Bilden heißt, denken lehren!
Da gilt es die Vorschule ebenso in den Blick zu nehmen wie die Pflichtschulzeit, die Pädagogischen Hochschulen und Universitäten, aber auch die vielfältigen Angebote der Erwachsenbildung und der Bildungshäuser. Nicht zu vergessen, was neuerdings über elektronische Medien an Bildung vermittelt wird, was Bücher und Zeitschriften anbieten, und nicht zu vergessen, wie wir uns in persönlichen Gesprächen und Disputen gegenseitig fordern, fördern und bilden.
Was macht einen gebildeten Menschen aus?
Was ist die zentrale Aufgabe aller Bildungsanstrengungen? - Ich gebe eine einfache, wenn auch nicht unumstrittene Antwort: Die wichtigste Bildungsaufgabe ist es meiner Meinung nach, das Denken zu lehren.
- Ein denkender Mensch freut sich an der eigenen Größe und respektiert dennoch die ihm gesetzten Grenzen. Er ist selbstbewusst, ohne überheblich zu werden.
- Ein denkender Mensch weiß um die Komplexität der Wirklichkeit und weicht den Schlüsselfragen der menschlichen Existenz nicht aus: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?
- Ein denkender Mensch weiß, dass er nicht alleine auf der Welt ist und das Miteinander und die Hilfe anderer braucht. Er ist sozial gesinnt und handelt verantwortlich.
- Ein denkender Mensch ist ein fröhlicher und kunstsinniger Mensch, weil er die Schönheit der Welt erkennt und dem Grübeln widersteht.
- Ein denkender Mensch sieht die Welt wie sie ist — mit all ihren Schattenseiten — und glaubt dennoch an ihre Zukunft.
- Ein denkender Mensch weiß, dass er seinen Ursprung nicht sich selbst verdankt. Er ist offen für Transzendenz und die Vorstellung, dass die Welt von einem Größeren ins Leben gerufen wurde und von einem Höheren getragen und behütet wird.
- Und ein Letztes: Ein denkender Mensch ist ein dankender Mensch. Nicht zufällig haben die Wörter „denken“ und „danken“ dieselbe indogermanische Wortwurzel.
Bildung unter dem Vorzeichen des Marktes
So einfach meine Antwort auf die Grundfrage aller Bildung auch ist, sie wird keine ungeteilte Zustimmung finden. Zu laut und zu mächtig sind jene, die mit dem Brustton der Überzeugung fordern, die Schule müsse modern – was immer das heißen mag – , sie müsse innovativ und kundenorientiert sein und sich in erster Linie oder vielleicht sogar ausschließlich an den Bedürfnissen der Wirtschaft orientieren. Machen wir uns nichts vor: Die Gesetzte des Marktes haben längst auch die Schulen infiltriert und durchdringen mittlerweile ihre Tiefenstrukturen.
Dennoch: Ich teile den Optimismus (wenn ich böse wäre, könnte ich auch sagen: die Naivität) derer, die bedingungslos auf den Markt schwören und sich von ihm die Lösung aller Probleme erwarten, nicht. Denn der Markt erspart einem das eigene Denken nicht, er macht die Welt nicht gerechteter, er beseitigt den Hunger nicht, nicht den Krieg, nicht den Terror, nicht die Kriminalität, nicht die Krankheit und nicht den Tod. Der Markt beantwortet die menschlichen Grundfragen nicht: nicht die Frage nach dem Ursprung der Welt, nicht die Frage nach ihrem Ziel. Der Markt hat keine Moral, er reflektiert nicht über sich selbst und gibt dem Menschen kein Ziel, zumindest keines, das trägt.
