Vertraue, aber wirke mit
Beruf kommt von rufen. Berufung von gerufen sein. Gott ruft. Das ist die „Wurzelgnade“ unseres Lebens. Er ruft nach uns, nach mir und dies immer wieder. „Adam - Wo bist Du?“ (Gen 3,9). Früh hat mich diese Frage Gottes fasziniert. Gott sucht den Menschen, fragt, ruft nach ihm, nach mir. Und wenn er ihn, wenn er mich gefunden hat, beginnt er ein Gespräch. Im besten Fall wird daraus ein lebenslanger Dialog. Die Psalmen geben in einzigartiger Weise Zeugnis dafür. Und unüberbietbar der Gott-Mensch selbst, Jesus, durch seinen Todesschrei: „Mein Gott, mein Gott warum hast Du mich verlassen? (Mk 15, 34 / Ps 22,2)
„Adam - Wo bist du?“ und die Worte aus dem Mund des sterbenden Jesus bei Markus (s.a. Lk 23,46) sind für mich im Laufe der Jahre zu einer Chiffre für die Sorge des Schöpfers und das Vertrauen des Geschöpfs geworden. Sie umfassen wie eine „weite Klammer“ den lebensstiftenden Dialog der beiden.
Die Geschichte der Berufung des Samuel (vgl. 1 Sam 3, 2-10) erscheint mir wie eine Folie. Mit ihrer Hilfe lerne ich noch immer, meine Lebensberufung zu buchstabieren, zu ordnen und zu deuten. Auch ich höre den Ruf, der mich weckte und weckt. Und auch ich begegne immer wieder erneut Menschen, die mir Hilfe dabei sind, die Stimme zu identifizieren, den Ruf zu deuten, seine Bedeutung für mich zu erschließen.
Die „Eli´s“ in meinem Leben, waren und sind es bis heute - Frauen und Männer, die mich durch persönliche Begegnung, durch ihr Verständnis, ihre geistliche Erfahrung gelehrt haben. Von ihnen lerne ich, im Hinhören zu fragen und zu unterscheiden, was mich freut und niederdrückt, wodurch ich andere erfreuen und vielleicht ermutigen kann, was mein Leben zur Entfaltung bringt und das anderer fördert. Dies geschah und geschieht in persönlichen Begegnungen, ebenso aber vermittelt durch Kunst, - Literatur, Theater, Musik, Bilder, Skulpturen, … (später) Theologie.
Am Anfang stand - einfach gesagt - kindliche Freude am Spiel der Liturgie. Der kindliche „Traum“ Priester zu werden, ist niemals wie die sprichwörtliche Seifenblase zerplatzt, obwohl es mehrmals knapp daran war. Immer wieder wurde ich aus meinem Traum aufgestört, manchmal behutsam, manchmal erschreckend abrupt. Nicht nur einmal musste ich mich fragen und fragen lassen: Täusche ich mich? Oder gibt es einen Ruf, aber ich kann oder will ihm - aus welchen Gründen auch immer - gar nicht antworten.
Und tatsächlich war es ein langer Weg, bis ich im Herbst 1973 mein Noviziat bei den Jesuiten beginnen sollte.
In den Großen Exerzitien des Noviziats ahnte ich zum ersten Mal, dass es jetzt bei der Frage der Berufung nicht primär um die Zugehörigkeit zu einem Orden oder eine Berufsklärung im Blick auf den priesterlichen Dienst ging. Natürlich auch das. Zuerst und zuletzt aber ging es um die Konfrontation mit einer Bitte, der Bitte, dem Kreuz tragenden Jesus „zugesellt“ zu werden. Nach den Tagen der Kandidatur erhielten wir als Zeichen der Aufnahme in das Noviziat ein Kreuz überreicht. Auf dessen Rückseite ist lapidar zu lesen: „Ich will, dass du uns dienst“ La Storta 1537. Zeit und Ortsangabe erinnern an die Vision des Ignatius, vom Kreuz tragenden Jesus selbst in seinen Dienst genommen worden zu sein. Uns Jesuiten führt dieses Wort (nicht nur als Novizen) vor Augen, dass wir teilhaben dürfen an der Gnade des Ignatius und es die Gnade auch unserer Berufung ist, darum zu bitten, Jesus zugesellt zu werden.
Im Blick auf Jesu Leben unser Leben zu ordnen, es gleichsam wie eine Folie über unser eigenes Tun und Lassen zu legen, es daran je neu auszurichten und zu ordnen, dazu lädt Ignatius in den Geistlichen Übungen ein. Bereits am Beginn der Exerzitien steht ein Gespräch mit dem Gekreuzigten (GÜ 53): „Und in dem ich ihn derartig sehe und so am Kreuz hängend, über das nachdenken, was sich anbietet“. Ich bin eingeladen, dem Gekreuzigten ins Angesicht zu antworten. Um gleichsam die „Atmosphäre“ dieses Gesprächs zu skizzieren, heißt es in der folgenden Anmerkung: „Das Gespräch wird gehalten, indem man eigentlich spricht, so wie ein Freund zu einem anderen spricht“ (GÜ 54). Was für ein Glück! Wir wissen aber auch, nicht zuletzt aus eigener Lebenserfahrung, dass auch Freundschaften in Krisen geraten, dass auch unter Freunden das Gespräch gestört werden, verstummen kann, ja, dass wir von unserer Seite das Gespräch abbrechen. Dies gilt auch für unser Zwiesprache mit dem Gott-Menschen. Gleichermaßen gilt aber – ausnahmslos – für uns alle, dass wir als sündige Menschen trotzdem in die Nachfolge Jesu berufen sind.
Gelebte Berufung als Antwort auf die Einladung als Mitarbeiter Gottes (1 Kor 3,9) am Werk der Schöpfung und Erlösung mitzuwirken, bleibt ein lebenslanger Lern- und Reifungsprozess. Die Erfahrung von Gottes Geduld und Verlässlichkeit gehört dabei zu beglückendsten und zugleich erschütterndsten Erfahrungen. Der Schweizer Kapuziner Theodosius Florentini bringt diese Spannung nüchtern, herausfordernd und zugleich ermutigend gläubig ins Wort: „Vertraue, aber wirke mit“!
Im Blick darauf, was vor ungefähr 65 Jahren spielerisch begonnen hat als Berufung in meinem Leben Gestalt anzunehmen, darf ich heute dankbar mit einem Liedvers von Gerhard Tersteegen sagen/singen: Gott rufet noch! … Das erfüllt mich mit Freude und Vertrauen!
P. Klaus M. Schweiggl SJ
seit Herbst 2021 Priesterseelsorger in der Diözese Linz
Steckbrief des Autors:
72-jähriger Christ, davon 49 Jahre Jesuit und 40 Jahre Priester
Erschienen in: Unsere Brücke. Juni 2022 bis Dezember 2022, hg. v. Priesterseminar der Diözese Linz, 7-9.