Das ist DER soziale Beruf! Seelsorger:in sein in den 2000er Jahren
Warum haben Sie sich für einen „gesendeten Beruf“ entschieden?
Teresa Kaineder: Ich habe mich auf Grund von Vorbildern, die diesen Beruf begeistert leben bzw. gelebt haben, entschieden. Diese Menschen wirkten davon sehr erfüllt. Außerdem durfte ich in meiner Jugend im kirchlichen Umfeld viele schöne und prägende Erlebnisse machen. Zudem bin ich sehr gerne mit unterschiedlichen Menschen unterwegs und mir ist Gemeinschaft wichtig. Last but not least geht es mir aus der Taufberufung heraus um die Gestaltung eines Lebensumfeldes, das die Botschaft eines uns begleitenden menschenfreundlichen Gottes in sich trägt.
Caroline Murauer: Gesendet zu werden oder zu sein, das war mir nicht so wichtig. Anfangs habe ich darüber gar nicht so wirklich nachgedacht. Nach einigen Jahren in diesem Beruf, sehe ich darin aber schon eine gewisse Bekräftigung.
Was waren die Umstände ihres Berufseinstiegs – persönlich, kirchlich und gesamtgesellschaftlich?
Murauer: Ich habe aus purem Interesse Theologie und auch Philosophie studiert und dann galt es, mit diesem Studium etwas anzufangen. Wirklich vorstellen konnte ich mir unter einem kirchlichen Beruf wenig und ich dachte einfach, ich probiere dieses Einführungsjahr einmal aus. Damals hatte ich einen für mich sehr guten Begleiter und auch eine Pfarre, die mich herzlich aufgenommen hat. So kam eines zum anderen und nun bin ich hier, wo ich gerade stehe.
Kaineder: Mein Berufseinstieg fiel in die Amtszeit von Bischof Ludwig Schwarz, der einiges in der Diözese veränderte – nicht immer zum Positiven für die Laien-Mitarbeiter:innen. Außerdem erlebte ich 2009 eine Kirche, die gebeutelt von den Missbrauchsskandalen an gesellschaftlichem Stellenwert verlor. Und dennoch empfand ich die Pfarrgemeinden als unglaublich wichtige und wertvolle Ankerpunkte und feine Netzwerke für die Gesellschaft und in der Gesellschaft – gerade auch in der Stadt. Ich nahm ein krasses Auseinandertriften des öffentlichen negativen Bildes von Kirche einerseits und des positiven Erlebens von Kirche andererseits an der Basis in der Pfarrgemeinde wahr.
Welche Aufgaben haben Sie vorrangig übernommen?
Kaineder: Zuerst war ich Jugendbeauftragte in Urfahr, in einem Linzer Stadtteil, der heutigen Pfarre Junia. Ich war für die Begleitung von Firm- und Jugendgruppen zuständig, wie auch für den Aufbau von Jugendtreffs und Jugendreisen.
Murauer: Mit Blick auf die derzeitige Situation ist diese Frage schwierig zu beantworten. Der Anstellung nach und der Bezeichnung entsprechend der Strukturreform bin ich Seelsorgeverantwortliche. Im „alten System“ bin ich Pfarrassistentin für drei Landpfarren und habe damit sowohl die pastorale als auch die administrative Leitung über. Auf Grund eines Einspruchs hinsichtlich der Reform, der derzeit in Rom behandelt wird, sind wir zum Warten gezwungen. So versuchen wir hier in unserem Dekanat manches dieses Strukturprozesses schon umzusetzen, gleichzeitig gilt doch noch die herkömmliche Form. Das macht es etwas schwierig für uns als Angestellte, aber auch für die Ehrenamtlichen.
Wie sah es mit der Akzeptanz durch Kleriker und die Pfarrbevölkerung aus?
Murauer: Unterschiedlich. Für viele, sowohl Kleriker als auch die Pfarrbevölkerung machte es keinen Unterschied, andere wiederum akzeptieren mich heute noch immer nicht. Damit kann ich leben und nehme es nicht persönlich. Ich finde nur schade, dass manche glauben, einzig ein geweihter Mann dürfe in der Verkündigung stehen. Das ist für mich kurzsichtig und weltfremd.
Kaineder: In der Jugendarbeit ist die Akzeptanz sehr hoch. Sie bietet auch ein gewisses Erkundungsfeld. Gleichzeitig waren in meinem Arbeitsumfeld bereits länger Gesendete, die viel am Rollenverständnis und an ihrer Akzeptanz gearbeitet haben. Dadurch durfte ich vieles als Selbstverständlichkeit erleben, worauf unsere Generation aufbauen kann.
Was waren die persönlichen, kirchlichen, pastoralen und gesellschaftlichen Herausforderungen in den ersten Jahren Ihrer Berufstätigkeit?
Kaineder: Für mich persönlich ging es viel um das Ankommen im Beruf, das Lernen und Kennenlernen.
