„La honte doit changer de camp!“ – „Die Scham muss die Seite wechseln!“ Diese Aufforderung von Gisèle Pélicot ist innerhalb weniger Wochen zum Schlachtruf unzähliger wütender Frauen und Männer geworden, die der anhaltenden Gleichgültigkeit gegenüber Gewalt an Frauen etwas entgegensetzen wollen. Die 72-jährige Französin wurde über Jahre von ihrem Ehemann betäubt, sexuell missbraucht und über Internetforen anderen Männern zur Vergewaltigung angeboten. Die Taten hat er fotografiert, gefilmt und auf seinem Computer in einen Ordner namens „Missbrauch“ einsortiert. Nun steht Dominic Pélicot zusammen mit 54 weiteren Männern vor Gericht. Womit niemand gerechnet hätte: Gisèle Pélicot entschied sich dazu, den Prozess unter Beteiligung der Öffentlichkeit abzuhalten. So bleiben weder sie noch die Täter anonym. Die im Gerichtssaal dargelegten und als Beweismittel gezeigten Gräueltaten erschüttern die Menschen weit über die Grenzen Frankreichs hinaus. Der Fall Pélicot ist in seinem Ausmaß und seiner Abgründigkeit besonders schockierend und doch sind die Täter scheinbar durchschnittliche Männer. Keine der als Zeuginnen geladenen Ehefrauen, Töchter und Schwestern gibt zu Protokoll, ihnen derartige Verbrechen zugetraut zu haben. Wie konnte Dominic Pélicot so viele dieser Durchschnittstypen aus der Gegend der 6.000-Seelen-Gemeinde Mazan für gezielte Vergewaltigungen an seiner Frau übers Internet rekrutieren? Wieso hat keiner von ihnen die Polizei alarmiert, anstatt sich darauf einzulassen?
Fakt ist: Gewalt geschieht, solange Frauen eher als passive Objekte angesehen werden und Männer als handelnde Subjekte. Gewalt geschieht, solange Buben nicht beigebracht wird, wie sie mit Hilflosigkeit, Wut und Traurigkeit konstruktiv umgehen können und ihnen somit auch später Gewalt eher als Ventil zur Verfügung steht. Gewalt geschieht, solange Mädchen und Frauen auf der Polizei und vor Gericht kein Glauben geschenkt wird. Gewalt geschieht, solange die Schuld immer auch bei den Opfern gesucht wird. Gewalt geschieht, solange abwertende Sprache und kontrollierendes Verhalten von Männern gegenüber Frauen gesellschaftlich toleriert werden. Gewalt geschieht, solange niemand hinsieht und niemand es anspricht.
Die „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ sind eine jährliche Kampagne, beginnend mit dem „Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“ am 25.11. Dieses Datum geht auf ein Treffen lateinamerikanischer und karibischer Feministinnen im Jahre 1991 zurück, die damit den 25.11.1960 ins Gedächtnis rufen wollten: An dem Tag waren die drei Schwestern Patria, Minerva und María Teresa Mirabal für ihr politisches Engagement gegen Diktator Rafael Trujillo in der Dominikanischen Republik zu Tode geprügelt worden. Die Kampagne endet mit dem „Tag der Menschenrechte“ am 10.12., der sich auf die Verkündigung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahre 1948 bezieht.
Die Frauenkommission der Diözese Linz, die Katholische Frauenbewegung OÖ und die Katholische Männerbewegung OÖ mahnen anlässlich der „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ eine gesellschaftliche Kurskorrektur und mehr Schutz für die Betroffenen ein: Es geht um das Recht auf ein gewaltfreies Leben, das jedem Menschen zusteht. In der Realität ist Gewalt an Frauen eine der häufigsten Menschenrechtsverletzungen weltweit.[i] In Österreich ist neben unzähligen Fällen von Belästigung, Abwertung, Diskriminierung und Bedrohung die hohe Zahl an Femiziden besonders erschreckend: 2024 wurden bislang 24 Morde und 38 Mordversuche an Frauen gezählt, überwiegend begangen von Männern aus ihrem nahen Umfeld.[ii] Gewalt an Frauen ist ein Männerproblem – und die Scham dafür muss endlich die Seite wechseln.
Am Montag, 25.11.2024, finden in Linz folgende Veranstaltungen zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen statt:
Um 12:00 Uhr wird vom Frauenbüro der Stadt Linz traditionell am Hauptplatz als sichtbares Zeichen eine Fahne gehisst. [iii]
Um 13:00 Uhr findet eine Aktion des „Bündnis 8. März“ statt: Frauen stellen sich in weißen Kutten und mit weißen Gesichtern maskiert auf der Nibelungenbrücke auf – je eine Frau stellvertretend für eine 2024 in Österreich ermordete Frau. Die Forderungen richten sich vor allem an die politischen Entscheidungsträger:innen, die eine bessere Finanzierung von Frauenberatungsstellen und Frauenhäusern, bessere Sensibilisierungsprogramme des Personals in Schulen, Justiz und Polizei, verpflichtende Präventionsprogramme und Antigewalttrainings für Gefährdete sowie Gewaltprävention als Teil des Pflichtschullehrplans verwirklichen könnten.
Um 17:00 Uhr wird im Bildungs- und Begegnungszentrum Haus der Frau eine Ausstellung von Anna Pech eröffnet, in der strukturelle Zusammenhänge zwischen häuslicher Gewalt, Online-Misogynie und Victim Blaming sichtbar gemacht werden.
Die „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ umfassen folgende Gedenk- und Aktionstage:
25.11.: Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen
29.11.: Internationaler Tag der Frauenrechtsaktivistinnen
01.12.: Welt AIDS Tag
03.12.: Internationaler Tag der Menschen mit Behinderungen
05.12.: Internationaler Tag des Ehrenamtes
09.12.: Internationaler Tag der Frauenrechtsaktivistinnen
10.12.: Internationaler Tag der Menschenrechte
[ii] https://www.aoef.at/index.php/zahlen-und-daten/femizide-in-oesterreich
[iii] Weitere Aktionen des Frauenbüros der Stadt Linz rund um die „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“: https://www.linz.at/frauen/4887.php oder Broschüre als Download
Weitere Berichterstattung:
ORF: Aktionen: Diözesen an Kampagne gegen Gewalt an Frauen beteiligt - religion.ORF.at
kathpress: Kampagne gegen Gewalt an Frauen: Zahlreiche Diözesen beteiligt
Vatican News: Österreich: Kampagne gegen Gewalt an Frauen - Vatican News
KirchenZeitung: „Jede dieser Frauen hatte Wünsche und Ziele“