiger Wissensstand Grenzen aufweist, mit denen wir umgehen lernen müssen. Vorstellungen, alles in unserem Leben unter Kontrolle zu haben, werden durch die Coronakrise in ihren Grundfesten erschüttert. Das Bewusstsein über die eigene Verletzlichkeit steige – dies eröffne uns daher die Chance, einen Lernprozess darüber zu starten, wie wir mit diesem „Nichtwissen“ umgehen können.
Was soll ich tun?
Hierzu führte die Vortragende einen neuen „Diskurs der Sorge“ ins Treffen. Bei all diesen überfordernden Entwicklungen sollten wir nicht in eine melancholische Passivität verfallen, sondern uns unserer elementarsten Beziehungen wieder mehr bewusst werden. Die Zärtlichkeit per se müsse als ein alleinstehendes Kriterium in der Gesellschaft verankert sein. Wenn gesellschaftliche Ideale wie Coolness und Stärke höhere Wertigkeit haben, sei es oft schwierig, über Zärtlichkeit zu sprechen oder sich entsprechend zu verhalten. Bewusste zärtliche Handlungen ließen uns mit unserer Mitwelt und unserer Zeit unmittelbar in Beziehung treten.
Was darf ich hoffen?
Zuletzt führte Guanzini einige Möglichkeiten auf, wie in Zeiten der körperlichen Distanz Zärtlichkeit trotzdem möglich sei. Vor allem die Zärtlichkeit der Stimme und die Intensität des Blickes stellten für sie eine wichtige Übertragungsrolle für Empathie und Zuwendung dar. Zärtliche Gesten in jeglicher Form berühren uns und geben uns Sinn, Halt und Kraft. Wir sollten daher darauf hoffen, dass uns dieses Potential noch bewusster wird und wir durch zärtliche Handlungen wirksam zu einer konstruktiven Entwicklung unseres Zusammenlebens beitragen können.
Ausklang
Nach anschließender Diskussion wurde der Vortrag von Diözesanbischof Dr. Manfred Scheuer abgerundet. In seinen Schlussworten ging er besonders auf die Erfahrungen pflegebedürftiger Menschen während der Coronazeit ein. Dies führte noch einmal deutlich vor Augen, wie sehr einzelne zärtliche Gesten sich auf unser Gegenüber positiv auswirken können.
Im Anschluss lud er zum gemeinsamen Essen, das den pandemiebedingten Anforderungen angepasst stattfand. Wie immer ließen die kulinarisch zärtlich zubereiteten Menüs keine Wünsche offen. Dass diese Veranstaltung auch in Zeiten von Corona so reibungslos über die Bühne gehen konnte, war nicht zuletzt auch dem Vorbereitungsteam des Forum St. Severin, dem Mensa-Team und einer Gruppe freiwilliger Studierender zu verdanken, die bei der Verköstigung der Gäste mithalfen.
Bericht: Lukas Lahninger, Forum St. Severin