Berufung - berufen - Beruf
Meine Tätigkeit als Ausbildungsleiterin der Theologiestudierenden umschreibe ich gerne mit den Begriffen: begleiten – beraten – bestärken. Ich begleite und berate Studierende auf ihrem Weg durch das Studium, mit dem Ziel einmal kirchliche/r MitarbeiterIn in der Schule, in der Pastoral oder auf diözesaner Ebene zu werden. Und ich bestärke sie dabei. Bestärken im Sinne von ermächtigen, Menschen in ihrer Selbstwerdung unterstützen. Dieses Bestärken beziehungsweise Ermächtigen verweist auf den schillernden Begriff der Berufung.
Eine (für mich stimmige) Umschreibung von Berufung ist: Wo sich meine tiefsten Wünsche, Bedürfnisse, Sehnsüchte, Fähigkeiten und Talente mit einem Bedürfnis in der Welt treffen – dort liegt meine Berufung. Das heißt, will ich meine Berufung finden, muss ich zunächst mit meinen eigenen tiefen Sehnsüchten und Bedürfnissen in Kontakt kommen. Dazu helfen mir regelmäßige Zeiten der Stille, die Natur, der Garten, die Berge …
Und ich brauche eine realistische Selbsteinschätzung, das selbst-bewusste Wissen um meine eigenen Fähigkeiten und Stärken: Was kann ich und was davon wird in dieser Welt gebraucht? Dazu brauche ich Freundinnen und Freunde, Menschen, die mich kennen und die es gut mit mir meinen.
Und schließlich geht es darum, was ich an der Schnittstelle von Selbst und Welt als meine Berufung erkannt habe, auch umzusetzen. Denn nur dann kann es fruchtbar werden – für andere und für mich.
Wenn ich also Studierende bestärke, richte ich den Fokus sowohl auf das Selbst der Studierenden als auch auf die Welt, die Gesellschaft, die Kirche.
Orientierungsgespräche, spirituelle und persönlichkeitsbildende Veranstaltungen sowie Angebote zu gesellschaftspolitischen und kirchlichen Fragestellungen sollen die Entwicklung der Studierenden dabei unterstützen. Wesentlich erscheint mir aber, die Studierenden darin zu ermutigen mit ihren Sehnsüchten und Bedürfnissen in Kontakt zu sein. Ein Stück weit auch vorzuleben wohin meine eigenen Wünsche und Sehnsüchte mich geführt haben, wo ich meine Schnittstellen verorte. – Und dabei nicht perfektionistisch oder maßlos zu sein.
„Ich sehne mich danach, die Sehnsucht zu haben, Gott zu lieben“ sagt ein junger Jude in einer Geschichte. Worauf ihm der Rabbi entgegnet: „Das genügt. Du bist auf dem Weg.“
Dieses Gefühl zu „genügen“, auf dem (richtigen) Weg zu sein habe ich selber in meiner Biografie immer wieder erfahren und möchte ich auch anderen vermitteln. Studierenden etwas zutrauen, ihre Fähigkeiten und Talente wecken und fördern, Rahmenbedingungen schaffen, damit sie sich gegenseitig stärken und ermächtigen, sehe ich als meine Aufgabe – und meine Gabe.
Gesellschaftlich leben wir hier in Westeuropa in einer Zeit, in der die Gewissheiten der früheren Generationen in Frage gestellt sind. Es gilt immer wieder zu entscheiden, wie ich meine Lebenswelt, meine Beziehungen, meinen beruflichen Weg, meine spirituelle Ausrichtung gestalten will. Damit diese Neuausrichtung gelingt braucht es immer wieder auch die Vergewisserung: Woher komme ich? Wo stehe ich? Wie soll, wie will ich weitergehen? Dabei ist der Austausch mit anderen und deren biografischen Erfahrungen wichtig. Er hilft uns, Alternativen zu erkennen und den eigenen Weg zu finden.
Im kirchlichen Zusammenhang beziehungsweise christlichen Kontext lässt sich dieser individuelle Prozess, der viel Vertrauen und Mut verlangt, noch einmal rückbinden an die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen. Die ganze biblische Überlieferung ist voll von Erzählungen über Menschen, die sich von Gott gerufen und begleitet sehen. Ihre Lebensgeschichten sind keine konkreten Biografien einzelner Personen, sondern lassen sich theologisch deuten als Orte des Wirken Gottes. So wie auch Jesus in seinen Begegnungen die kleinen Geschichten einzelner Menschen immer wieder in den Horizont der großen Geschichte des Heilswirken Gottes gestellt hat.
Theologiestudierende zu bestärken, heißt dann auch, mit dem Wirken von Gottes Geist rechnen und Wunder für möglich halten.
Mag.a Maria Eichinger, Ausbildungsleiterin der Theologiestudierenden, Diözese Linz
Erschienen in: Unsere Brücke. Juni 2017 bis Dezember 2017, hg. v. Priesterseminar der Diözese Linz, 20f.