„Wir sperren jetzt zu!“ - Altenheimseelsorge zu Corona-Zeiten
„Plötzlich hieß es, ich darf nicht mehr kommen.“ So beschreibt Rosa Astegger (Seelsorgerin im Alten- und Pflegeheim Vöcklamarkt, im Bezirksaltenheim Pfaffing und im Seniorenwohnheim Mondsee) den Moment, als sie von den Auswirkungen des Lockdowns in ihrem Arbeitsbereich erfahren hat. Ein Verabschieden von den Bewohner*innen war nicht mehr möglich, kein „wir sehen uns bald wieder“, keine Erklärungen.
Ähnlich erging es Carmen Rolle (Seelsorgerin im Seniorenwohnhaus Karl Borromäus, Seniorenzentren Liebigstraße und Spallerhof, Linz): „Vor dem Bekanntwerden der Ausgangsbeschränkungen war ich in einem sehr seltsamen Zustand - gefühlt im Viertelstundentakt kamen neue Mails mit Anordnungen, Regeln, Informationen. Dazwischen habe ich stückweise alle Veranstaltungen der kommenden Wochen zuerst umgeplant und dann abgesagt. Von den Bewohner*innen habe ich mich in diesen Tagen bewusst ferngehalten, um unnötige Infektionen zu vermeiden. Im Heim herrschte ein seltsamer Zustand: Plötzlich war da eine seltsame Stille. "Wir sperren jetzt zu!" - Ich habe heute noch nicht das richtige Wort dafür, wie der Satz geklungen hat.“
Rosa Astegger konnte in einem Heim mit den Bewohner*innen und einem Priester noch einen Krankensalbungsgottesdienst feiern. „Diese Feier war aber auch bereits für die Angehörigen gesperrt und sehr stark „heruntergeschraubt“. Auf den üblichen Chor etwa mussten wir verzichten.“
Danach kam, wie überall, auch bei den beiden Seelsorgerinnen eine Phase der Orientierung. Da jedes Heim anders ist, war dieser Prozess nicht so leicht. Sowohl bauliche, räumliche, als auch strukturelle Unterschiede, so wie die verschiedenen Zugänge der Träger der Heime ließen kaum einheitliches Handeln zu.
Beide Seelsorgerinnen gingen rasch dazu über, durch Briefe mit den Bewohner*innen zu kommunizieren. „Im ersten Brief habe ich erstmal erklärt, dass ich vorerst nicht mehr kommen kann. Außerdem habe ich auf die Möglichkeit der Fernsehgottesdienste hingewiesen,“ erzählt Rosa Astegger. Die Briefe hat sie per Email an die Heimleitung geschickt, mit der Bitte um Ausdruck oder Verteilung. Diese wurden an der Seelsorge-Anschlagtafel angebracht, oder in den öffentlichen Bereichen und auch persönlich verteilt. Carmen Rolle konnte einige Briefe auch persönlich adressieren: „Aber auch dabei war Zurückhaltung nötig, denn es war klar: Die Pflegefachkräfte, sowie die Verwaltungsangestellten hatten jetzt alle Hände voll zu tun und sollten nicht zusätzlich belastet werden.“
Mit einigen Bewohner*innen waren die Seelsorgerinnen auch telefonisch in Kontakt. Dadurch bekamen sie auch Rückmeldungen, dass auf weitere Briefe gewartet wurde. Die Briefe von Rosa Astegger beinhalteten immer das „Gute Wort zum Sonntag“, also Evangelium und ein paar Gedanken dazu; außerdem einen Meditationstext, einen Gruß und Ermutigungen an die Bewohner*innen, ein Zeichen, dass Frau Astegger an sie denkt. Oft auch ein Foto, etwa zum Muttertag eine Rose. Oder auch ein Bild von ihr selbst, damit die Bewohner*innen sich besser an sie erinnern konnten. Astegger möchte diese Kommunikationsform jedenfalls beibehalten bis wieder Gottesdienste normal gefeiert werden können. „Es geht einfach darum, bei den Bewohner*innen trotzdem präsent zu sein, zu zeigen, dass wir diese schwierige Situation gemeinsam durchstehen und dass die Verbindung nicht abreißt,“ sagt Astegger. „Das ist keine leichte Aufgabe, denn bei vielen Bewohner*innen verflachen die Erinnerungen relativ schnell. Besonders demente Menschen beklagen sich mit zunehmender Dauer dieser Zeit ohne Besuche, dass sie von ihren Angehörigen vergessen worden sind.“
Auch die telefonischen Kontakte stellen sich als schwierig dar. Viele Bewohner*innen sind schwerhörig oder tun sich schwer, die Person am Telefon zuzuordnen. Dazu kommt, dass auch die Telefonkontakte keine Erschwernis oder zeitlichen Aufwand für das Pflegepersonal darstellen sollten. In den Telefonaten war das Erleben von Einsamkeit vermehrt Thema, auch das Vermissen von Angehörigen. Aber auch Vergleiche mit den Erfahrungen in der Kriegszeit wurden gezogen. Manche meinten, dass man nicht mal in der Zeit des Krieges nicht rausdurfte. Andere begannen wieder vom Krieg zu träumen.
