Artikel im "spirit 13" Seite 5
Für Gudrun Becker, Referentin für Ökumene und Judentum in der Diözese Linz, verändert die Begegnung mit dem Fremden den Blick auf das Eigene.
Als ich das erste Mal bei einem muslimischen Gebet dabei war, war ich ergriffen von dessen melodi-schem Klang. Viele orthodoxe Kirchen lassen mich staunen, weil mich beim Eintreten ein Gefühl der himmlischen Herrlichkeit beschleicht. Ich merke auf, wenn ich beim jüdischen Gottesdienst das Schma Jisrael aus dem Mund von Jüdinnen und Juden höre. Ich kenne es auch aus den biblischen Überliefe-rungen der Worte Jesu. Es fällt mir im evange-lischen Gottesdienst auf, dass er ohne strenge Choreografie auskommt, dass die Bibel und deren Auslegung ganz im Zentrum stehen. Ich bin überrascht vom emotionalen und frei-mütigen Bekenntnis mancher freikirchlicher Christ:innen.
Solche und andere Begegnungen mit an-deren Religionen oder anderen christlichen Konfessionen sind für mich des Öfteren eine Erfahrung des Fremden. Es geht dabei um etwas, das mir auffällt, mich „anspringt“, weil es vom Gewohnten abweicht. Dies ist nicht immer verlockend und großartig, sondern oft einfach überraschend und erstaunlich, manchmal auch irritierend, abschreckend oder völlig unverständlich.
Meine Haltung des Einlassens auf das, was mich befremdet, ist keine Patchwork-Religion oder die Suche nach Exotischem. Ich empfinde es vielmehr als Geschenk, das ken-nenlernen zu dürfen, was Menschen anderer Gemeinschaften, Religionen und Kulturen erfahren haben, was sie erhoffen, welche Ant-worten sie auf die Fragen des Lebens und auf das Angesprochen-Sein von Gott geben.
Wenn es mir gelingt, das Befremdliche nicht sogleich in mein Eigenes einzuordnen, zu erklären oder herzuleiten, merke ich, wie sich dadurch der Blick auf meine eigene Tra-dition, meinen Glauben, mein Hoffen und Fragen verändert. Der Philosoph Bernhard Waldenfels, den ich sehr schätze, sagt dazu: „Altvertraute Probleme bekommen neue Konturen, wenn die Schatten des Fremden auf sie fallen.“ Die Begegnung mit mir frem-den Religionen, Traditionen, Kulturen, Welt-anschauungen und Positionen fordern mich aus meinen bewährten Denkmustern heraus und stellen meine gewohnten Ordnungen infrage. Dann bekommen meine Selbstver-ständlichkeiten Risse und meine Probleme (wie auch die meiner Kirche und Theologie) neue Konturen.
Ich hoffe auf einen Gott, der das Heil aller Menschen will und auch alle Menschen er-reicht. Die Begegnung mit den unterschied-lichsten Antworten auf dieses Angebot, mögen sie mir angemessen erscheinen oder nicht, lassen mich Facetten dieses unend-lichen Geheimnisses erahnen.