50 Jahre gesendete Berufe – Ein Blick zu den Pionier:innen der heutigen Seelsorger:innen

Vor 50 Jahren wurde die Berufsbezeichnung "Pastoralassistent" von der österreichischen Bischofskonferenz eingeführt. In der Diözese Linz gab es ähnliche Dienste aber bereits vorher...
Brigitte Gruber-Aichberger: Ja, das stimmt. 1947 wurde in unserer Diözese die erste Seelsorgehelferin, Frau Gertraud Scharmüller, angestellt. Seelsorgehelferinnen sind die „Vorläuferinnen“ der Pastoralassistent:innen. Im Unterschied dazu handelte es sich aber bei den Seelsorgerhelferinnen um einen expliziten Frauenberuf in der Kirche.
Woher kam der Impuls zur Einführung der Seelsorgehelferinnen?
Die Gründung des Seminars für kirchliche Frauenberufe, kurz Frauenseminar genannt, geht auf Frau Dr. Hildegard Holzer zurück. Ihr Anliegen war es, die Möglichkeit zu einem eigenständigen weiblichen Beitrag zur seelsorglichen Arbeit der Priester zu schaffen. Die Aufgaben der Seelsorgehelferinnen waren daher zunächst sehr der damaligen Rolle der Frauen angepasst. Die Schwerpunkte Caritasarbeit, Kinderpastoral mit Schulunterricht, Kanzleitätigkeit, Hausbesuche stehen dafür.
Wie entstand daraus dann der Beruf der Pastoralassistent:innen?
Die Grundlage für den Einsatz von hauptamtlichen Lai:innen bildeten die Veränderungen des Selbstverständnisses von Kirche im II. Vatikanum. So meinte etwa einmal der Pastoraltheologe Rainer Bucher, dass die hauptamtlichen Laien ein sichtbares Zeichen der Umsetzung des II. Vatikanums sind. In der Folge des Aufbruchs nach dem II. Vatikanum begannen schließlich vermehrt Frauen und Männer mit dem Theologiestudium – mit dem Ziel, in der Pfarrseelsorge zu arbeiten. 1974 wurde schließlich die Berufsbezeichnung auf Pastoralassistent:innen geändert und auch Männer zur Ausbildung am Seminar für kirchliche Berufe zugelassen.
Durch die Neuausrichtung von Kirche als Kirche in der Welt und dem Verständnis, dass die Gläubigen bzw. Gemeinden nicht Objekte, sondern Subjekte der Seelsorge sind, stand dem Einsatz von Laien, ob ehrenamtlich oder hauptamtlich nichts mehr im Weg. Aber die sinkende Anzahl von Kaplänen und Priestern hat sicherlich auch einen nicht unwesentlichen Beitrag geleistet.
Was waren die Herausforderungen mit denen die ersten Pastoralassistent:innen konfrontiert waren?
Pastoralassistent:innen, die in den 1970iger und 1980iger Jahren ihren Dienst begonnen haben, hatten in jedem Fall Pionierarbeit zu leisten. Die Frage nach der Rolle der Lai:innen, insbesondere der Laientheolog:innen, war ein großes Thema: Welche Aufgaben gehören zum Beruf? Was dürfen sie, was nicht? In welcher Pfarre werden hauptamtliche Lai:innen eingesetzt, wie werden sie bezahlt und welche Erwartungen sind mit ihrem Einsatz verbunden. Diese reichten, vom Ersatzkaplan, über Verantwortung für die Jugendarbeit, den Einsatz als Kanzleikraft bzw. Zuarbeiter:in vom Pfarrer, hin zur Arbeit als Seelsorger:in.
Wie wurden die Menschen in den neuen Berufen von der Kirchenbevölkerung und den Klerikern angenommen?
Hier gab es natürlich eine große Bandbreite an Erfahrungen. Nachdem Pfarren um die Anstellung einer:eines Pastoralassistent:in ansuchen mussten, konnte allerdings davon ausgegangen werden, dass man sie grundsätzlich vor Ort haben wollte. Allerdings gab es dann doch teils böse Überraschungen, wenn die Erwartungen an die Person gar nicht mit dem Berufsverständnis der:des Einzelnen zusammenpassten. Nicht alle sind begabt in Jugendarbeit oder wollten in den Schulunterricht, der bis Anfang 2000 zum Beruf dazugehörte. Die Kirchenbevölkerung war zum Großteil aufgeschlossen, denn mit dem neuen Beruf kam auch Neues in den Pfarralltag, wie auch Unterstützung für die Ehrenamtlichen.
Das klingt nach einer intensiven Dynamik, die am Anfang vorherrschte...
Ja, der Pioniergeist wurde von den vielen Gestaltungsmöglichkeiten im pfarrlichen Alltag befeuert. In den Pfarren war eine deutliche Aufbruchstimmung zu spüren, das ließ diese strukturellen Themen in den Hintergrund treten. Leider gab es auch negative Erfahrungen durch Konflikte mit Pfarrern, die um ihre Macht fürchteten, und es nicht schafften, die Kompetenzen der Pastoralassistent:innen als Chance und Ressource für die Pfarre sowie für ein neues Miteinander zu betrachten. Da gibt es leider einige sehr qualifizierte Laientheolog:innen, die den Beruf aufgegeben haben, in den Schuldienst oder in andere Berufe gewechselt haben.
