Vom Taufgespräch bis zur Hochofen-Segnung
Sie arbeitet gerne in der Kirche. Diese Arbeit macht Sinn. Das erlebt sie täglich als Seelsorgerin. Sie kommt aus einer klassischen Arbeiterfamilie. Durch die Jungschar hat sie die katholische Kirche kennengelernt. Heute, fast 30 Jahre später ist Silvia Aichmayr Betriebsseelsorgerin und Leiterin des Treffpunkts „mensch und arbeit“, Standort voestalpine. 14.000 Menschen arbeiten am Industriestandort in Linz. Die nachgehende Seelsorge sieht sie als ihre Kernaufgabe. Dass sie beim Besuch in den Büros der Angestellten, Werkstätten und Produktionshallen der Arbeiter in den meisten Fällen als Seelsorgerin wahrgenommen wird, sei mittlerweile ganz normal. „Was die Unternehmensleitung betrifft, erlebe ich, dass wir als Seelsorge insgesamt gut akzeptiert sind und dass es zum Beispiel keine Frage war, dass ich als Frau, als Seelsorgerin letztes Jahr den Hochofen 6 gesegnet habe.“
Die 1977 geborene Seelsorgerin ist verheiratet, Sohn Emil ist vier Jahre alt. Ihren Beruf und ihre Berufung erlebt sie als sinnvoll, besonders die Begegnung mit den Menschen führe oft zu ganz nahen und intensiven Momenten: „Am griffigsten wird unser Tun, wenn wir Menschen beim Trauern, beim Gedenken und Erinnern begleiten und bei ihnen sind in belastenden Situationen, auch beim Sterben und Verabschieden.“ Ihre Erfahrung ist, dass die Menschen – und hier auch „Kirchenferne“ – an Lebenswenden, bei persönlichen und beruflichen Krisen und in Zeiten der Hochfeste etwas von der Kirche wollen. „Wir haben so einen großen Reichtum an sinnstiftenden Inhalten und Ritualen, wir müssen sie nur richtig übersetzen und in das Leben der Menschen bringen“, meint Aichmayr. Wichtig ist ihr, Menschen in ihrem Bemühen um Gerechtigkeit und Menschenwürde in der Arbeitswelt zu bestärken.
Bereicherung. Dass die Kirche selbst auf den Reichtum, den ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitbringen verzichtet, in dem sie zwischen Geweihten und Laien, Männern und Frauen differenziert und diese nicht gleich behandelt, bleibt unverständlich: „Die Kirche könnte die unterschiedliche Lebenssituation ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Ressource sehen und nicht als Hindernis.“ Ein Beispiel dafür hat sie aus ihrem Berufsalltag: Als sie kürzlich mit den Eltern eines Täuflings ein Taufgespräch führte und das Baby unruhig wurde, schlug sie vor, im Gang miteinander redend auf und ab zugehen, ... das Baby schlief ein, das Taufgespräch wurde wieder im Büro weitergeführt. Die Reaktion der Mutter darauf war: „Man merkt einfach, dass du selber Mama bist!“ – Dabei will Aichmayr keineswegs sagen, dass man Mama sein muss um ein Taufgespräch zu führen, das widerstrebe ihr als Feministin völlig, aber ihre Qualitäten als Mutter eines vierjährigen Sohnes könne sie auch im Beruf einbringen.
Gleichstellung. Grundsätzlich sieht Aichmayr, dass sich in den letzten Jahrzehnten im Bereich Gleichstellung viel getan hat, „aber zufrieden können wir als Frauen in Kirche und Gesellschaft noch lange nicht sein. Im Gegenteil: gesellschaftlich gesehen ist ein „Rückwerts-Trend spürbar“. Männer und Frauen sollten gleichberechtigt und gleichgestellt leben und arbeiten, auch Laien und Priester sollten gleichberechtigt diese Kirche mitgestalten und: „Sofern es der Pastoral, den Menschen vor Ort dient, sofern es vor allem einer qualitativen Seelsorge dient, sollten wir die Menschen mit allem, was dazu gehört – auch mit dem Spenden von Sakramenten – begleiten dürfen.“
(Elisabeth Leitner)
Zur Person: Mag.a (FH) Silvia Aichmayr, geb. 1977, verheiratet, 1 Sohn, Betriebsseelsorgerin und Leiterin des Treffpunkt mensch & arbeit, Standort voestalpine.