Was ist das Besondere der Onlineberatung?
Gefühlsintensität und die Offenheit sich über sehr persönliche, ja intime innere Befindlichkeiten mitzuteilen - so unsere Erfahrungen - scheinen also nicht nur etwas mit der Anzahl der beteiligten Sinnesorgane und/oder dem räumlichen Abstand zu tun zu haben.
Nachdem die User*innen auch nicht mit ihrer Stimme „in Erscheinung treten müssen“, bleiben sie noch ein Stück weit mehr der subjektiven Bewertung durch die Beraterin entzogen und bewahren sich so ein Mehr an Anonymität. Ebenso ist weniger „Gefälle“ zwischen Ratsuchenden und Berater*in festzustellen. Man begegnet sich mehr auf „gleicher Augenhöhe“.
Auffallend bei der Onlineberatung ist der hohe Anteil an schambesetzten Themen, wie z.B. selbstverletzendes Verhalten, suizidale Krisen, Missbrauch, Suchtproblematik.
Wahrscheinlich liegt das auch daran, dass sich die User*innen im Schutz der Anonymität leichter und schneller öffnen können. Ebenso ist zugleich mehr Distanz gegeben als am Telefon: ich kann mich noch ein Stück sicherer fühlen und habe die Möglichkeit den Kontakt genau so zu steuern, wie ich es will: ich entscheide, wann ich ein Mail schreibe, was ich von mir mitteile und wie ich mich darstelle. In der Beratung am Telefon hingegen bestimmt normalerweise der/die Berater*in den Dialog.
In der Onlineberatung passiert zunächst einmal die Auseinandersetzung mit sich selbst, nämlich im Niederschrieben von dem, was mich beschäftigt, belastet, was mein Problem ist. Im Schreiben wird die eigene Problemsituation anerkannt und ein Prozess in Gang gesetzt, der eine psychische Entlastung mit sich bringen und Selbstheilungskräfte aktivieren kann.
Ein weiterer sehr großer Vorteil der Onlineberatung ist, dass man zu jeder Zeit den gesamten Beratungsprozess vor Augen hat. Die schriftliche Darstellung des Beratungsprozesses ermöglicht eine Vertiefung des Problemverständnisses, weil sowohl die eigenen Aussagen als auch die Aussagen der Beraterin bzw. des Beraters dauerhaft verfügbar sind und wiederholt gelesen werden können. Schriftlichkeit steigert also die "Nachhaltigkeit" von Problemlösungsversuchen und erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Umsetzung in den Lebensalltag.
Es gibt allerdings auch wesentliche Einschränkungen bei der Onlineberatung:
- Die Stimme der Ratsuchenden fällt weg (z.B. zur Überprüfung der Gestimmtheit, des Wahrheitsgehalts, zum Erkennen von Angstsymptomen notwendig).
- Ebenso fällt die Stimme des Beraters/ der Beraterin als wichtiges „Instrument“ von Beratung weg.
- Eine direkte und unmittelbare Rückmeldemöglichkeit zum Geschriebenen ist nicht möglich, sondern nur zeitversetzt.
- In einem Gespräch am Telefon kann sicher mehr Information weitergegeben und erfragt werden als in der Onlineberatung.
- Eine Hilfestellung bei akuten Krisen ist unmittelbar am Telefon wesentlich besser möglich als in der Onlineberatung (wegen der Zeitversetztheit von Anfrage und Antwort).
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