Bildung ist eine Frage des Menschenbildes
Bildung als Ware, Lehrer als Verkäufer und Schüler als Kunden. Diese Ideen und auch das Vokabular sind nicht neu. Schon die Sophistiker dachten in dieser Richtung, sahen sich dann aber mit der Kritik eines Aristoteles konfrontiert, der Bildung als Formung des Menschen um des Menschen willen versteht. Letztlich ist Bildung also auch eine Frage der Anthropologie. Ist der Mensch für uns nur ein Instrument, nur ein Produktionsfaktor, ein Rädchen in der Betriebsamkeit der Welt, oder ist der Mensch mehr? Wer davon überzeugt ist — und ich bin es —‚ dass im Menschen auch das Ebenbild Gottes sichtbar werden kann, der darf die Schülerinnen und Schüler nicht den Klauen der Marktstrategen überlassen und die Bildungspolitik nicht den Predigern des Wettbewerbs.
Der versteckte Lehrplan
Aktuell sind wir in Gefahr, vielfach unausgesprochen, möglicherweise ungewollt und damit unreflektiert in Verkürzungen hineinzuschlittern.
- zum Beispiel durch die Betonung des ökonomisch Notwendigen und Machbaren. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang nur auf das Buch von Jochen Krautz: Die wa(h)re Bildung. Der Titel ist selbstredend.
- durch die Fokussierung auf das international Trendige, Testungen und Benchmarks etwa, ohne sie bildungstheoretisch ausreichend zu begründen.
- durch Fixierung auf das politisch (vermeintlich) Opportune, wenn etwa der Eindruck erweckt wird, lernen sei ohne Anstrengung machbar und die Eltern könnten ihre Verantwortung weitgehend an Bildungseinrichtungen delegieren.
- durch den Rückzug auf das wenig Widerständige, wenn man etwa glaubt, auf Leistungsfeststellungen (und Notengebung) verzichten zu können.
- und nicht zuletzt durch tabuisierendes Schweigen. Ich weiß, wie vielfältig die Fallstricke sind und wie schnell man sich angreifbar macht, aber ist da Schweigen der bessere Weg? Ich vermisse beispielsweise eine ernsthafte, aus verschiedenen Fachdisziplinen gespeiste Diskussion über Begabung und Intelligenz. Ich vermisse den Mut, in konkreten Situationen einzelne Eltern stärker in die Pflicht zu nehmen. Und ich bedauere, wie oft die ganz konkrete Not einzelner Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer und Eltern mit Hinweis auf das System kleingeredet oder ignoriert wird.
Ein bleibender Auftrag
Bildungsdebatten verheddern sich häufig in ideologischem Gestrüpp. Der Blick auf den konkreten Menschen bringt Klarheit und legt Engführungen offen. Wer Bildung vom Menschenbild her entwickelt, dem wird rasch klar: Bildung ist ein Kernauftrag der Kirche! Dem Religionsunterricht kommt hier ein besonderer Stellenwert zu. Kirchliche Pädagogischen Hochschulen und Universitäten sind bei der Entwicklung umfassender Bildungskonzepte eine wichtige Stütze.
In Zukunft wird der Religionsunterricht – das zeichnet sich aufgrund der neuen Gesetzgebung zur Lehrerausbildung bereits ab – noch stärker mit der allgemeinen Lehrerausbildung verwoben sein. Wir tun also gut daran, auch auf diesem Hintergrund nicht nur der Religionslehrerausbildung besonderes Augenmerk zu schenken, sondern auch der Lehrerbildung sowie der Begleitung und Weiterbildung der Pädagoginnen und Pädagogen. Und nicht zuletzt: Es steht uns auch als Kirche gut an, diesem Berufsstand jene öffentliche Wertschätzung zukommen zu lassen, die ihm zumindest medial häufig verwehrt wird.
Als Kirche haben wir – gerade von unserem Welt- und Menschenbild her – die Verantwortung, in Zeiten der Beschleunigung, der mundgerechten Antworten, der Egotrips und der schnellen Wunschbefriedigung wach und widerständig zu bleiben.
Mag. Franz Asanger, emeritierter Direktor des bischöflichen Schulamtes der Diözese Linz