Welche theologischen, aber auch ganz praktischen Fragestellungen ergaben sich durch die neuen Berufe?
Auf theologischer Ebene wurde die Ämterfrage mit dem Phänomen der hauptamtlichen Lai:innen angeregt. Auf kirchlicher Ebene tauchten damit zusammenhängend Fragen auf wie: Wer darf sich als Seelsorger:in bzw. Leitung bezeichnen? Wer darf überhaupt Leitung übernehmen?
1997 kam vom Vatikan die “Instruktion zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester” heraus. Darin unternahm Rom den Versuch, den Dienst der hauptamtlichen Lai:innen zu regeln, aber auch einzuschränken, wie etwa die Predigterlaubnis in den Eucharistiefeiern oder auch die allgemeine Taufbeauftragung. Gleichzeitig kamen in den Pfarren von Pfarrangehörigen immer öfter die Fragen: Warum weiht man euch nicht? Warum könnt ihr keine Trauungsassistenz übernehmen? Usw.
In der Mitte der 1990er Jahre wurde meiner Erinnerung nach die Frage nach dem liturgischen Gewand virulent. Es gab die Anweisung, dass bei Begräbnisdiensten, ein liturgisches Gewand getragen werden musste, ansonsten war es freigestellt.
Ab dieser Zeit leiteten aber auch Pastoralassistent:innen vermehrt Wortgottesfeiern am Sonntag - nicht zuletzt auf Grund des spürbaren Priestermangels. Da gab es schließlich verschiedene Praktiken, die einen trugen das liturgische Gewand, andere trugen es bewusst nicht, um ihre Zugehörigkeit zur Gemeinde zum Ausdruck zu bringen und/oder sich vom Klerus abzugrenzen.
Wie ging die Kirchenleitung in unserer Diözese mit den neuen Berufsfeldern um?
Grundsätzlich würde ich sagen, dass man zunächst von großem Wohlwollen den Lai:innen gegenüber sprechen muss. Bischof Aichern (und mit ihm die Diözesanleitung) hat ihnen hohe Wertschätzung entgegengebracht und viel Entfaltungsraum gegeben. Für Bischof Aichern waren hauptamtliche Lai:innen gemeinsam mit den Priestern und Diakonen eine Ressource, Seelsorge zeitgemäß im Dienst der Menschen zu entwickeln. Er hat die Entwicklungen mit Interesse und Offenheit unterstützt und dabei oft Mahnungen von Rom bekommen oder kritische Anfragen aus der Bischofskonferenz aushalten müssen. Ich denke dabei an Taufbeauftragung, Predigtdienst, Vertretung von hauptamtlichen Lai:innen in diözesanen Gremien, ihre Beteiligung in diözesanen Entwicklungsprozessen, Verhandlung eines Kollektivvertrages, usw.
Diese Anfragen ebbten auch nicht allzu schnell ab...?
Nein, denn die kirchliche Gesamtentwicklung, die auch in Bischofernennungen deutlich wurde und dem damit verbundenen Rückgang der Umsetzung des II. Vatikanums, nahmen die Herausforderungen durchaus zu. Beides hat mit den Leuten in den Pfarren und auch mit den Hauptamtlichen (Priestern und Lai:innen) etwas gemacht. Die Anhänger:innen eines vorvatikanischen Selbstverständnisses von Seelsorge und Kirche bekamen Rückenwind. Das bedeutete mitunter Auseinandersetzungen nach liturgischen Einsätzen, Anschwärzung bei der Nuntiatur und viele Diskussionen.
Andere Herausforderungen waren die Entwicklung der Seelsorge insgesamt, also die Veränderungen im Berufsbild und damit den Aufgabenprofilen, den Berufsmöglichkeiten, dem Selbstverständnis, den Ausbildungsvoraussetzungen, den Weiterbildungsnotwendigkeiten usw. Die Seelsorger:innen sind jene Gruppe, die gesellschaftliche Veränderungen als erste zu spüren bekommen. Diese Wahrnehmungen zu heben und die Entwicklungen entsprechend voranzutreiben, ist eine Herausforderung für die diözesane Ebene gemeinsam mit den Seelsorger:innen vor Ort. Als Dienstgeberin das rechte Verhältnis von Hilfestellung angesichts der Herausforderungen in der Seelsorge und Anstoß zu Veränderung und Entwicklung stellt durchaus eine Herausforderung für die diözesan Zuständigen dar.
Das sind wiederum Herausforderungen, die bis heute geblieben sind, oder?
Ja, das ist das Spannende am Seelsorgeberuf. Seelsorge ist ein kommunikativer Prozess und lebt davon, dass die Agierenden fähig sind, die Botschaft des Evangeliums so ins Heute zu bringen, dass sie den Menschen zum Gelingen ihres Lebens dient. Als Seelsorger:in für jemanden zur/zum Hoffnungsträger:in zu werden, kann nicht „von oben“ vorgegeben werden, sondern ist Frucht von Begegnung, sich gehört fühlen, füreinander Dasein, gemeinsamem Feiern, erlebte Zugehörigkeit, usw. Das ist Leben und Erleben mit allen Freuden und Leiden die der Alltag in sich birgt. Dafür offen und empfänglich zu bleiben ist fordernd, aber auch erfüllend.
Das Gespräch führte Melanie Wurzer.