Talente entdecken - Berufung finden
Pfarrer, PastoralreferentIn, LehrerIn – das sind die klassischen Berufe, die TheologInnen nach Abschluss ihres Studiums ergreifen. UnternehmensberaterIn in der Wirtschaft oder PersonalreferentIn in einer Firma, RedakteurIn im Verlag, Medienbeauftragte/r in Rundfunk und Fernsehen, Zeitung, Internet sind AbsolventInnen anderer Studienfächer vorbehalten. Das ist jedoch mitnichten so. Denn seit geraumer Zeit stehen TheologInnen auch diese Berufsfelder nicht nur offen, sie sind dort sogar besonders gefragt. Demnach: Ihrer Berufung folgen, berufen sein, ihren Beruf ergreifen können TheologInnen sowohl in kirchlichen Arbeitsfeldern als auch in verschiedensten anderen gesellschaftlichen Bereichen.
Diese Entwicklung hat etwas mit der speziellen Qualifikation zu tun, über die AbsolventInnen der Theologie nach Abschluss ihres Studiums verfügen. Sie überzeugen mit ihrem breit gefächerten Fachwissen genauso wie mit ihrem spezifischen Kompetenzprofil. Denn im breit angelegten Theologiestudium haben sie sich zum einen ein fundiertes Fachwissen, das vom christlichen Menschenbild über die christliche Ethik bis hin zu philosophischem und pädagogischem Wissen reicht, angeeignet. Zum anderen haben sie in der Auseinandersetzung mit dem Fachgegenstand aufgrund der speziellen Anlage der Theologie auch vielfältige soziale, personale, kommunikative und kognitive Kompetenzen ausgebildet: Empathie, die Fähigkeit, die Perspektive zu wechseln sowie Dialog- und Diskussionsfähigkeit und damit Kommunikation auf Augenhöhe gehören ebenso dazu wie inter- und transdisziplinäre Sprachfähigkeit und interkulturelle Kompetenz. Zu ihren größten Vorzügen gehört vernetztes Denken, hohe Problemlösekompetenz und Konfliktfähigkeit.
Deshalb schätzen unterschiedliche ArbeitgeberInnen verschiedenster Couleur – vor allem auch die Wirtschaft – seit einem guten Jahrzehnt AbsolventInnen der Theologie hoch und sehen in ihnen besonders attraktive MitarbeiterInnen. Aus einer theologischen Perspektive verpflichtet das besonders; hier wird eine andere Form der Berufung sichtbar: Als Christinnen sind wir aufgefordert, in allen Bereichen unserer Gesellschaft – privat wie beruflich – mit unserem Glauben einen eigenen, biblisch fundierten Standpunkt zu vertreten und die christliche Botschaft dort wirksam werden zu lassen. Wir sind dazu berufen, Stellung zu beziehen, wahrhaftig und aufrichtig zu sein, das Christentum und die christliche Botschaft zu bezeugen, auch gegen Widerstände. Diese „Widerständigkeit“ scheint aber ArbeitgeberInnen – auch außerhalb der Kirche – nicht zu stören.
Diese besondere christliche Berufung hat Folgen für das Theologiestudium. Theologie zu studieren ist viel mehr, als einer Erwartungshaltung gerecht zu werden, und ganz sicher ist es keine „Fertigungsstraße“ für den späteren Beruf. Theologische Bildung ist nicht allein Aneignung von Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen, die ein potentieller Arbeitgeber von mir erwartet. Eine solche Studienhaltung greift deutlich zu kurz, und wird dem Anspruch der christlichen Botschaft auch nicht gerecht.
Stattdessen geht es im Theologiestudium auch darum, sich seiner eigenen Person und seines eigenen Potentials bewusst zu werden, seine ganz persönlichen Stärken und Talente zu erkennen, diese weiter auszubauen und zu entfalten. Ziel ist es, in der Auseinandersetzung mit dem fachlichen Gegenstand genau hinzuschauen und hinzuhören, wo die eigene Berufung liegt. Damit das gelingt, braucht es eine grundsätzliche Offenheit für Neues und Anderes, den Mut zur Veränderung, aber auch die Bereitschaft zur kritischen Selbstreflexion, zur Irritation, ja zum Konflikt mit meinem Gegenüber – um gemeinsam daran zu lernen und weiter zu kommen. Wenn ich in mich hineinhöre, wenn ich hinhöre, wenn ich mich hinein nehmen lasse in Gottes Ruf, seine Berufung für mich, dann kann etwas Großes entstehen.
Univ.-Prof.in. Dr.in Ines Weber
Erschienen in: Unsere Brücke. Juni 2017 bis Dezember 2017, hg. v. Priesterseminar der Diözese Linz, 18f.