Murauer: Herausfordernd war und ist für mich in erster Linie das Bröckeln aller kirchlichen Fassaden und Inhalte. Die Menschen, die sich für die Kirche, für soziales Engagement, für Glauben und seine Weitergabe interessieren, werden immer weniger.
Immer mehr Menschen wollen ihre Wünsche durchgesetzt haben, ob bei einem Begräbnis, der Vorbereitung auf ein Sakrament oder der Miete eines Raumes. Ob es glaubensinhaltlich richtig ist wird immer mehr zur Nebensache. Alles muss individuell sein, viele wollen „Extrawürste“, alles sollte Eventcharakter haben, das macht es zunehmend schwierig. Damit werden punktuelle Höhepunkte geschaffen, danach ist es dann aber wieder vorbei mit Zugehörigkeit zur Kirche. Das kann manchmal schon auch frustrieren...
Welche kirchlichen Themen haben Sie in den ersten Jahren beschäftigt? (Auch hinsichtlich des Selbstverständnisses Ihres Berufes)
Kaineder: Die Rolle der Frau und die Rolle des Klerus in der Kirche. Und das tut es immer noch.
Murauer: Bei mir war es natürlich anfangs auch die Frauenfrage und die Tatsache, dass alleinig dem Geschlecht geschuldet, eine Weihe verweigert wird. Aber schnell habe ich gelernt, dass ich auch ohne Weihe vieles machen kann und darf. Zudem sehe ich für mich inzwischen viele verschiedene Aufgaben, die ich auch erfülle. Mache akzeptieren es, manche nicht – insbesondere wenn es um Leitung und um Entscheidungen geht. Aber das sehe ich nicht als mein Problem.
Was schätzen Sie an ihrem Beruf? Oder anders gefragt: Was ist das Schöne am Beruf Seelsorger:in?
Murauer: Ich sage immer, wer mit Menschen zu tun haben will, der/die soll Seelsorger:in werden. Nur in diesem Beruf begleitet man Menschen von der Wiege bis zur Bahre, in den unterschiedlichsten Situationen - in vielen schönen Momenten und auch in traurigen Situationen. Für mich ist es DER soziale Beruf schlechthin.
Natürlich muss mir auch der Glaube, die Botschaft Jesu Christi wichtig sein, das ist der Kern und alles Zentrum unseres Tuns. Das heißt aber nicht, dass ich nicht kritisch sein darf und meine Meinung vertreten darf. So versuche ich es zumindest zu leben.
Kaineder: Ja, es ist ein Beruf, in dem das ganze Leben Platz hat, das Leben in seiner Fülle. Man darf Menschen begleiten und mit ihnen gemeinsam gestalten. Und in diesem Miteinander kann man auf einen gemeinsamen tragenden Grund aufbauen.
Warum würden Sie einer Person, die überlegt Seelsorger:in zu werden, diesen Beruf heute noch empfehlen?
Murauer: Ob ich ihn empfehlen würde, weiß ich nicht. Ich würde klar und deutlich sagen, was zu tun ist. Ich würde aber auch von den unregelmäßigen Arbeitszeiten sprechen, die sowohl Vor- als auch Nachteil sein können. Denn zum einen ist es klar, dass man an vielen Wochenenden und Abenden arbeitet, nicht zu Ostern oder Pfingsten Urlaub machen kann, dafür hat man aber auch die Möglichkeit, zu sagen, morgen hab ich keinen Termin, nicht viel zu tun, daher nehme ich mir frei.
Dieser Beruf ist kein Hörigkeitsberuf, dieser Beruf lässt viele Freiheiten zu, sowohl hinsichtlich der Meinung als auch der Gestaltung der Arbeitszeit und bringt einen immer wieder auch an den Rand der Komfortzone, fordert einen heraus, bringt Abwechslung und doch Beständigkeit.
Und doch glaube ich, dass es ganz wichtig ist, diesen Beruf tatsächlich als Beruf zu sehen, mit einem Leben außerhalb der Pfarre(n) und unabhängig vom Glauben. Denn dieser Beruf fordert, gerade wenn es um Konflikte, schwierige Todesfälle und Sorgen der Menschen geht. Daher braucht jede/jeder einen Ausgleich und Zeiten der Ruhe, Auszeiten, Bewegung, Trivialliteratur und Hobbies, die nichts mit dem Beruf zu tun haben.
Teresa Kaineder ist 41 Jahre alt und Pastoralassistentin in einer Projektanstellung für "Kirchliche Projekte und Initiativen im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas Salzkammergut 2024" für die Dekanate Gmunden und Bad Ischl.
Caroline Murauer ist 44 Jahre alt und Seelsorgeverantwortliche der Pfarre Ried im Innkreis, dort ist sie für die zukünftigen Pfarrgemeinden Schildorn, Mehrnbach und Waldzell zuständig.
Das Interview führte Melanie Wurzer.