Ich habe immer gerne telefoniert ...
Ich habe immer gerne telefoniert. Das Telefon ist jene besondere Kommunikationsform, bei der ich einem Gegenüber ganz nahe kommen und doch auf Distanz bleiben kann. Und wo jeglicher Kontakt über die menschliche Stimme läuft. Kein Bild lenkt ab, keine Äußerlichkeit, nur die "Gestalt", der Klang, der Sound einer Stimme lässt mich erspüren, ob eine Anrufer*in traurig ist oder überbordend mitteilsam, müde oder aufgedreht, skeptisch misstrauisch oder vertrauensvoll wie ein Kind oder ein guter Freund, der sein Herz ausschüttet, weil er weiß, dass er sich auf mich, sein Gegenüber, verlassen kann.
Das Telefon ist ein Medium für unseren feinsten Sinn, das Ohr. Alles, was wir beim Telefonieren aufnehmen, läuft über diesen Sinn, den ersten, der sich beim Fötus ausbildet, wie uns die Biolog*innen sagen, den letzten, der erlischt, wenn ein Mensch stirbt.
Ich mag Menschen, ihre Geschichten, ihre Fragen, auch ihre Verquertheiten und Abgründe. Ich höre gerne zu und telefoniere gerne. Das hat mich unter anderem dazu motiviert, mich ehrenamtlich bei der TS zu engagieren. Ein Jahr lang war ich nun Azubi der TS, habe mich auf meinen Dienst vorbereitet, mich intensiv mit meiner Biographie und meiner Lern- und Konfliktgeschichte auseinandergesetzt, mich im Zuhören und Begleiten am Telefon geübt.
Fast 20 Personen haben die Ausbildung mitgemacht. Wir kommen aus den unterschiedlichsten Berufen, die Altersbandbreite reicht von jungen Erwachsenen mit kleinen Kindern bis zu Pensionist*innen, die die Erfahrung reifer Berufsjahre einbringen, viele von uns haben Familie, einige bereits Enkelkinder.
Vielleicht kann man sagen, wir, die Berater*innen, stehen mitten im Leben. Keine und keiner von uns sitzt ohne Kratzer an seiner Seele am Beratertelefon. Viele von uns haben Leid, Verlust, Scheitern, Konflikte, Brüche auf ihrem Weg erfahren und versuchen diese Erfahrungen in ihr Leben zu integrieren. Wir wissen aber auch um die Quellen, aus denen wir Kraft schöpfen und die uns Mut machen, um unsere Ressourcen und Talente, wir wissen, was uns Freude bereitet und wie schön es ist, Menschen und Freund*innen um uns zu haben, die wir lieben.
Wir sind keine Besserwisser*innen und bieten keine Fertigrezepte für die Probleme unserer Anrufer*innen an. Aber: Wir möchten ganz Ohr sein, wir möchten, dass sich aussprechen kann, wer bei uns anklopft, wir möchten ein offenes Ohr und ein freimütiges Herz haben, für alles, was kommt ohne uns selbst zu überfordern.
Jedes Gespräch ist ein Geben und Nehmen. Ich bin oft von einem Dienst weggegangen mit dem Gefühl, beschenkt worden zu sein. Meinen Dienst in der TS tue ich daher nicht nur aus reinem Altruismus, er ist eine Bereicherung für mein eigenes Leben. Wenn ich den Eindruck habe, im Gespräch eine(n) Anrufer*in ein Stück begleitet und zugehört zu haben, fühle ich mich auch selbst gestärkt.
So freue ich mich auf die Stimmen aus dem Telefon: die lauten und die leisen, die tiefen und die brummigen, die hektischen und die verwirrten, die fröhlichen und die verzweifelten, die Stimmen von "zweidigst weg" und die urbanen, die alten und die jungen und sogar auf jene der Kinder, die uns Zuhörende oft nur austesten wollen. Ich hoffe, wir kommen ins Gespräch.
Rudi, ehrenamtlicher Mitarbeiter