Seelsorger:in sein - ein Job, der Zukunft hat
Fragt man Irmgard Lehner, was aus ihrer Sicht die Attraktivität des Berufs der:des Seelsorgers:in ausmacht, so kommen ihr, die selbst viele Jahre in der Pfarre tätig war, viele Ideen: "Das Schöne ist, dass man mit Menschen in all ihrer Vielfalt zu tun hat. Man begegnet ihnen von alt bis jung in den unterschiedlichsten Lebenssituationen, von glücklich bis traurig und alldem dazwischen. Als Christ:in kann ich in diesem Beruf für Christus laufen, kann am Reich Gottes mitbauen und dazu beitragen, dass mehr Freude, Versöhnung, Gemeinschaft und Liebe in die Welt kommen. Hier kann ich zutiefst sinnvoll wirken." Außerdem, so ergänzt Irmgard Lehner, ist die Diözese Linz mit ihrem Kollektivvertrag und den zahlreichen Sozialleistungen eine wirklich attraktive Arbeitgeberin.
Folgt man Irmgard Lehners Beschreibung des Berufsbilds, so wundert es auch nicht, was sie Praktikant:innen in der Pfarrpastoral als erstes mitgegeben hat: "Um in der Seelsorge arbeiten zu können, musst du die Menschen mögen." Darüber hinaus müssen Menschen in der Seelsorge das Bedürfnis verspüren, sich für die Gemeinschaft einsetzen zu wollen. "Zudem ist es wichtig, spirituell verankert zu sein und seine christlichen Werte zu leben versuchen. Dazu braucht es fachlich-theologische, sozial-kommunikative, sowie pastoral-praktische Kompetenzen."
Ein Berufsbild im Wandel
Wie in den Interviews mit den Seelsorger:innen im Rückblick auf "50 Jahre gesendete Berufe" deutlich geworden ist, hat sich das Berufsbild laufend verändert. Für Irmgard Lehner sind Seelsorger:innen seit Beginn ihrer Tätigkeit selbst Zeichen für den kirchlichen Wandel und die Veränderungen, die sie begleiten. So sind in den vergangenen Jahren immer wieder neue Berufsfelder, wie etwa Dekanatsassistent:innen, Projektanstellungen, Pfarrgemeindebegleitung und die Seelsorgeteambegleitung, entstanden. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungsprozesse in der Diözese ist es nun auch wieder an der Zeit, dass sich Berufsbild und Seelsorgeverständnis verändern. Das dazugehörige Anliegen der Seelsorge in der Diözese Linz ist in der Fortschreibung der pastoralen Leitlinien festgehalten und lautet: "Wir in der Diözese Linz sind mit allen Menschen auf dem Weg. Mit ihnen gemeinsam suchen und erhoffen wir eine gute Zukunft. Wir sehen den gesellschaftlichen Wandel, nehmen ihn an und gestalten ihn mit. Unser Christin- und Christsein fußt auf dem, was uns Jesus vorgelebt und verkündet hat."
Für Irmgard Lehner sind die Entwicklungen in der Seelsorge der Spiegel von Prozessen, die derzeit in der Diözese laufen und auch ein Zeichen für die Notwendigkeit, Seelsorge zeitgemäß zu gestalten:
"Seelsorger:innen wirken am Sendungsauftrag der Kirche mit, sie waren bisher bereits Träger:innen des pastoralen Handelns und sind in der neuen Struktur verstärkt Gestalter:innen des Wandels in der katholischen Kirche von Oberösterreich."