Doch manche Bewohner*innen nahmen die Situation erstaunlich gelassen, erzählt Carmen Rolle: „Nicht alle sind es gewöhnt, Besuch zu bekommen. Vor allem dort, wo die Pflegenden einen familiären Umgang mit den Bewohner*innen pflegen, konnten sie viel abfedern, weil sie ja Bezugspersonen sind, die weiterhin da waren. Oft hörte ich den Satz: im Krieg war es auch so, und da haben wir es auch geschafft. Ich glaube, diese Generation hat zum Wort "Krise" ganz andere Assoziationen.“
Neben denen, die sehr traurig waren, weil sie ihre Angehörigen vermissten, gab es auch jene, die sich auch über die herrschende Ruhe gefreut haben. Doch bei vielen ist es schwierig ihre Emotionen zuzuordnen: „Eine sehr große Zahl kann sich freilich kaum artikulieren, da muss man das Verhalten deuten - was naturgemäß anfällig für eigene Interpretationen ist.“ beschreibt Carmen Rolle.
Ein Heim, in dem Astegger tätig ist, hat einen großen Garten, dort wurde von der Heimleitung ein Besuchsbereich eingerichtet, der es möglich machte, persönliche Gespräche auf Distanz zu führen. Diesen Bereich hat auch sie genützt. Die Gespräche dort empfand Astegger als sehr wertvoll: „Die Leute waren wie ein Schwamm und haben alles aufgesogen.“
Ähnliches berichtet Carmen Rolle: „Besonders schön waren bzw. sind die Balkongottesdienste in einem der Heime: „Ohne das Haus zu betreten konnte ich vom Hof aus Gottesdienst feiern - mit Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen, die aus den Fenstern und von den Balkonen zusehen und mitfeiern. Die Sonne hat uns gewärmt, es herrschte eine fröhliche Stimmung. Auch auf umliegenden Balkonen, die gar nicht mehr zum Heim gehören, waren Leute dabei.“
Ab 4. Mai wurden die Beschränkungen etwas gelockert, die Besuche und Gespräche finden aber nach wie vor in besonderen Räumen statt. Besuche in den Zimmern sind nur in Ausnahmesituationen möglich, unter strenger Einhaltung der Hygienemaßnahmen. Manche Heime haben eine Besuchernische eingerichtet, andere haben den Speisesaal umgebaut, damit dort unter Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen Besuche und Gespräche möglich sind.
Natürlich herrscht auch bei diesen Besuchen Maskenpflicht. Beide Seelsorger*innen beschreiben die Gespräche damit als recht schwierig. Carmen Rolle: „Ohne erkennbare Mimik und ohne Körperkontakt nonverbal kommunizieren, wie es oft nötig ist, kann für beide Seiten recht anstrengend sein. Die ohnehin oft schwierige Kommunikation wird dadurch noch mehr erschwert.“
Das Abhalten von Gottesdiensten wird in den Heimen, in denen Astegger tätig ist, wahrscheinlich noch länger schwierig sein. So wird es jedenfalls von manchen Heimleitungen kommuniziert. Astegger möchte jedenfalls den Mai für Andachten im kleinen Rahmen nutzen. Diese sind für die Bewohner*innen sehr wichtig. Derzeit plant sie, die Feiern im Freien ohne Menschen von außen abzuhalten, also ohne Besucher*innen, aber auch ohne Chor. „Man muss sich halt ein bisschen umstellen, also werde ich einfach Lieder verwenden, die den Bewohner*innen vertraut sind, gerade beim Marienliedergut gibt es da einiges, das man verwenden kann.“
Carmen Rolle kann bereits wieder dazu übergehen, Gottesdienste zu feiern und sieht dabei sowohl die Herausforderungen, als auch die Chancen: „Wir feiern nach Wohnbereichen getrennt und mit viel Abstand, ohne Angehörige, Freiwillige oder andere Gäste von draußen. Das kann sehr nüchtern sein, aber auch sehr intim.“
Aber wie geht es den Seelsorger*innen, wenn sie nun langsam wieder in die Heime zurückkehren können - vor allem angesichts der immer wieder gehäuft auftretenden Covid-Erkrankungen in Alten- und Pflegeeinrichtungen? Dazu Carmen Rolle: „Natürlich mache ich mir Gedanken. Wenn ich mir vorstelle, ICH könnte diejenige sein, die das Virus in ein Heim trägt, wird mir ganz anders.“ Deshalb ist die Seelsorgerin in ihrem privaten Bereich auch recht vorsichtig: „Ich werde nervös, wenn in meiner Umgebung, z.B. in der Straßenbahn, jemand die Sicherheitsvorkehrungen missachtet.“
Die Menschen in den Heimen sind da oft weniger besorgt und auch die Befürchtungen von Carmen Rolle verändern sich dadurch: „Im Heim begegne ich vielen Menschen, die sagen: ich bin bereit zum Sterben, mir ist jeder Tag recht. Aber die Tage bis dahin wollen gelebt werden, nicht irgendwie überstanden. Darum fürchte ich nicht nur einen Ausbruch in einem der Heime, sondern auch drastischere Isolationsmaßnahmen. Ich fürchte, wenn einen niemand mehr in den Arm nimmt, wenn keiner mehr da ist, der sich einfach dazusetzt, das wäre noch schlimmer als zu sterben. Das wäre lebendig tot sein. Ich bin so froh, viele wirklich warmherzige Pflegerinnen und Pfleger zu erleben, die für die Bewohner*innen immer wieder ein Lächeln haben, einen Scherz oder etwas anders, das guttut. Diese Frauen und Männer sind Lebensretter*innen.“