Im heutigen Evangelium haben wir den Stammbaum Jesu Christi gehört. Dieser Stammbaum ist nicht als ein Beitrag zur Ahnenforschung gemeint, sondern als theologische Aussage über Jesus und über den Sinn der Geschichte Israels.
Jesus ist der Christus, der verheißene Messias, und seine Geschichte ist es, die durch alle Geschlechterfolgen hindurch das eigentlich Bewegende war. Ja er ist der Verheißene seit David und seit Abraham. In ihm hat die Geschichte Israels ihr Ziel erreicht und an ihm wird sich der weitere Weg der Menschen entscheiden.
Als die Eltern das Jesuskind zur Darstellung in den Tempel brachten, nahm der greise Simeon das Kind in seine Arme und sprach: „Dieser ist gesetzt zum Falle und zur Auferstehung vieler“. Ja, an diesem Kind von Bethlehem führt kein Weg vorbei. Es fordert jeden Einzelnen zur Entscheidung heraus. Wer sich für ihn entscheidet, dem gereicht es zum ewigen Leben. „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist.“ Wer sich aber gegen ihn stellt, dem gereicht er zum Falle, dessen Leben kann scheitern für Zeit und Ewigkeit.
Der Stammbaum Jesu zeugt von einer Geschichte voller Lebensdichte. Es ist keine „glatte“ Sache, nicht alle Pläne und Wünsche sind aufgegangen. Zwischen den Zeilen werden Lebensschicksale sichtbar, z.B. von Tamar oder Ruth. Gott geht jede Geschichte der Menschen mit, er tritt ein in das Leben, um Recht zu verschaffen, um Gewalt in Frieden zu verwandeln, um jene sichtbar zu machen, die in den Hintergrund gedrängt sind.
Die Botschaft von Weihnachten sagt uns, dass Gott den Menschen nicht alleine lässt in dem was das Leben an Herausforderungen mit sich bringt. Gottes Wirken und Gegenwart macht Neues möglich, das wir erhoffen, das uns verheißen ist.
In diesem Sinn schreibt bereits Alfred Delp:
„Man muss gerade Weihnachten mit einem großen Realismus feiern, sonst erwartet das Gemüt Wandlungen, für die der Verstand keine Begründung weiß. Gott wird Mensch. Lasst uns dem Leben trauen, weil diese Nacht das Licht bringen musste. Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht allein zu leben haben, sondern Gott es mit uns lebt.“
In unserer Zeit der Entkirchlichung und Entchristlichung haben doch viele ein Verlangen nach Menschen, die „ganz anders“ aber doch auch „ganz nahe“ sind.
Ja, es gibt die Ausschau nach Vorbildern, die zu Wegweisern werden, nach Menschen, die auf Gott verweisen und selber „menschlich“ sind. Es gibt eine zunehmende Suche nach Orientierung durch Personen, die nicht zuerst über ihre Funktionen, sondern über ihr Sein wahrgenommen werden. Es braucht einfach Menschen, die auf der Erde wohnen und doch im Himmel zuhause sind.
Hugo Rahner hat das treffend zusammengefasst mit den Worten: Es braucht Menschen, die Abstand halten von der Welt, ohne sie zu verachten; es braucht Menschen, die sie umarmen, ohne sich an sie zu verlieren.“
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Wie stehen wir da? Was stellen wir dar? Wofür sind wir Wegweiser und Orientierungshilfe?
Mögen uns diese letzten Tage des Advents helfen, von der Menge der Arbeit und Hektik unseres Tuns Abstand zu nehmen, damit wir zur Ruhe, zu uns selber kommen, damit wir zu uns selber finden und dem Geistlichen Priorität einräumen, sonst geht Weihnachten unerfüllt vorbei.
Die Dominikanerin Sr. Silja Walter spricht in einem ihrer Gebete:
„Jemand muss zuhause sein, wenn du kommst, Herr, jemand muss dich erwarten. Jemand muss nach dir Ausschau halten, Tag und Nacht, dich von weitem schon kommen sehen.“
Amen
(Manuskript der Homilie – es gilt das gesprochene Wort)
+ Ludwig Schwarz SDB
Bischof von Linz