Der Grundauftrag bleibt gleich
Auch wenn sich das Berufsbild verändern wird, die Grundaufgaben bleiben gleich, so Irmgard Lehner: "Es wird nach wie vor darum gehen, Menschen in spezifischen Lebenssituationen und Wendepunkten zu begleiten, das Leben im Licht des Glaubens zu deuten und gemeinsam zu feiern. Dennoch wird sich der Schwerpunkt auf eine Impuls- und Begleitfunktion der Seelsorger:innen, sowie auf die Stärkung der Taufberufung aller Christ:innen verlagern." Das bedeutet eine verstärkte Einbindung der Ehrenamtlichen in die Seelsorge und die Orientierung hin zu einer Multiplikator:innen-Seelsorge, bei der die Hauptamtlichen die Ehrenamtlichen in ihrem Tun beraten und begleiten.
Zudem verändert sich etwas, auf Grund der Ausrichtung auf das größere Ganze, die Pfarre neu: "Durch die bewusste Zusammenarbeit in einem größeren Raum gibt es mehr Möglichkeiten, auf die Begabungen einzelner Seelsorger:innen einzugehen oder auch schneller auf aktuelle gesellschaftliche Situationen reagieren zu können."
Die zukünftige Herausforderung für Seelsorger:innen wird sein: "Dem stärkenden Raum zu geben und zu sehen, was bei aller Begrenztheit der Ressourcen noch möglich ist. Dies alles geschieht im Spannungsfeld von dem, was geht und was nicht mehr geht. Dabei gilt es Orientierung zu geben, einen guten Umgang mit den Unsicherheiten zu finden und ein positives Verhältnis zur Zukunft zu entwickeln."
Der Wandel gestaltet sich nicht in Schwarz-Weiß
Diese Veränderungen möchte Irmgard Lehner jedoch nicht als eine Schwarz-Weiß-Ablöse verstanden sehen. Manches vom Neuen gibt es bereits und anderes vom Bisherigen wird auch in Zukunft wichtig sein. Oder es ändert sich schlicht der Zugang bzw. die Art der Involvierung. "Wir bewegen uns vom Leitsatz "Von der Wiege bis zur Bahre" hin dazu, punktuell nahe bei den Menschen zu sein. Wir werden von Leiter:innen zu Begleiter:innen. Wir machen den Weg vom Einzelkämpfer:innen-Dasein hin zum Teamplayer:in sein. Wir bewegen uns von den einzelnen Pfarrgemeinden hin zum Pastoralen Handlungsraum Pfarre." Neben all dem schaffen Seelsorger:innen in ihrem Tun Räume und Möglichkeiten, damit Menschen Gott in ihrem Leben entdecken und mit ihm in Berührung kommen können. Außerdem unterstützen die Seelsorger:innen die Menschen darin, für ihren Glauben eine Sprache zu finden: "Sie sind Türöffner:innen bzw. Übersetzer:innen und sind glaubwürdig selbst am Weg als Glaubende, Fragende, Suchende und Hoffende."
Abseits von all dem haben Seelsorger:innen auch ein gesellschaftliches, soziales und diakonisches Engagement und sorgen für konkrete Lebenshilfe. Sie vernetzten sich mit anderen Einrichtungen und sind Gastgeber:innen für soziale Initiativen bzw. NGOs.
Flexible Arbeitszeiten entsprechen der gegenwärtigen Arbeitswelt
Neben all diesen Entwicklungen und Neuerungen ist das Arbeitszeitmodell der Seelsorger:innen durchaus den Anforderungen der modernen Arbeitswelt gewachsen: "Seelsorge ist kein 9-to-5-Job, von Montag bis Freitag, vielmehr wird in Gleitzeit mit variabler Dienstzeit gearbeitet, die sich natürlich auch nach der Zeit der Menschen, für die wir da sind, richtet. Aber es bietet auch die Möglichkeit, sich die Arbeitszeit nach den persönlichen Erfordernissen einzuteilen." Dazu bietet die Diözese Linz entgegenkommend Teilzeitanstellungen und sucht nach passenden Work-Life-Balance-Lösungen.
