Brauchen wir Priester?
„Unsere Kirche, die in diesen Jahren nur um ihre Selbsterhaltung gekämpft hat, als wäre sie ein Selbstzweck, ist unfähig, Träger des versöhnenden und erlösenden Wortes für die Menschen und für die Welt zu sein.“ Der evangelische Christ Dietrich Bonhoeffer fragte sich und andere Ende 1942: „Sind wir noch brauchbar?“ Oder sind wir verbraucht und so müde geworden?
Der sakramentale priesterliche Dienst wird bis in die innere Mitte der Gemeinden und bei Priestern selbst radikal Infrage gestellt. Wozu sind wir noch gut? Braucht man uns noch? - Jedes Amt ist Dienst, und zwar Dienst in einer Kirche, die als universales Sakrament des Heils der Welt (LG 1) der Gegenwart des Reiches Gottes zu dienen hat. Sakramentalität ist das konkret-geschichtliche, in leibhaftigen Zeichen ausgedrückte und ratifizierte Versprechen, dass Gott mit uns ist. Bei aller Einheit gibt es zwischen Kirche und Christus auch eine wesentliche Differenz. Das kirchlich-ordinierte Amt bringt in der Kirche selbst die Differenz zwischen Evangelium und Gemeinde, d.h. zwischen Christus und Kirche institutionell zum Ausdruck. Der priesterliche Dienst stellt diese Verwiesenheit auf Christus, das immer unverdiente Geschenk der Selbstzusage Gottes in Jesus Christus dar. Priester sind nicht die „Macher“ und sakramentales Handeln stellt die Gegenwart Gottes nicht her, sondern dar. Ein Priester und damit auch die Kirche hat also keine eigene Kompetenz oder autonome Souveränität, sondern vertraut dem Wort Jesu und bittet um die Gegenwart Christi durch den Geist.
Es wäre fatal, den christlichen Glauben auf bloße moralische Gebote zu reduzieren. Das Wort des Lebens und der Liebe können wir nicht selbst aus dem eigenen Bauch, aus der eigenen Befindlichkeit oder Betroffenheit hervorzaubern. – Ebenso verheerend wäre doktrinäre Verengung des Glaubens. Glaube wäre nur noch die Zustimmung zu Sätzen, die mir das kirchliche Lehramt vorgibt.
Der sakramentale Dienst der Priester hat der Berufung, Heiligung und Versöhnung aller Menschen zu dienen. Das kirchliche Amt hat die Aufgabe der evangeliumsgemäßen Verkündigung und Predigt, die „Mysterien Christi, besonders die Sakramente der Eucharistie und der Versöhnung“ (Weiheversprechen) zu feiern. Priester sind mit dem Dienst beauftragt, Einheit immer neu zu ermöglichen, und zwar in und durch die Zeit. Dem Amt ist in besonderer Weise auch der Dienst der Versöhnung und des Friedens aufgetragen. Und die Diakonie, der Dienst an den Armen und Kranken, den Heimatlosen und Notleidenden gehört wesentlich zu den Weiheversprechen.
Paulus betont immer wieder, dass im Schwachen die Stärke, im Kreuz die Kraft Gottes und in seiner Niederlage die Auferstehung anbreche. Diese nur scheinbar paradoxe Logik des Evangeliums scheint mir für die Bestimmung priesterlicher Existenz heute absolut unverzichtbar zu sein. „Denn ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch überliefert habe: In der Nacht, da er verraten wurde, nahm der Herr Jesus Brot“ (1 Kor 11,23). Die Evangelien und Paulus thematisieren diese Verwicklung von Eucharistie und Verrat. Diese Verwicklung zeigt sich im Gebrauch des Wortes „paradosis“ bzw. „traditio“ für die Selbsthingabe Jesu wie auch für den Verrat durch Judas, gerade auch im Zusammenhang mit dem Herrenmahl.
Unsere Sendung, unsere Stellvertretung ist Dienst an der Welt und den Menschen mit all ihren Sorgen und Nöten. Stellvertretung bewahrt in uns eine Haltung der Offenheit und schützt davor, dass wir uns in eine Enklave zurückziehen. Wenn wir nur noch das Gleiche reproduzieren oder unsere kirchliche Heimat verteidigen wollen, würden wir den Untergang verwalten, nicht aber zukunftsfähig sein.
Die radikalen Veränderungen in der Gesellschaft und auch der Strukturwandel in der Kirche sind vielleicht auch eine Chance, uns von neuem aus dem Evangelium zu erneuern. Da haben wir teilweise ganz von vorn zu beginnen. Das aber bedeutet nicht, dass wir die Geschichte der letzten bald 2000 Jahre hinter uns lassen sollen. Aber es bedeutet, das Evangelium heute neu zu lernen, mit jenen Menschen, mit denen wir auf dem Weg sein werden. Das Evangelium neu zu lernen, bedeutet aber immer sowohl Umkehr und Erneuerung, als auch Begeisterung und Mut zum Aufbruch.
Bischof Dr. Manfred Scheuer
Erschienen in: Unsere Brücke. Juni 2022 bis Dezember 2022, hg. v. Priesterseminar der Diözese Linz, 2f.