Wie hast du den Weg in die Seelsorge gefunden? Gab es für deinen Weg in die Seelsorge ein prägendes Erlebnis?
Für mich waren die positiven Gemeinschaftserfahrungen in meiner Heimatpfarre Grieskirchen prägend, als Ministrant, in der Jungschar oder bei Jugendmessen. Zudem habe ich in jungen Jahren Seelsorger:innen erlebt, die ich rückblickend als Mentor:innen bezeichnen würde: Sie haben in mir den Wunsch geweckt, ebenfalls für andere begleitend tätig zu werden. Nachdem ich eine „handfeste“ Lehre zum Optiker abgeschlossen hatte, habe ich deshalb zuerst die Ausbildung zum Religionslehrer gemacht und danach berufsbegleitend das Seminar für kirchliche Berufe in Wien. Drei Jahre lang durfte ich dabei in der Pfarre Michaelnbach wirken. Ich habe auch überlegt, Priester zu werden, aber die ehelose Lebensform hätte mir nicht entsprochen. Stattdessen bin ich als Pastoralassistent nach Leonding-St. Michael gewechselt und habe dort zunehmend gespürt, dass ich meine Gesprächskompetenz ausbauen möchte, um besser auf Menschen in schwierigen Lebenslagen eingehen zu können. In Graz habe ich den pastoralpsychologischen Lehrgang, später in Linz die Ausbildung zum Ehe-, Familien- und Lebensberater und in Freising die Notfallseelsorge-Ausbildung absolviert. Diese neuen Toolkits konnte ich in der Diözese Linz zur Anwendung bringen, weil hier die Notfallseelsorge erst in einer konfessionsübergreifenden Arbeitsgruppe aufgebaut werden musste. Das war sehr schöne Pionierarbeit!
Seit 2001 bin ich zudem Altenheim-Seelsorger im Seniorenzentrum Spallerhof in Linz. Diese Aufgabe habe ich für zweieinhalb Jahre unterbrochen, um mich in Elternkarenz um unser erstes Kind zu kümmern. Meine Ehefrau war voll in der Aufbauphase als Pastoralassistentin in ihrer Pfarre, daher lag das nahe. Aber damals wie heute ist man als Vollzeit-Papa leider ein Exot, die Reaktionen reichten von Belustigung über Unverständnis bis Abwertung: „Was ist denn das für ein katholisches Familienbild?!“ Das war insofern amüsant, als ich in der Zeit auch als Ehe- und Familienberater für Beziehung.Leben tätig wurde.
Neben meiner Arbeit im Altenheim habe ich 2012 mein nebenberufliches Theologie-Studium abgeschlossen. Meine Diplomarbeit war stark von meinen Berufserfahrungen geprägt: „Seelsorgliche Begleitung von Menschen mit Demenzerkrankungen“. Das ist in unserer Gesellschaft ein drängendes Thema, da die Menschen immer älter werden und die verschiedenen Demenzerkrankungen dadurch häufiger und länger auftreten.
Was zählt zu deinen Aufgaben?
Gemäß dem II. Vatikanischen Konzil hat jeder Mensch das Recht auf Seelsorge. Sobald kognitive Einschränkungen auftreten, stellt sich daher nicht die Frage, ob Seelsorge möglich ist, sondern wie: Wie können wir diesen Menschen in ihrer Welt begegnen? Sie verlieren bruchstückhaft Sprache, Orientierung, das Verständnis für Zusammenhänge. Mit einer Mischung aus Empathie und Methoden kann jedoch die Gefühlswelt angesprochen werden, wenn die kognitive Welt wegbricht. Daraus entsteht eine Vielzahl von Herausforderungen, wenn z.B. das Recht auf Selbstbestimmung mit der Pflicht zur Fürsorge unvereinbar scheint. Diesen Themenkomplex finde ich sehr wichtig, daher habe ich den interdisziplinären Master-Lehrgang „Medizin- und Bioethik“ in Linz absolviert. Dort war ich der erste Theologe unter Ärzt:innen, Pflegewissenschaftler:innen, Jurist:innen und Psycholog:innen – eine sehr gewinnbringende Erfahrung! Für mich hat sich daraus auch ein ehrenamtliches Engagement im „Extramuralen Ethik-Komitee des Hospiz OÖ“ ergeben: Wir bieten kostenlos ethische Fallberatung für Alten- und Pflegeheime in Oberösterreich an.
Was ist dir einmal richtig gut gelungen?
Dazu fallen mir zwei Begebenheiten ein: Eine Bewohnerin lernte ich kennen, als sie noch einige Wörter sprechen konnte, dann hörte sie aufgrund ihrer Demenzerkrankung komplett auf zu reden. Ich besuchte sie weiterhin und erzählte ihr dies und das. Einmal sagte ich ihr, dass ich sie in meine Gebete einschließe – und sie antwortete völlig unerwartet mit einem deutlichen „Danke“.
Ein anderes Mal kam ich ins Altenheim und eine Bewohnerin freute sich sichtlich, mich zu sehen. Eine Pflegerin fragte sie: „Wissen Sie noch, wer das ist?“ Sie versuchte, sich an das richtige Wort zu erinnern, und antwortete dann einfach: „Der gute Mann!“
Was sind deine Top 3 Tipps für angehende Seelsorger:innen?
- Reflektiere immer wieder deinen eigenen Lebens- und Glaubensweg.
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Bilde dich regelmäßig fort. Der Beruf als Seelsorger:in bietet vielfältige Möglichkeiten zur persönlichen Weiterentwicklung.
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Pflege einen guten Kontakt und Austausch zur Kollegenschaft. Altenheim-Seelsorger:innen sind durchwegs „Einzelkämpfer:innen“ in ihren Heimen. Damit wir uns gegenseitig unterstützen und unsere Erfahrungsschätze miteinander teilen können, engagiere ich mich seit heuer auch im Vorstand unserer Berufsgemeinschaft.
Was sind deine spirituellen Kraftquellen? Was machst du gerne in deiner Freizeit?
In der Familie bemühen wir uns um einen schöpfungsgerechten Lebensstil und pflegen spirituelle Rituale, die uns stärken. Sport ist ein guter Ausgleich. Und auf den wöchentlichen Gottesdienst im Altenheim freue ich mich immer besonders. Als ich nach einem Fahrradunfall nach fünf Wochen zum ersten Mal wieder daran teilnehmen konnte, haben mich die Bewohner:innen mit Applaus empfangen: Da spürt man, dass man nicht nur gibt, sondern auch sehr viel bekommt.
Gespräch mit Magdalena Welsch