Nähe durch Distanz: Wie Chatberatung wirkt
Die Onlineberatung der TelefonSeelsorge OÖ – Notruf 142 wurde im Jahr 2012 vorerst als reine Mailberatung ins Leben gerufen. Vier Jahre später, im Jahr 2016, erfolgte die Etablierung der Chatberatung. Der Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 ließ die Anfragen nach oben schnellen, weshalb das Chatangebot innerhalb kürzester Zeit massiv ausgeweitet wurde. Im Jahr 2023 steht die Chatberatung täglich von 16 bis 23 Uhr kostenlos und anonym zur Verfügung, die Anfragen sind weiterhin im Steigen begriffen.
Insbesondere für Jugendliche und junge Erwachsene, die Rat suchen, ist die Chatberatung das Mittel der Wahl. Diese Zielgruppe verbringt täglich mehrere Stunden im Internet und auf Social Media. Rund 73 Prozent der User:innen des Beratungschats der TelefonSeelsorge sind unter 30 Jahre alt.
Im Rahmen einer Pressekonferenz am 8. November 2023 im OÖ. Presseclub in Linz erörterten Silvia Breitwieser, Leiterin TelefonSeelsorge OÖ – Notruf 142, Barbara Lanzerstorfer-Holzner, Referentin TelefonSeelsorge – Notruf 142 und Stefan Kühne, Dipl. Erwachsenenbildner sowie Experte für Onlineberatung und Onlinetherapie die Entwicklungen in der Onlineberatung sowie ihre Bedeutung für die psychische Gesundheit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Am Podium (v. l.) Barbara Lanzerstorfer-Holzner (Referentin TelefonSeelsorge OÖ – Notruf 142), Stefan Kühne (Dipl. Erwachsenenbildner, Experte für Onlineberatung und Onlinetherapie), Silvia Breitwieser (Leiterin TelefonSeelsorge – Notruf 142) © Diözese Linz / Waselmayr
Online-Chatberatung anschlussfähig an die Lebenswelt Jugendlicher
„Jüngere Zielgruppen sind inzwischen fast zu einhundert Prozent in digitalen Kontexten unterwegs, sei es durch die Kommunikation über Messenger-Dienste, das Verwenden von verschiedenen Social-Media-Diensten, den Medienkonsum über Plattformen oder das Online-Gaming“, erklärte Stefan Kühne, Dipl. Erwachsenenbildner und Experte für Onlineberatung und -therapie. Digitale Angebote seien selbstverständlicher Bestandteil der Lebenswelten; der überwiegende Teil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen nutze die digitalen Medien im Alltag, so der Experte. „Durch die Verwendung von Messenger-Diensten sind Jugendliche und junge Erwachsene zudem sehr vertraut mit der Möglichkeit, durch schriftliche Kommunikation Fragen zu klären, Probleme zu benennen und in den Austausch mit anderen zu treten“, betonte Kühne. Wie bei einem Messenger sei auch bei einem Sofortchat die unmittelbare Kommunikation möglich.
Stefan Kühne (Dipl. Erwachsenenbildner, Experte für Onlineberatung und Onlinetherapie © Diözese Linz / Waselmayr
Der Sofortchat der TelefonSeelsorge stelle damit ein sehr niederschwelliges Angebot der Unterstützung und Begleitung auch und gerade für jüngere Zielgruppen dar. „Indem dieses Angebot im digitalen Raum stattfindet, ist es anschlussfähig an die Lebenswelten und den digitalen Sozialraum Jugendlicher und junger Erwachsener“, hob Kühne dessen Potenzial hervor.
„Getipptes Gespräch“ bringt oft erste Entlastung
Auch Barbara Lanzerstorfer-Holzner, Referentin der TelefonSeelsorge OÖ – Notruf 142, unterstrich die Bedeutung der Chatberatung für Jugendliche und junge Erwachsene. „Junge Menschen wissen oft nicht, an wen sie sich mit ihren Sorgen und Nöten wenden können, wollen Eltern und Freund:innen nicht belasten oder fühlen sich einsam und unverstanden“, schilderte die Expertin. Durch das virtuelle psychosoziale Angebot würden Betroffene schnell Rat und Hilfe finden. „Ein Chat ist ein getipptes Gespräch. Oft bringt das Schreiben über das, was beschäftigt, ängstigt oder zermürbt, eine erste Entlastung“, so Lanzerstorfer-Holzner. Von Schulstress und Mobbing über Einsamkeit und Trauer bis hin zu seelischen Belastungen aufgrund der „enormen Dichte an Krisen“ und dem „erdrückenden Gefühl, dass keinerlei Beruhigung in Sicht ist“ – die Themen, mit denen Jugendliche an die TelefonSeelsorge herantreten, sind vielfältig.
Barbara Lanzerstorfer-Holzner (Referentin TelefonSeelsorge OÖ – Notruf 142 © Diözese Linz / Waselmayr
Ein Chat unterstützt beim „Sich-Sortieren“ und hilft dabei, erste Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. „Im Schutz der Anonymität öffnen sich Jugendliche häufig leichter und schneller, sodass auch schambesetzte Themen wie selbstverletzendes Verhalten, Suizidgedanken, Missbrauch oder Suchtproblematiken angesprochen werden“, erläuterte Lanzerstorfer-Holzner.
Silvia Breitwieser, Leiterin der TelefonSeelsorge OÖ – Notruf 142, verwies u. a. auf die Sicherheit und den Datenschutz, die durch eine spezielle Verschlüsselung gewährleistet werden. Zudem seien User:innen autonomer und unabhängiger als bei herkömmlichen Beratungen: „Sie können sich dafür entscheiden, anonym zu bleiben, und haben es in der Hand, den Kontakt jederzeit ohne Angabe von Gründen abzubrechen. Diese Handlungsmächtigkeit ermöglicht eine freie, unzensurierte Kommunikation über die eigene Lebenssituation und Gefühlswelt“, so Breitwieser.
Silvia Breitwieser, Leiterin TelefonSeelsorge – Notruf 142 © Diözese Linz / Waselmayr
„Die Erfahrung zeigt, dass Beratungen über das Internet trotz der räumlichen Distanz sehr emotional sein können. Paradoxerweise entsteht gerade durch die Niederschwelligkeit der Chatberatung eine oft sehr große Nähe. Man offenbart sich Fremden, was sonst im analogen Leben unvereinbar erscheint“, schilderte Breitwieser die Erfahrungen aus der Online-Beratung. Die Inanspruchnahme der Chatberatung sei Breitwieser zufolge ein erster Schritt zur Selbstfürsorge, aber auch ein erstes Andocken an eine Beratungseinrichtung. „Wird hier eine Vertrauensbasis geschaffen, kann bei den Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen ein Gefühl von Halt, Wertschätzung und Sicherheit entstehen“, betonte Breitwieser.
Schreiben hilft!
Die Chatberatung der TelefonSeelsorge steht für niederschwellige Hilfe in Krisen, für ein offenes Ohr sowie ein wertschätzendes Gegenüber mit ausreichend Zeit und professioneller Ausbildung. Unter dem Motto „Schreiben hilft“ sind die Berater:innen der TelefonSeelsorge täglich von 16 bis 23 Uhr kostenlos, anonym und ohne Anmeldung für Ratsuchende da.
www.onlineberatung-telefonseelsorge.at.
Wer nicht gerne schreibt und lieber reden möchte, kann unter der Notruf-Nummer 142 mit einer neutralen Person über die eigenen Sorgen, Ängste und Nöte sprechen – an allen Tagen des Jahres rund um die Uhr, vertraulich und kostenlos.