Dennoch freut sich Irmgard Lehner über jede:n, der:die Vollzeit arbeiten möchte. Nachdem immer weniger Menschen Theologie studieren oder sich für Seelsorge-Berufe ausbilden lassen, werden laufend Mitarbeiter:innen gesucht. Die Gründe dafür ortet Lehner im gesamtgesellschaftlichen Wandel: "Die Zeiten der kirchlichen Sozialisation aus der kirchlichen Jugendarbeit, die dann den Einstieg in das Theologiestudium bzw. Ausbildung ebnen sind Großteils vorbei. Insofern sind Seelsorger:innen, die ihren Beruf gerne und mit Freude ausüben, die beste Werbung für den Beruf."
Prioritäten setzen und attraktive Einstiegsmöglichkeiten schaffen
Auch die Alterspyramide erschwert die Stellenbesetzung, weil die Personalressourcen schlicht weniger werden. Irmgard Lehner folgt dabei dem Pastoraltheologen Christian Bauer, der sagt: "Gegen die Wirklichkeit hilft kein Wünschen", indem sie sich auf das Wesentliche fokussiert und vermehrt Prioritäten setzt: "Es wird nötig sein, Quantität zu reduzieren, um Qualität zu halten bzw. zu fördern. Dabei sind theologische, pastorale und spirituelle Impulse gefragt. Es ist notwendig, den Überblick zu behalten, Prozesse zu analysieren und zu gestalten, sowie den Willen der Menschen und deren Ressourcen im Sozialraum erkunden, Präsenz zu leben, im Jetzt ganz da zu sein", sagt Irmgard Lehner.
Hinsichtlich der Ausbildungs- und Einstiegsangebote reagiert die Diözese Linz auf die gesellschaftlichen Begebenheiten. So beginnen inzwischen vermehrt Menschen in der zweiten Hälfte des Erwerbslebens in der Seelsorge zu arbeiten. "Wichtig sind uns auch Personen, die aus pädagogischen bzw. sozialarbeiterischen Ausbildungen in die Jugendpastoral einsteigen und sich aus Interesse an Glaube und Spiritualität theologisch weiterbilden. Deshalb bieten wir vielfältigere Qualifizierungswege (auch berufsbegleitend), die die bereits erworbene Kompetenzen berücksichtigen."
Seelsorge hat Zukunft
Auch wenn man als kirchlicher Mensch nicht (mehr) zum gesellschaftlichen Mainstream gehört und gewissermaßen ausgesetzt ist, so wird man laut Lehner durchaus als interessanter, "bunter" Vogel wahrgenommen: "Wenn es gelingt, vielsprachig den christlichen Schatz für heutige Menschen auszudrücken und anzubieten, dann kommen einem durchaus Wohlwollen, Interesse und Wertschätzung entgegen. Dazu suchen die Menschen nach wie vor, was Doris Nauer formuliert, spirituell-mystagogische Auskunftsfähigkeit und Ritualkompetenz in Bezug auf das tiefste Geheimnis des Lebens, pastoralpsychologische heilsame Seelsorge und diakonisch-prophetische Tatkraft."
Insofern ist es für Irmgard Lehner trotz aller aktuellen und zukünftigen Herausforderungen klar, dass es den Beruf der:des Seelsorgers:in auch in Zukunft braucht: "Seelsorger:innen erinnern daran, was unsere Welt im Innersten zusammenhält. Sie folgen dem Auftrag Jesu: Verkündet das Evangelium! Sie lassen die Rede von Gott nicht sterben und halten in unserer Welt das Darüber-Hinaus offen. Sie verbinden unsere Tradition mit neuen Formen des Kirche-Seins im Sinn einer ecclesia semper reformanda. Und sie unterstützen Christ:innen, das Salz der Erde zu sein und als Sauerteig im Mehl der Welt zu wirken."
Irmgard Lehner ist 55 Jahre alt und Fachbereichsleiterin von "Seelsorger:innen in Pfarren".
Das Interview führte Melanie Wurzer.