In die Berufung hineinwachsen - Seelsorger*in sein in den 90er Jahren
Warum haben Sie sich für einen „gesendeten Beruf“ entschieden?
Elfriede Neugschwandtner: Ich war längere Zeit auf der Suche nach dem richtigen Beruf für mich. Nachdem ich in unserer Pfarre beheimatet und ehrenamtlich in der Katholischen Jugend engagiert war, wurde ich auch für die Mitarbeit im Dekanatsteam angefragt. Das war für mich der Auslöser und Mutmacher, meine berufliche Tätigkeit als Bankangestellte aufzugeben und die Ausbildung zur Pastoralassistentin am Seminar für Kirchliche Berufe zu machen.
Josef Rathmaier: Für mich war die Freude entscheidend, die ich als Jugendlicher im Tun in der Pfarre erfahren habe. Außerdem gab es eine prägende Person, die in meinem Heimatdekanat engagiert war und mit uns Jugendlichen Gruppenstunden und Gottesdienste vorbereitet und durchgeführt hat. Ich spürte zutiefst, dass Gott mich in so einer Aufgabe brauchen könnte.
Was waren die Umstände ihres Berufseinstiegs – gesamtgesellschaftlich und kirchlich?
Neugschwandtner: Ich habe am 1. September 1992 in der großen Linzer Pfarre Christkönig meinen Dienst begonnen und konnte dort gemeinsam mit einem Pfarrer und einem Kaplan, sowie vielen ehrenamtlichen Mitwirkenden in die Vielfalt der Aufgaben hineinwachsen.
In meine ersten Dienstjahre in der Pfarre fiel der Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Diese Zeit war auch pfarrlich geprägt vom großen caritativen Engagement der Menschen und der Suche nach geeigneten pfarrlichen Räumen, die als vorübergehende Herberge dienen konnten. Es war wirklich großartig, zu erfahren, wie Menschen ihr Herz, ihre Hände und auch ihr eigenes Vermögen geöffnet haben. In dieser Zeit wurde gemeinsam mit SOS-Mitmensch das Lichtermeer gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz organisiert. Ich erlebte erstmals eine Kirche, die auf diese Weise in die Gesellschaft hineinwirkte und Zeugnis gab.
Rathmaier: Es war aber auch die Zeit, der Bischöfe Krenn und Groer, die das kirchliche Klima medial immer wieder sehr verdunkelten.
Welche Aufgaben haben Sie vorrangig übernommen?
Rathmaier: Am Beginn war ich für die Jungschar- und Jugendgruppenleiter*innen da. Die Mitarbeit im Pfarrgemeinderat und im Fachausschuss Liturgie zählten ebenso zu meinen Aufgaben, wie der monatliche Predigtdienst an einem Sonntag.
Neugschwandtner: Nach Kinder- und Jugendpastoral, Religionsunterricht in Volksschulen, Seelsorge im Kinderkrankenhaus, kamen die spirituelle Begleitung und das Mitwirken in der Katholischen Frauenbewegung hinzu. Später machte ich diverse Ausbildungen im spirituellen Bereich sowie in der Beratung. All das bereicherte mich sehr. Nachdem ich in die Pfarre Enns gewechselt bin, kamen Leitungsaufgaben und die Begleitung des Fachausschusses Liturgie, sowie die Kinderliturgie hinzu. Besonders die Exerzitien im Alltag, die geistlichen Gespräche, die Frauenarbeit und die Gottesdienste im Altenheim, sowie die Besuchsdienste im Krankenhaus erweiterten meine pastoralen Aufgaben und zeigten mir neue Fähigkeiten auf.
Wie sah es mit der Akzeptanz durch Kleriker und die Pfarrbevölkerung aus?
Neugschwandtner: In den ersten Jahren war ich Pastoral-„Assistentin“, also eine „Assistentin“ für Pfarrer, Kaplan und die diversen Gruppen. Ich war akzeptiert in der Begleitung. Von Leitung war jedoch noch keine Rede, immerhin waren Pfarrer und Kaplan da und leiteten alle Liturgien, sowie die Sitzungen im Pfarrgemeinderat. Ich war halt dabei.
Rathmaier: Ich hatte das Glück, dass vor mir schon eine Frau als Pastoralassistentin dort war. Sofort fand ich Anschluss bei der Pfarrbevölkerung und wurde in meiner Rolle wahrgenommen. Auch unter den Priestern wurde ich von den meisten gut akzeptiert.
Was waren die persönlichen, kirchlichen, pastoralen und gesellschaftlichen Herausforderungen in den ersten Jahren Ihrer Berufstätigkeit?
Rathmaier: In den ersten Jahren war ich persönlich ordentlich gefordert. Da ging es darum, die vielen Leute kennenzulernen, mit ihnen vertraut zu werden und sich gemeinsam auf den Weg zu machen. Nachdem der Pfarrer nach meinem ersten Dienstjahr von einem Monat auf das nächste weg war, kam für ein Jahr ein polnischer Priester. Den musste ich „an der Hand nehmen“ und ihn in die verschiedensten Aufgaben, abseits der Messfeier, einführen. In diesem einem Jahr waren zudem die Pfarrgemeinderatswahlen. Meine Rolle bekam durch diese Situation in der ersten Pfarre mehr Bedeutung. Ich war plötzlich der erste Ansprechpartner und das war auch nicht immer leicht.
Welche kirchlichen Themen haben Sie in den ersten Jahren beschäftigt? (Auch hinsichtlich des Selbstverständnisses ihres Berufes)
Rathmaier: Die Leitung der Pfarre, sowie die Fragen, wie es zu Entscheidungen kommt und wer sie trifft. Aber auch das Priesterbild hinsichtlich der Erwartungen und auch Enttäuschungen.
Neugschwandtner: Gerade in den Anfangsjahren tauchten vermehrt die Frage nach mehr Teilhabe in der Liturgie und nach dem liturgischen Gewand auf. Dürfen wir Pastoralassistent*innen das Evangelium verkünden und predigen? Dürfen wir beim Hochgebet einen Teil beten? Mutige Priester wurden damals rasch zurückgepfiffen. 1994 kam schließlich das Nein zur Priesterweihe der Frauen durch Johannes Paul II, an das sich alle Gläubigen endgültig zu halten hatten. Es folgten das Kirchenvolksbegehren zur Erneuerung der Kirche 1995 und der Dialog für Österreich. Viele Menschen hofften auf eine Öffnung der Kirche. In der Pfarrbevölkerung waren einerseits Aufbruchstimmung und andererseits das Festhalten am traditionellen Amtsverständnis spürbar.
Zugleich erweiterten sich aber die Aufgaben der Pastoralassistent*innen und wir wurden immer mehr für priesterliche Dienste angefragt, wie z.B im Altenheim und im Krankenhaus für das Spenden der Krankensalbung. Dies ist nicht erlaubt, aber wir konnten in Form des Sterbesegens Begleitung und Zuwendung schenken.
In der Liturgie übernahmen und gestalteten wir Wortgottes- und Segensfeiern. Wir übernahmen den Begräbnisdienst und wurden mit der Feier von Taufen beauftragt. Wir ermutigten Menschen, Leitungsverantwortung in den Seelsorgeteams zu übernehmen und wir begannen, uns mit benachbarten Pfarren zu vernetzen. „Nahe bei den Menschen und wirksam in der Gesellschaft“ – ein ständiges Hineinwachsen in die Berufung, das ist eine große Freude.
Was schätzen Sie an ihrem Beruf? Oder anders gefragt: Was ist das Schöne am Beruf Seelsorger*in?
Neugschwandtner: Es ist schön, immer wieder mit den Menschen auf der Suche nach dem Geheimnis, das wir Gott nennen, sein zu können. Es ist bereichernd mit ihnen nach dem Woher und Wohin unseres Lebens zu fragen und zu schauen, wie unser Glaube eine Kraftquelle sein kann. Es ist ein Geschenk, Menschen in schwierigen Zeiten begleiten, aber auch deren Freude teilen und mit ihnen feiern zu können. Es ist herausfordernd eine Sprache zu finden, die in unserer Zeit verstanden werden kann und es ist schön, die Lebenswenden der Menschen mitzugestalten und im Wort Gottes zu bergen. Es ist etwas besonders mit Klein und Groß Gottesdienste zu feiern. Meine Begeisterung wurde definitiv zum Beruf.
Rathmaier: Ich bin nah am Menschen, an seinen Freuden, Sorgen, Hoffnungen und Ängsten. Ich kann Menschen durch mein Dasein, meine Gespräche, durch liturgische Feiern trösten, stärken, Mut machen, ihnen Freude schenken. Gott ist mein Chef, ihn habe ich immer liebevoll und begleitend an meiner Seite.
Warum würden Sie einer Person, die überlegt Seelsorger*in zu werden, diesen Beruf heute noch empfehlen?
Rathmaier: Es ist eine Aufgabe, die Sinn macht: Menschen beizustehen, wenn sie Sorgen und Nöte haben und mit Menschen die Freuden ihres Lebens zu teilen. Wesentlich ist auch, dass ich immer wieder die Perspektive Gottes einbringen kann. Diese Perspektive ist der Blick der Liebe, die alles verwandeln und heilen kann.
Neugschwandtner: Weil es eine wunderschöne, erfüllende Aufgabe ist und es viele Möglichkeiten gibt, die eigenen Begabungen einzubringen. Wer gerne mit Menschen arbeitet, hinhört, was sie bewegt, mit ihnen auf Suche geht, wird einen guten Platz in der Kirche finden.
Elfriede Neugschwandtner ist 61 Jahre alt und seit Juni 2024 pensioniert. Zuletzt war sie in der Pfarre und im Seniorium in Baumgartenberg beschäftigt.
Josef Rathmaier ist 61 Jahre alt und seit 25 Jahren Pfarrassistent in Pabneukirchen. Außerdem arbeitet er als Pfarrgemeindebegleiter von Waldhausen und ist als Dekanatsassistent in Grein tätig.
Das Interview führte Melanie Wurzer.